ARD: Einknicken vor der Quote?:Schnelles Ende für "Im Angesicht des Verbrechens"

Ein neuer Sendeplatz für den Schluss der ARD-Serie "Im Angesicht des Verbrechens". Ist das ein Einknicken vor der Quote?

Christopher Keil

Beim Blick auf die Reflexe, die das gebührenfinanzierte deutsche Fernsehen zeigt, offenbart sich immer wieder Einfallsarmut. Frage: Was machen beispielsweise ARD-Manager, wenn eine sehr gute, besondere, eine selten kompromisslose Serie nicht so viele Zuschauer bindet? Wenn so eine Serie möglicherweise den Jahresmarktanteil gefährdet? Antwort: Sie wechseln entweder den Sendeplatz oder sorgen dafür, dass das Ende schneller als geplant kommt.

Im Angesicht des Verbrechens: Berlin ist das Paradies

Ein neuer Sendeplatz für die letzte Folge: "Im Angesicht des Verbrechens" in der ARD.

(Foto: © ARD/Julia von Vietinghoff)

So hat es jetzt der Programmdirektor der ARD, Volker Herres, im Fall von Im Angesicht des Verbrechens entschieden. Herres glaubt, er werte die sehr gute Serie mit seinem Eingriff auf: Am 26. November sollte die zehnte und letzte Folge laufen, in der sich alles auflöst: alle Handlungsstränge, alle Konstellationen.

Nun werden die Teile acht, neun und zehn am 19. November hintereinander versendet. Auflösung also weit nach Mitternacht. Dominik Graf, der Im Angesicht des Verbrechens als Regisseur schuf, erkennt darin "das Einknicken vor der Quote" und empfindet das wie "eine Ohrfeige für den treuen Zuschauer". Herres spricht von seiner Befürchtung, die zehnte Folge könne als Stand Alone absaufen. Aber dann hätte man sie von Anfang an nicht allein stehend programmieren dürfen.

Die Saga einer Berliner Russenmafia wurde bereits zur Hälfte ausgestrahlt und hat bislang ein Publikum von konstant zwei Millionen. Zwei Millionen Menschen sind ordentlich, aber natürlich deutlich weniger als 3,5 Millionen, die den üblichen Zuschauerschnitt am Freitagabend bilden, wenn die ARD um 21.45 Uhr zur Tatort-Wiederholung ansetzt.

Doch wie heißt es, wenn begründet werden soll, warum es einen öffentlich-rechtlichen Rundfunk geben muss? Es heißt: Abgesehen von ihrem Verfassungsauftrag sind ARD und ZDF nötig, um das Marktversagen auszugleichen, und Marktversagen entstünde, gäbe es nur kommerzielles TV. Aufs Programm bezogen ist gemeint: Eine Demokratie kann auf Tagesschau, Heute, Telekolleg, auf Kultur, Klassik, Politik und Bildung, also auf Qualität selbst im Zerstreuungsmedium Fernsehen nicht verzichten.

Ein distanzierter Gastgeber

Das ist okay. Man beneidet die Deutschen im europäischen Ausland - für beinahe acht Milliarden Euro jährlich, die dem Gebührenrundfunk zur Verfügung stehen. Die gerade im Grundsatz beschlossene Haushaltsabgabe von 2013 an sichert ARD und ZDF mittelfristig den Bestand. Um die quasisteuerliche Finanzierung zu rechtfertigen, müssen sich die öffentlich-rechtlichen Anstalten stärker und deutlich vom Kommerz-TV unterscheiden. Das verlangt allerdings einen radikal anderen und neuen Umgang mit Quoten und Marktanteilen. Doch zu dem sind ARD und ZDF offensichtlich noch nicht bereit. Sie geraten deshalb zunehmend in Legitimationskonflikte.

Im Angesicht des Verbrechens ist eine für das Fernsehen wertvolle Produktion. Man kann sie auch kritisieren, trotzdem zählt sie zum Besten, was das deutsche Fernsehen zuletzt hervorgebracht hat. Sie ist Unterhaltung und Kultur, denn Fernsehfilme sind Teil der kulturellen Agenda einer Gesellschaft. Bei keinem der großen Privatsender wäre die Serie ins Schema aufgenommen: zu düster, dunkel, zu komplex erzählt, zu wenig frauenaffin. Man hört diese Einwände ständig, wenn es um die Beurteilung von Fiktion geht. Deshalb, sagt Programmdirektor Herres, sei Im Angesicht des Verbrechens bei der ARD entstanden: weil öffentlich-rechtlicher Rundfunk sich kümmere.

Hier stimmt das, und Herres hat als Programmdirektor öfter gegen den Mainstream entschieden. Doch wie fühlt sich jemand, der zu einer Party geladen wird und dann feststellt, dass sich der Gastgeber von ihm distanziert? Die Verschiebung des zehnten Teils von Im Angesicht des Verbrechens ist ein völlig überflüssiger Eingriff. Und ein System, das Quantität verehrt und Qualität bestenfalls duldet, verdient - in dieser Zeit jedenfalls - eines nicht: öffentliches Geld.

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