"Mission Impossible 4" im Kino:Herrlich altmodisch

Hängepartie mit ein bisschen Schweiß: Auf der vierten "Mission Impossible" verzichtet Regisseur Brad Bird auf technischen Firlefanz, Cyberspace oder 3-D. Der bald fünfzigjährige Körper von Ethan Hunt alias Tom Cruise leidet für uns.

Tobias Kniebe

Es gibt durchaus einen Grund, warum das Agententeam in diesem Moment in Dubai gelandet ist, im 164. Stock des Burj Khalifa, des höchsten Gebäudes der Welt. Man könnte sogar erklären, warum Ethan Hunt alias Tom Cruise da jetzt zum Fenster raus muss, zum Freistilklettern an der spiegelnden Glasfassade. Es spielt nur eben gar keine Rolle.

Denn erstens würde die Begründung, die das Drehbuch für die ganze Aktion bereithält, bei genauerem Hinsehen sofort in sich zusammenfallen; zweitens heißt die Filmserie, mit der wir es hier zu tun haben, nicht umsonst "Mission: Impossible"; und drittens interessiert auch den Regisseur Brad Bird erkennbar etwas völlig anderes.

Er zeigt uns die coolen schwarzen Hightech-Handschuhe, die Tom Cruise in Spider-Man verwandeln sollen, die seine Hände an der Glasfassade haften lassen, und erklärt uns auch das beruhigend blaue Leuchten der Dioden, die auf der Rückseite der Handschuhe angebracht sind. Es heißt: Alles in Ordnung. Und dann geht es um den Moment, in dem das blaue Leuchten erlischt. Und das rote angeht.

So sind wir dann voll dabei, baumeln hilflos an der Glasfassade überm gähnenden Abgrund. Die linke Hand hält noch - aber wie lange wohl? Außerdem nähert sich ein Wüstensturm. Und es ist durchaus eine relevante Information, dass Tom Cruise - ein Mann mit einem Privatvermögen von geschätzten 250 Millionen Dollar - sich stellvertretend für uns alle da rausgehängt hat, mit seinem echten, bald fünfzig Jahre alten Körper.

Es gibt ein ganzes Buch mit Fotos, dessen Zweck es ist, genau diese Körperarbeit zu dokumentieren. Natürlich wurde Cruise dabei von Stahlseilen gehalten, die sie hinterher wegretuschiert haben. Aber: Er hätte das nicht tun müssen, Computer können das heutzutage perfekt simulieren. Ist es esoterisch zu sagen, dass man trotzdem einen Unterschied spürt - in winzigen Schweißperlen auf der eigenen Haut?

Letztlich hängt da einer der Superreichen, der globalen ein Prozent - und offenbar geht es darum, einen Beitrag zu leisten, den Schulterschluss zu suchen, sich wenigstens für einen Moment mal an jenen Abgrund zu stellen, der unter den restlichen 99 Prozent der Weltbevölkerung schon länger klafft, metaphorisch gesprochen. Denn ja, Dinge können schiefgehen. Selbst Stahlseile können reißen. Manchmal tun sie es auch.

James Bond der Sechziger

Die Philosophie des Schiefgehens und die Frage, was danach kommt - das ist das eigentliche, durchweg erfreuliche Thema von "Mission: Impossible - Phantom Protokoll". Einmal mehr stellt sich da die Frage, wie das Blockbuster-Kino es immer wieder schafft, mit seinen Bildern so punktgenau in die Stimmungslagen der Welt hineinzuleuchten - die es doch, mit seinem Riesenapparat und seinen mehrjährigen Produktionszyklen, eigentlich kaum vorausahnen kann.

Kinostarts - 'Mission: Impossible - Phantom Protokoll'

Tom Cruise als Ethan Hunt in 'Mission: Impossible - Phantom Protokoll': Weiterklettern, es hilft ja nichts.

(Foto: dpa)

Die Antwort könnte mit der Tatsache zusammenhängen, dass der Regisseur Brad Bird aus dem Animationsfilm kommt. "The Incredibles" und "Ratatouille" hießen seine brillanten Arbeiten für das Studio Pixar, hier dreht er zum ersten Mal mit Schauspielern aus Fleisch und Blut. Niemand kann seine Figuren so quälen, die Philosophie des Schiefgehens so auf die Spitze treiben wie ein großer Animationsregisseur. Dies nun auf Menschen zu übertragen, die dabei aber gerade nicht wie gummiartige, unzerstörbare Comicfiguren wirken dürfen - das ist die große, schweißtreibende Leistung dieses Films.

Das Misstrauen gegen alles, was bisher noch routinemäßig funktioniert hat, geht aber noch viel weiter. Ethan Hunt muss selbst irgendwie versagt haben, sonst wäre er am Anfang kaum in einem russischen Knast. Vielleicht ist sein blaues Leuchten innerlich erloschen, schon während der letzten Mission - und er hat rot gesehen. Man munkelt jedenfalls von "unautorisierten Tötungen".

Sodann macht sich ein Schurke bemerkbar, der in irritierender Weise auf Lowtech setzt. Erst sprengt er ganz klassisch den halben Kreml in die Luft, dann gibt er den Amerikanern die Schuld daran - und das Script dazu scheint er aus einem James-Bond-Film der sechziger Jahre kopiert zu haben. Eine Langstreckenrakete mit Atomsprengkopf aus russischen Restbeständen, in seine Gewalt gebracht und auf San Francisco abgefeuert, soll den Gegenschlag auslösen und einen postnuklearen Winter heraufbeschwören ...

Man sieht das und reibt sich die Augen. Wo sind hier fünfzig Jahre Innovation geblieben, Matrix, Cyberspace, 3-D? In diesem Film hat sich das alles schon wieder aufgelöst, ist verdampft wie die neoliberale Wirtschaftstheorie, verpufft wie der irische Immobilienboom, pulverisiert wie ein isländischer Hedgefonds. Nur die alten Steuerungs-Satelliten der Russen, die gibt es noch - ein indischer Telekom-Anbieter hat da einfach Recycling betrieben. Auch der olle Aluminiumkoffer, der die Steuerung für den Atomsprengkopf enthält, erweist sich als unzerstörbar ...

Erstaunlicherweise fühlt sich das alles aber ganz richtig an, sogar zeitgemäß - und genauso selbstverständlich erscheint das, was derweil auf der Seite des "Mission: Impossible"-Teams passiert. Ethan Hunt gilt auf einmal als Schuldiger für die Kreml-Explosion, das Weiße Haus will nichts mehr von ihm wissen, ja schlimmer noch: Es leugnet, dass es überhaupt je eine "Impossible Missions Force" gegeben hat.

Mit drei letzten Getreuen ist er nun ganz auf sich allein gestellt, ohne Backoffice und Luftunterstützung gewissermaßen, und ein Gadget nach dem anderen versagt. Auch dieses Gefühl erzeugt eine gewisse aktuelle Resonanz.

Was schließlich die Fassade des Burj Khalifa betrifft - die muss natürlich trotzdem erklommen werden, Technik hin oder her. Die Sache ist sozusagen alternativlos. Ein Teamgefährte fühlt sich bemüßigt, über Funk die Minuten des Countdowns durchzugeben, die noch bleiben. "That's not really helping", faucht Tom Cruise da, beinah ein Angela-Merkel-Moment. Dann schleudert er den kaputten Handschuh in die Tiefe - und klettert weiter.

MISSION IMPOSSIBLE - GHOST PROCOL, USA 2011 - Regie: Brad Bird. Buch: Josh Appelbaum, André Nemec. Kamera: Robert Elswit. Musik: Michael Giacchino. Mit Tom Cruise, Jeremy Renner, Paula Patton, Michael Nyqvist, Léa Seydoux. Paramount, 133 Minuten.

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