Doppel-Tatort aus Leipzig und Köln:Lässig trotz Nasenbluten

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Der Tatort als zweiteiliges Crossover-Experiment: Die Ermittler aus Leipzig und Köln suchen einen Serientäter. Der erste Teil aus Leipzig wirkt kühl, der zweite Teil aus Köln sehr deutsch. Wäre da nicht Martin Wuttke, der an Dr. House erinnert und dabei fast amerikanisch aussieht.

Holger Gertz

Martin Wuttke hat große und größte Rollen am Theater gespielt, eigentlich ist dieser Leipziger Tatort-Kommissar Keppler ein paar Nummern zu klein für ihn. Wuttke, der sich seines Genies bewusst ist, spielt den Keppler so runter, allerdings nicht schlampig, sondern cool, das passt zu seinem Stil: Maßanzug, nach hinten geschlotztes Resthaar.

Auf der Jagd nach einem Serientäter kommt es zur Schlägerei zwischen Ballauf aus Köln und Keppler aus Leipzig. Es gewinnt: Keppler. (Foto: dapd)

Zu Ostern kommt der Tatort als Doppelfolge, die Kölner und die Leipziger Kommissare suchen gemeinsam einen Serientäter, der minderjährige Prostituierte umbringt. Der erste Teil, "Kinderland" vom MDR, ist kühl und spannend. Die Mädchen sehen aus, wie Mädchen aussehen, die zu viel erlebt haben. Die Gast-Kommissare Ballauf und Schenk mischen der Handlung ihr manchmal nerviges Moralisten-Aroma unter. Hier sind die Kölner Gutmenschen aber der Kontrast zum eisigen Keppler, der sich keine Illusionen über Menschen macht, weil er Menschen kennt. "Schon mal mit Abnehmen versucht?", fragt er die dicke Mutter eines Opfers. "Schon mal von Hartz 4 gelebt?", fragt die zurück - die Episode enthält sehr hübsche Dialoge. Und wenn Keppler den Mädchen auf dem Strich "viel Spaß" bei ihrer Arbeit wünscht, sorgt er dafür, dass das harte Thema nicht ins Sentimentale kippt. Später dann: Schlägerei zwischen Ballauf und Keppler. Es gewinnt: Keppler, also Wuttke, der auch mit Blutnase unfassbar lässig aussieht.

Nachhilfe in Betroffenheitskunde

"Seit diesen amerikanischen Serien rennen alle Mörder mit scharfen Putzmitteln rum", sagt der Kölner Kommissar Freddy Schenk bereits im ersten Teil dieser Doppelfolge. Die realen Täter haben sich also von Fernsehproduktionen inspirieren lassen, allerdings haben sich auch die realen Zuschauer von den Serien inspirieren lassen. Die Beliebigkeit vieler Tatorte fällt dem Publikum inzwischen deshalb so sehr auf, weil es nun weiß, dass man Geschichten auch anders erzählen kann: schnell statt schludrig, witzig statt albern, berührend statt sentimental.

Teil zwei dieses Crossover-Experiments, die Episode "Ihr Kinderlein kommet" vom WDR, ist dann stellenweise doch sehr deutsch geraten. Schenk und Ballauf stehen mit bleichen Gesichtern vor einer Leiche, oder mit alarmierend erhobener Pommesgabel an der Wurstbude. Geiger schrammeln vom Rhein rüber, während die Kommissare über verkaufte, ermordete, vergewaltigte Kinder reden. "Welches Tier tut Kindern das an?" - "Eins, das aufrecht geht und auf zwei Beinen steht." Als wüssten die Zuschauer nicht selbst, dass Menschen oft Monster sind: Sie können das ja jeden Tag in der Zeitung lesen. Was das Krimipublikum als letztes braucht, ist Nachhilfe in Betroffenheitskunde.

Dass der Zweiteiler dennoch zu den sehenswerteren Ausgaben des Tatort-Jahrgangs gehören, liegt am Leipziger Ermittler-Teil, Simone Thomalla und Martin Wuttke, der wie ein ferner Verwandter von Dr. House am Ende mit allen anderen an der ewigen Wurstbude steht, dünn lächelt, Limo trinkt und fast ein bisschen amerikanisch aussieht dabei.

ARD, So und Mo 20:15 Uhr

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© SZ vom 07.04.2012 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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