Nationalpark Bayerischer Wald:Genuss auf Granit

Im Nationalpark Bayerischer Wald ist aus dem Fluch des Borkenkäfers ein Segen geworden. Die abgestorbenen Bäume ermöglichen fantastische Aussichten von den Bergen und neue Tourismus-Konzepte zielen auf Wanderer, für die der Gipfelsturm nicht alles ist.

Stefan Fischer

Von Norden her ziehen dunkle Wolken über den Rachel herauf. Westlich dieses Bergs, in Frauenau, regnet es bereits. Man kann das hier oben am Lusen, knapp unterhalb des Gipfels, sehr schön beobachten. Wie die Wolken das Wasser nicht mehr halten können und es erst an zwei, dann an immer mehr Stellen aus ihnen hinausläuft. Als stünde eine Reihe riesiger Sanduhren beieinander, so sieht das aus, nur rieselt der Regen nicht so stoisch senkrecht hinunter wie der Sand in einem Glasgehäuse - der Wind bläst die Wassersäulen mal in die eine Himmelsrichtung, dann zerrt er sie wieder in eine andere. Bei aller Tänzelei hierhin und dorthin ist jedoch nicht zu übersehen: Beharrlich kommt das schlechte Wetter näher.

Nationalpark Bayerischer Wald Lusen Wandern

Die kahle Gipfelregion des Lusen ist ein Produkt eiszeitlicher Kräfte und ein hervorragender Aussichtspunkt.

(Foto: Stefan Fischer)

Eine halbe Stunde später wird es also auch über dem Lusen regnen. Dass sich der Himmel verdunkelt und ein Wetter aufzieht, kann sehr schnell gehen im Nationalpark Bayerischer Wald. Also rasch die letzten Stufen der granitsteinernen Himmelsleiter hinauf auf den Gipfel, einen Blick noch hinunter, dorthin, wo man hergekommen ist, vom Teufelsloch. Und dann schnell hinein ins Lusenschutzhaus, 30 Meter unterhalb des Gipfels. Wenn man die Wirtin Ilse Dankesreiter morgens anruft, um sie zu fragen, wie das Wetter werden soll, sagt sie: "Wenn ich das wüsste, wäre ich nicht Lusenwirtin." Sondern Prophetin. Zu wechselhaft ist das Wetter.

Wobei, die Bezeichnung der Bergwirtschaft als Schutzhaus kommt heutzutage doch einer Hochstapelei gleich. Das Steinhaus liegt auf gerade einmal 1350 Metern Höhe, eine halbe Stunde Fußmarsch vom nächsten Parkplatz entfernt. "Früher war ein Schutzhaus nötig", sagt Ilse Dankesreiter. 1938, als das Haus gebaut wurde, konnte man noch nicht bis kurz vor die Tür mit dem Auto fahren; auch die Ausrüstung der Wanderer war einfacher als heute.

"Inzwischen ist das natürlich etwas anderes", sagt die Wirtin. Heute kehren Wanderer bei ihr in der Regel wegen Rast, Hunger und Durst ein und nicht, um Schutz zu finden: auf einen Brotzeitteller also, ein saures Lüngerl oder einen Schweinsbraten. Seit 17 Jahren hat Ilse Dankesreiter das Lusenschutzhaus gepachtet, das der Sektion Grafenau des Bayerischen-Wald-Vereins gehört; davor hatte sie bereits bedient in dem Berggasthaus. Im November 2013 ist Schluss für sie, dann hat sie diese Arbeit lange genug gemacht.

Das Lusenschutzhaus ist eines der begehrtesten Ausflugsziele im Nationalpark, entsprechend geschäftig geht es zu. Einheimische gehören zu Dankesreiters Gästen ebenso wie Urlauber aus ganz Deutschland. Immer mehr Tschechen kommen; die Grenze zu Böhmen ist vom Lusengipfel in Sichtweite.

Hinzu kommt, dass bis zu 21 Menschen, jedenfalls im Sommer und wenn sie sich angemeldet haben, auch übernachten können. Die Tage, an denen das Haus die Nacht über leer steht, seien die wenigeren, sagt Ilse Dankesreiter. Ein wenig hat es sich seinen Schutzhaus-Charakter eben doch bewahrt.

Verbindung von Natur, Kultur und Kulinarik

Man kann den Bayerischen Wald belächeln, als eine Hügellandschaft ohne spektakuläre Gipfel, als ein Gebirge für Spaziergänger. Und verkennt dabei aber zumindest einen Wandertrend: Gipfel sind längst nicht mehr das alleinige Ziel einer Wanderung. Der Goldsteig führt durch den Bayerischen Wald, ein Fernwanderweg, der trotz fehlender steiler Anstiege nicht zu unterschätzen ist. Und der ohne das Lusenschutzhaus nicht denkbar wäre.

Nationalpark Bayerischer Wald Lusen Wandern

Kunst im Wald: Vor der Einkehr in das Lusenschutzhaus passiert man eine Glasarche in einer hölzernen Hand.

(Foto: Stefan Fischer)

Wer den Lusen von Waldhäuser her hinaufsteigt, geht an der Martinsklause vorbei. Dort ist ein kleiner See aufgestaut, von dem aus früher Holz die Kleine Ohe hinabgeflößt worden ist. Weiter oben trifft man auf die Glasarche. 2003 haben Glasschleifer und -maler, angeleitet von den Glaskünstlern Ronald Fischer und Hubert Stern, die Arche aus 480 einzelnen Glasplatten gebaut. Tschechische Bildhauer haben eine hölzerne Hand geschaffen, in die das Schiff gelegt wurde.

Es geht nicht immer um den Gipfel und um die Anstrengung, auf ihn hinaufzugelangen. Natur, Kultur, auch Kulinarik zu verbinden mit einer Wanderung - darin steckt ein touristisches Potenzial. Der Reiseveranstalter Hauser zum Beispiel, der anfangs, vor knapp 40 Jahren, ausschließlich Extremtouren in den Himalaya verkauft hat, bietet nun auch im Bayerischen Wald "Wandern in Deutschland" an. Eine Woche lang vergleichsweise kurze Touren mit wenigen Höhenmetern, Hotels mit Wellness-Angebot und guter Küche - und ein lokaler Wanderführer, der mehr erzählt als führt. "Gschichteln" nennt Peter Maier das, was er zum Besten gibt.

Maier ist Lebensmittelkontrolleur, hat sich mittlerweile aber auch einen Namen als Geschichtenerzähler und Naturführer gemacht. Er kennt all die Sagen, die sich um Teufelsloch und Himmelsleiter ranken. Richtig ernst nimmt er sie nicht - es sind halt Gschichteln. Das unterscheidet ihn von einem gewöhnlichen Fremdenführer, er bläst sich und die Dinge nicht auf. Was soll er lang und breit über Ammenmärchen reden.

Reden kann man mit dem 62-Jährigen stattdessen vortrefflich über die Entscheidung, in der Kernzone des Nationalparks die Borkenkäfer nicht zu bekämpfen. Viel Streit hat es darüber gegeben. Man müsse das verstehen, sagt er. Über Generationen hinweg hätten die Leute vom Wald, vom Holz gelebt. Man habe das an der Martinsklause sehr gut sehen können, an der alten Flößeranlage. Und auf einmal soll das Holz keinen Wert mehr haben, lässt man einen Wald einfach sterben.

Toter Wald verbessert den Ausblick

Nationalpark Bayerischer Wald Lusen Wandern

Der Bayerische Wald wird oft belächelt als Gebirge für Spaziergänger - dabei können die Wanderungen durchaus anspruchsvoll sein.

(Foto: SZ-Karte)

Nicht viele Menschen im Bayerischen Wald haben sich vorstellen können, dass sich die Attraktivität ihrer Heimat dadurch für Besucher steigern würde. Aber zum einen hat man auf den Bergen derzeit einen phantastischen Ausblick. "Den hat es vor 20, 30 Jahren nicht gegeben", sagt Peter Maier. Daneben sind die Totholz-Areale auf ihre Weise tatsächlich sehenswert im Sinne eines außergewöhnlichen, nur hier anzutreffenden Landschaftsbildes.

Und, das ist das Wichtigste, es wächst ein neuer Wald nach. Peter Maier kann dazu einiges sagen, es gibt unterhalb des Blockmeeres aus den vom Frost gesprengten Granitplatten, die den Gipfel des Lusen bilden, außerdem einen Lehrpfad durch ein Stück dieses Waldes, in dem man Vergehen und Werden besonders gut studieren kann.

Einbußen im Tourismus hat es nicht gegeben, anders als befürchtet. So wie man den einheimischen Skeptikern genau erklären musste, weshalb man den Wald sich selbst überlässt, so hat man es Fremden gegenüber auch getan und tut es noch. Wahrscheinlich ohne es zu ahnen, hat man dadurch die Voraussetzungen geschaffen, um von der neuen Entwicklung im Wandertourismus zu profitieren.

Urlauber wollen heutzutage die Bergwelt ohne allzu große Anstrengung sinnlich erleben, wollen oft auch etwas darüber erfahren. Sie wollen also etwas erzählt bekommen, damit sie selbst etwas erzählen können. Am besten nicht bloß Gschichteln.

Informationen:

Anreise: Von München mit dem Auto in etwa zweieinhalb Stunden über Deggendorf, Grafenau und Spiegelau zum Parkplatz Waldhäuser am Lusen. Von dort in etwa zwei Stunden hoch zum Lusenschutzhaus.

Übernachtung: Lusenschutzhaus, ÜF für 28 Euro, nur sommers und nach Anmeldung. Tel.: 08553/1212, www.lusenschutzhaus.de

Reisearrangements: Im neuen Angebot "Wandern in Deutschland" von Hauser gibt es eine einwöchige Tour im Bayerischen Wald für 650 Euro pro Person. www.hauser-exkursionen.de

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