Kinofilm "The Congress":Virtuelle Rollenspiele

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In "The Congress" zeigt Ari Folman wie die digitale Jugend aussehen könnte und prophezeit die beliebige Reanimierbarkeit jeder Figur. (Foto: Pandora Filmverleih)

Rauschhaft schön und bitter: Ari Folmans Film "The Congress" imaginiert unsere virtuelle Zukunft. Das digitale Ebenbild wird zur scheinbaren Wahrheit. Dabei wird deutlich, dass wir längst in einer nachkorrigierten Welt leben.

Von Susan Vahabzadeh

Der Film beginnt mit einem Karriereende. Die Schauspielerin Robin Wright wird von ihrem Agenten in die Zentrale eines Unterhaltungskonzerns geladen, der ihr einen letzten Vertrag anbietet: Sie ist zu alt, sagt man ihr, um noch Rollen zu bekommen, jenseits der fünfzig wird alles endgültig vorbei sein. Sie kann aber nun unterschreiben, dass sie sich nie wieder in der Öffentlichkeit blicken lässt, nachdem das Filmstudio sie und jede ihrer Gefühlsregungen am Computer vermessen hat - um mit ihrem digitalen Ebenbild weitere Filme zu produzieren. Im Gegenzug wäre sie finanziell abgesichert. Die Karriere lief sowieso schon schlecht, sie lebt in einem als Wohnhaus hergerichteten Hangar, eines ihrer Kinder ist krank. Sie unterschreibt.

Ari Folman, dessen spektakulärer Zeichentrick-Albtraum "Waltz With Bashir" für einen Oscar nominiert war, hat für seinen neuen Film "The Congress" einen Roman von Stanislaw Lem verwendet. Lems halluzinogene Drogen ersetzt er mit der Volksdroge Entertainment, mit dem merkwürdigen modernen Personenkult, der sich an einem öffentlichen Menschen festmacht und dann alles von ihm verlangt - nur nicht sein wahres Gesicht.

Es gibt hier mindestens drei Varianten von Robin Wright: in der "realen" Ebene, in den Tricksequenzen, im Film im Film. Keine davon ist die echte, auch nicht die, die dann vermessen wird. Der Vorgang erweist sich als mühselig: lachen, weinen, sich fürchten in den leeren Raum hinein, das schafft sie erst, als ihr Agent (Harvey Keitel) sich als das Gegenüber anbietet, ihre Gefühle reflektiert - und dann wird alles, was sie zu geben hat, in einen beliebig neu kombinierbaren Datensatz verwandelt. Eine ewig junge, emotional biegsame, computergenerierte Robin Wright wird dem Unterhaltungsriesenkonzern einverleibt und ein Actionstar für die Ewigkeit, Heldin einer Endlos-Kinoreihe. Die echte Frau aber soll verschwinden, damit sie ihr altersloses Abbild nicht stören kann.

Eine nachkorrigierte Welt

Als sie zwanzig Jahre später, in der Wirklichkeit alt und runzlig geworden, zu einem Kongress ihrer Studiobosse geladen wird, ist es nur logisch, dass man dafür eine Schranke passieren muss in ein komplett computergeneriertes Umfeld - eine wunderbare Spielwiese für Folmans 3D-Animationen, ein Reich voller bizarrer Pflanzen und unbaubarer Räume, in dem die Menschen die Trickvariante dessen sind, was sie sein wollen - ihr Lieblingsschauspieler zum Beispiel, aber entmenschlicht: ohne Bandscheibenvorfall und Depressionen. Robin Wright bleibt bei ihrem Eintritt in die Comic-Figur so alt, wie sie ist, rebellisch und sperrig und konfrontativ.

Ein ziemlich bitterer Kommentar, den Ari Folman sich da zusammengesponnen hat: Wir leben längst in einer nachkorrigierten Welt, in der wir gar nicht mehr wahrnehmen, was real ist. Schon gar nicht im Kino, und noch weniger in der Werbung: Kosmetik-Spots sind Zeichentrickfilme geworden, aufgebaut nach demselben Prinzip wie im "Congress": Man kauft sich die Bedeutung im Gesicht einer Schauspielerin, die nicht mehr ganz jung ist - und friert diese Gesicht dann ein, als Maske der Jugend im Datenspeicher konserviert.

Natürlich zettelt die Comic-Robin auf dem Kongress einen Aufstand an. Als sie von einem Steve-Jobs-artigen Einpeitscher auf die Bühne geholt wird, sagt sie nicht, was sie sagen soll, sie sagt, was sie denkt. Es ist aber schon zu spät - das Zeichentrick-Universum ist außer Rand und Band, vielleicht hat irgendjemand ganz oben die Kontrolle, so eine Art göttlichen Bildschirm.

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Aber eigentlich ist es egal, die Welt hat sich verwandelt in eine Diktatur des Entertainments; in Lems Roman "Der futurologische Kongress" beruhigt ein totalitäres Regime seine rebellierenden Untertanen mit künstlich erzeugten Halluzinationen. Folman hat von der eigentlichen Handlung wenig übernommen, aber eben die Grundidee beibehalten. Wir amüsieren uns sozusagen zu Tode.

Paradoxerweise ist das, was dann in diesem virtuellen Vergnügungspark passiert, rauschhaft und schön, und nur manchmal verstörend und verängstigend. "The Congress" ist ein Film, der nur innerhalb seiner eigenen Traumlogik wirklich stringent ist. Wie sich das Innere des virtuellen Zeichentrick-Universums zur Realität außerhalb verhält, die es durchaus noch gibt, ist nicht so klar und nachvollziehbar aufgebaut wie in "The Matrix". Auch wenn es - so scheint es zumindest - auf ähnliche Verhältnisse hinausläuft: Am Ende bleibt nichts als Phantasie, die Wirklichkeit hat ausgedient, sie ist nur noch zum Sterben gut.

The Congress , Israel/D/Polen/Luxemburg/F/Belgien 2013, Regie und Drehbuch: Ari Folman. Animationsregie: Yoni Goodman. Kamera: Michael Englert. Mit: Robin Wright, Harvey Keitel, Danny Huston, Paul Giamatti. Pandora, 122 Minuten.

© SZ vom 17.09.2013 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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