Gurlitts Gemälde:Welches Recht gilt im Nirwana?

Gurlitts Gemälde: Einige der im Netz veröffentlichten Bilder: Hans Christoph, "Paar", Aquarell, 1924; Wilhelm Lachnit, "Mann und Frau am Fenster", Aquarell, 1923; Otto Griebel: "Kind am Tisch", undatiertes Aquarell.

Einige der im Netz veröffentlichten Bilder: Hans Christoph, "Paar", Aquarell, 1924; Wilhelm Lachnit, "Mann und Frau am Fenster", Aquarell, 1923; Otto Griebel: "Kind am Tisch", undatiertes Aquarell.

(Foto: Staatsanwaltschaft Augsburg/dpa)

Wie auch immer man es dreht, die Ansprüche von NS-Opfern auf Bilder aus dem Schwabinger Kunstschatz sind verjährt - es sei denn, Cornelius Gurlitt darf sich nicht auf diese Verjährung berufen. Genau das ist der Fall, weil sein Vater einst gelogen hat. Der Staat muss die Bilder behüten, bis die Eigentumsverhältnisse geklärt sind.

Ein Kommentar von Heribert Prantl

Das Schlüsselwort für den Gurlitt-Schatz heißt Verjährung; es beantwortet viele Fragen, die mit diesen Bildern zu tun haben. Und es stellt sich heraus, dass sich die Bilder zwar derzeit in Obhut des Staates, aber gleichwohl in einem seltsamen Status befinden, in einem Nirwana beinah. Weil das Recht das nicht billigt, muss der Staat Fotos der Bilder ins Internet zu stellen, auf dass die Eigentumsverhältnisse geklärt werden können.

Der Zugriff der Staatsanwaltschaft auf die Wohnung des Beschuldigten Gurlitt erfolgte nach den Regeln des Strafrechts - wegen des Verdachts der Steuerhinterziehung, womöglich auch der Unterschlagung und des Betrugs; der Zugriff war gesegnet mit der Entdeckung wertvollster Kunst. Das war Anfang 2012; seitdem sind die Bilder in staatlicher Obhut. Um den Beschuldigten Gurlitt hat sich die Staatsanwaltschaft in dieser Zeit nicht gekümmert. Das hat einen einleuchtenden Grund: Es stellte sich wohl heraus, dass die strafrechtlichen Vorwürfe, die man ihm machen kann, verjährt sind - bis auf ein bisschen Steuerhinterziehung womöglich, die aber eine so gigantische Beschlagnahme nicht rechtfertigt.

Eigentlich müssten also die Bilder, deren Erwerbskette in der Nazi-Zeit beginnt, an Gurlitt zurückgegeben werden; die Beschlagnahme hat ja keine Basis mehr. Nun kommt aber das Zivilrecht ins Spiel: Opfer des NS-Regimes und deren Erben könnten ihre Eigentumsansprüche geltend machen, wenn sie am Beginn der Besitzkette standen, bevor die Nazis zugegriffen haben. Auch diesen zivilrechtlichen Ansprüchen von NS-Opfern stellt sich aber womöglich die Verjährung entgegen; denn selbst die längste Verjährungsfrist, die es im Zivilrecht gibt, die absolute Frist von dreißig Jahren, ist längst verstrichen.

Wie immer also die Ansprüche von NS-Opfern auf die Bilder konstruiert werden: Sie sind verjährt - es sei denn, Gurlitt darf sich nicht auf diese Verjährung berufen. Und genau so ist es: Es gibt hier keine Verjährung, weil sein Vater, der ihm die Bilder vererbte, einst wahrheitswidrig behauptet hat, die Bilder seien bei Kriegsende verbrannt. So hat er verhindert, dass NS-Opfer rechtzeitig Ansprüche geltend machen konnten. Gurlitt, dessen Straftaten zwar verjährt sind, kann daher den Ansprüchen von NS-Opfern auf Herausgabe der Bilder nicht die Verjährung ihrer Ansprüche entgegenhalten. Das widerspräche Treu und Glauben.

Aus alledem folgt: Die Bilder müssten vom Staat, der sie strafrechtlich beschlagnahmt hat, eigentlich an Gurlitt zurückgegeben werden; der müsste sie dann eines Tages wieder an die wahren Eigentümer herausrücken. In dieser Hin-und-Her-Situation greift nun das Washingtoner Abkommen ein: 43 Staaten plus Deutschland haben sich 1998 verpflichtet, von Nazis konfiszierte Kunst zu identifizieren und zu publizieren, um die wahren Eigentümer zu finden.

Dieses Abkommen verpflichtet zwar nur den Staat, nicht Private wie Gurlitt. Nachdem aber der Staat noch im Besitz der Bilder ist, entfaltet das Abkommen seine Wirkung: Der Staat muss die Bilder behüten, bis rechtliche Klarheit herrscht.

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