"Inside Llewyn Davis" in der SZ-Cinemathek:Hölle aus Hohn und Spott

Oscar Isaac in "Inside Llewyn Davis"

Schauspieler Oscar Isaac als Llewyn Davis

(Foto: dpa)

Mit "Inside Llewyn Davis" sind die Coen-Brüder zu einer Dimension des Humors vorgestoßen, die im Grunde unerklärlich ist. Und dennoch ist der Film eine todtraurige Meditation über die Künstlerseele und ihre Zerbrechlichkeit.

Von Tobias Kniebe

Genies werden sich immer durchsetzen. Werden Spott und Unverständnis überwinden, dazu bitterste Armut in den frühen Jahren, werden niemals den Mut verlieren, eisern an sich glauben und arbeiten, weil sie, verdammt noch mal, dazu geboren sind.

So geht sie, die Ballade von der Berufung des Künstlergotts, wie sie die Philosophen seit Urzeiten singen. Was aber, wenn das alles Mist ist? Klugscheißerei im Nachhinein, wenn alles längst entschieden ist? Reine Siegergeschichte?

Dann gibt es - nur als Beispiel - nicht einen Bob Dylan da draußen, sondern zehn. Oder vielleicht sogar zwanzig. Die leider nur kein Mensch kennt. Weil die Seele des Genies eben doch fragil ist. Und weil sie, statt sich durchzusetzen, eines kalten Wintertages vielleicht einfach zerbricht.

Tief im Herzen von "Inside Llewyn Davis", dem neuen Film von Joel und Ethan Coen, liegt diese todtraurige Idee verborgen. Mit ziemlicher Sicherheit ist es die traurigste Idee, die das Brüderpaar jemals hatte. Aber weil sie Genies sind, die sich noch dazu in der Welt durchgesetzt haben, ist trotzdem einer ihrer komischsten Filme daraus geworden.

Greenwich Village, New York City, im Jahr 1961. Llewyn Davis (ein umwerfend guter Oscar Isaac), Mitte zwanzig, Kind eines Matrosen der Handelsmarine, ist ein Musiker von existenzieller Erfolglosigkeit. Sein Herz gehört dem Folk, den Traditionals der Immigranten und Seefahrer, die er wunderschön und mit großem Ernst zur Gitarre singt. Und was immer die Coen-Brüder sonst mit ihm anstellen - sie teilen diesen Respekt vor der Musik. Songs wie "Hang Me, Oh Hang Me", die er spielt, und Personen, die auftauchen, sind voller Bezüge und Querverweise zur Popgeschichte. Und die Lieder werden - was ja eigentlich die mindeste Form der Anerkennung ist - vollständig ausgespielt.

Bob Dylan betritt die Weltbühne

Das Jahr 1961 ist voller Bosheit ausgewählt, denn die Folkmusik liegt eigentlich schwer im Trend - historisch sind wir nur Minuten von dem Moment entfernt, an dem Bob Dylan erstmals die Szene, und damit die Weltbühne, betritt. Nur der gebeutelte Llewyn Davis - der hat von dieser Revolution leider gar nichts.

Seine erste Soloplatte, "Inside Llewyn Davis" heißt sie, liegt wie Blei in den Kisten seiner winzigen Plattenfirma. Der Winter in New York ist bitterkalt, aber sein Geld reicht nicht einmal für einen warmen Mantel. Jeden Tag muss er sich eine andere Couch zum Schlafen suchen, außerdem hat er eine hübsche Exfreundin (Carey Mulligan) geschwängert, die jetzt mit einem Kumpel verheiratet ist und ihm in Sachen Abtreibung die Hölle heiß macht. Da kann man schon drüber nachdenken, alles hinzuschmeißen.

"Man stürzt sich von der Brooklyn Bridge"

Einer, der schon alles hingeschmissen hat, und zwar endgültig, ist Llewyns Duettpartner. Mike ist eines Tages von der George Washington Bridge gesprungen. Es gibt keine Rückblende mit ihm, aber einmal sieht man kurz die Platte, die sie zusammen aufgenommen haben. Wie jung und oberschmalzig und hoffnungsfroh strahlen sie da! Und darüber steht dann der Schriftzug: "If We Had Wings".

Als Mike von der Brücke sprang, hatte er keine Flügel, so viel ist mal sicher. Die Hinschmeißer und Kneifer, sie werden nicht nur aus der Geschichte getilgt - es wartet auch noch eine Hölle aus Hohn und Spott auf sie. Als Sendbote aller Gemeinheiten, zu denen die Coens fähig sind, taucht wieder einmal ihr alter Kumpel John Goodman auf. Er spielt einen Jazzer namens Turner, reich, drogensüchtig und völlig aus der Form gegangen, der Llewyn einmal im Auto mitnimmt. Er verschluckt sich fast, als er Mikes Geschichte hört.

"Die George Washington Bridge? Man stürzt sich von der Brooklyn Bridge. Schon aus Tradition. George Washington Bridge! Wer bitte macht denn so was?"

Llewyn Davis muss weitermachen

Solch schnaubende Verachtung will Llewyn Davis nicht auf sich ziehen, also muss er weitermachen. Aber die Erniedrigungen nehmen kein Ende. In Chicago spielt er einem wichtigen Clubbesitzer vor. Grellkaltes Winterlicht fällt in den Raum, in dem noch der schale Rauch der letzten Nacht hängt. Und F. Murray Abraham, dessen Gesicht schon immer wie aus schalem Rauch gemeißelt war, spielt den Impresario. Er sitzt breitbeinig da und lauscht mit versteinerter Miene, wie Llewyn sich die Seele aus dem Leib singt. Dann sagt er: "I don't see a lot of money here."

Klingt es jetzt glaubwürdig, wenn man schwört, dass man an dieser Stelle laut auflachen muss? Wahrscheinlich nicht. Es ist aber so. Die Coens sind inzwischen zu einer Dimension des Humors vorgestoßen, die im Grunde unerklärlich ist. Man könnte genauso gut weinen, und man hat hinterher nicht die leiseste Ahnung, wie einem geschehen ist.

Um die Dinge noch komplizierter zu machen, ist Llewyn Davis nicht wirklich ein netter Typ. Er ist auf die Großzügigkeit anderer Menschen angewiesen und weil er das hasst, hasst er die Menschen gleich ein bisschen mit. In künstlerischen und lebensphilosophischen Fragen setzt er auf rückhaltlose Ehrlichkeit - auch das kommt nicht immer gut an.

Das Kino gibt jedem eine zweite Chance

Schließlich ist da noch die Katze. Sie entwischt aus einer Wohnung, in der Llewyn übernachtet hat. Er ist schuld. Seine Versuche, sie zurückzubringen, scheitern kläglich. Schließlich kommt der Moment, wo ihm die Schwierigkeiten über den Kopf wachsen und er das arme Tier im Stich lässt - ähnlich wie einst Audrey Hepburn in "Breakfast at Tiffany's".

Das Kino aber gibt jedem eine zweite Chance. Wie Hepburn sie damals ergriffen hat - das war eine der schönsten Lügen der Filmgeschichte. Und Llewyn Davis? Sagen wir es so: Genies, die sich mit solcher Chuzpe durchgesetzt haben wie die Coen-Brüder - die lügen auch nicht mehr.

Inside Llewyn Davis, USA 2013 - Regie und Buch: Joel und Ethan Coen. Kamera: Bruno Delbonnel. Mit Oscar Isaac, Carey Mulligan, John Goodman, Justin Timberlake. Studiocanal, 105 Minuten.

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