Referenzen im Hessen-"Tatort":Feuilleton und Blutrausch

Im Netz wird heftig darüber gestritten, ob der "Tatort" vom Sonntag der brillanteste aller Zeiten war - oder nur der schwachsinnigste. Zumindest erhob "Im Schmerz geboren" bei aller Brutalität das Zitieren von Tarantino, Shakespeare, Beethoven und anderen großen Meistern zum Kult.

Von Gerhard Matzig

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Mit Blick auf die wie im Schmerz geborene Debatte um den letzten "Tatort" (Titel: "Im Schmerz geboren") ist zu vermuten, dass zu den 49 im Blutrausch gemetzelten Rekord-Toten noch ein paar gröbere Verwundungen hinzukommen.

Das sind dann die rhetorischen Verletzungen, die sich im Netz die entweder begeisterten oder entsetzten Fans beibringen. Wobei offen ist, ob dieser Hessen-"Tatort" rund um den herrlich seltsamen LKA-Ermittler Felix Murot (Ulrich Tukur) der brillanteste "Tatort" aller Zeiten ist - oder nur der schwachsinnigste.

Nicht einmal die Bild-Zeitung will sich wirklich festlegen und urteilt: "genial gaga". Was aber hat die üblicherweise langweilige Sonntag-Abend-Routine im Ersten zum polarisierenden TV-Ereignis werden lassen? Es ist die alle Formen und Konventionen sprengende, im Grunde natürlich tollkühne Verbindung von Kunst und Krimi, von Feuilleton und Blutrausch, von Hochkultur und Abgrund.

Der so entstandene "Tatort" voller Tarantino, Shakespeare und Beethoven ist daher nicht nur ein großes Rätselraten zur Frage "Wer hat was warum getan", sondern auch ein gigantisches Feuilleton-Quiz, in dem es um Oper und Theater, Kino und Klassik, Architektur und Literatur geht. Hier eine erste (unvollständige!) Sichtung jener Szenen und Verweise, die möglicherweise auf ein Hochamt der Kultur hindeuten - aber zumindest die Zitiererei zum Kult erheben.

Es beginnt schon mit dem Erzähler Alexander Held, der sich so bildhaft wie tatsächlich den Mantel der Geschichte überstreift, um in der, sagen wir, bemühten Sprache Shakespeares wie auch im Wissen um das auktoriale Theater Brechts als allwissender Erzähler aufzutreten. Er steht auf einer Art Bühnenboden, angestrahlt von einem punktförmigen Scheinwerfer - und spricht direkt ins Publikum: "Kein Blut, nichts ist real. Alles Trug, alles Illusion.

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Spätestens hier wird klar, was nun kommt: ganz großes Theater. Man fühlt sich an die Königsdramen Shakespeares erinnert, wenn Held, der bald als Bandenboss "Don" Bosco tot sein wird, deklamiert: "Ein Mann kehrt zurück / und im Gepäck der Ballast der Vergangenheit / nun wird er zum Weh der Gegenwart . . ."

Dass es hier aber nicht nur um großes Theater, sondern auch um großes Kino geht, zeigt uns der Schmetterling am Ende des Vorspanns, der den Zuschauer rätseln lässt: Wie jetzt, Richard III. oder Schweigen der Lämmer oder was? Oder doch Billy Wilder, in dessen Film "Sunset Boulevard" die Leiche munter weiter redet.

Dazu setzt die vom HR-Sinfonieorchester eingespielte Filmmusik ein, die von Beethoven über Chopin, Sibelius, Grieg, Vivaldi und Bach kaum etwas auslässt, was Rang und Namen und Unter-die-Haut-geh-Potenzial besitzt. Der Showdown am Ende, ästhetisch bei Tarantino entlehnt, wird dann mit Verdi unterlegt: mit dem Freiheits-Chor (Gefangenen-Chor) aus Nabucco.

Radikal frei oder im Kunst-Klischee gefangen - auch so eine Frage, die dieser Extrem-"Tatort" aufwirft.

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Dann die Szene am Bahnhof: Es ist heiß, es ist leer, es ist tödlich. Sogar das von irgendwoher herüber wehende leise Quietschen erinnert an Ennio Moricones Musik, zu der sich die ganze Pracht von Sergios Leones Film "Spiel mir das Lied vom Tod" entfaltet.

Etwas "High Noon" von Fred Zinnemann ist allerdings auch dabei. Das ist so überdeutlich, ja karikierend gezeichnet im "Tatort": Hätte man da das Plakat im Hintergrund ("Never ever lonesome" in Saloon-Schrift) wirklich noch gebraucht? Oder das Messer?

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Wenn dann der erste Schuss und der erste Mann tödlich getroffen fallen, wenn sich die ganze Szenerie wie schockgefroren und monochrom einfärbt, wenn das Blut wie der Tod wie die Gewalt überdeutlich ästhetisiert werden: Dann ist der "Tatort" Tarantino so nahe wie dem Comic. Und dem Skandal sowieso.

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Verdis Oper "Der Troubadour" ist allerdings auch nicht weit: in der Szene, da der vermeintliche Harloff-Sohn (Golo Euler) zum vermeintlichen Harloff-Vater (Ulrich Matthes) sagt: "Wenn er dir gefährlich wird" (gemeint ist Murot / Tukur), "dann werde ich ihn töten", ist schon das große ödipal unterlegte Opern-Drama angelegt:

Der Feind zieht den Sohn des Feindes heran - als Kampfmaschine wider den Feind.

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Wozu sich alsbald das zweite große Thema gesellt: eine Dreiecksbeziehung, die dem Film "Jules et Jim" von Francois Truffaut folgt, weshalb ein Filmposter sicherheitshalber auch untergebracht wird: in der Bleibe der Kampfmaschine ("Wir haben einen Profi-Killer in der Stadt"), der sich netterweise auch von seiner klavierliebenden, musischen Seite zeigt. Am Ende wird man um den Profi-Killer weinen. Denn es ist dann doch Ödipus.

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Da Tarantino schon erwähnt wurde: Die Szene, in der Don Bosco umstellt wird von seiner Gang (die erst noch seine Gang ist, die aber gleich danach die Leiche des Dons auf Geheiß des neuen Dons wegschaffen wird - genau so, wie man sich hessische Landespolitik immer schon vorgestellt hat): "Reservoir Dogs"?

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Und die Sache mit dem wandernden Laserpunkt des Präzisionsgewehres: An was erinnert das nur? Kann da mal bitte jemand helfen?!

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Schön aber auf jeden Fall, dass hier auch die Literatur ihren Auftritt hat: in Form des Buches von Sherwood Anderson mit dem Titel "A Storytellers Story". Eines Geschichtenerzählers Geschichte: Das ist das sich selbst verschlingende Kernmotiv der Zitiererei in diesem "Tatort" - L'art pour l'art. Und möglicherweise auch die Rache des Fernsehkrimis am Feuilleton. Wie sich sehr direkt zeigt (am Einschussloch nämlich ), schützt auch die beste Literatur nicht vor dem Tod durch die Kugel.

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Das gilt auch für Shakespeares "Kaufmann von Venedig", der, wenngleich ohne Kugel, ostentativ an vielen Stellen im "Tatort" auftaucht, am nassesten aber dort, wo ein Pfund Fleisch erst gegen 375 000 Euro aufgewogen und dann mitsamt den weiteren Körperresten eines weiteren Opfers im Fluss versenkt wird. Von Betonsteinen beschwert. Und damit auch hier das Publikum mitzieht, muss das alsbald gewässerte Opfer auch noch fragen: "Wird das jetzt der Kaufmann von Venedig oder was?" Ganz genau. Hier verraten sich die Kriminellen wie die Kriminaler, die Opfer wie die Täter erfreulicherweise immer durch ihr Opern- oder Theater-Abo (Loge).

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Oder als Kenner des Films "Seven". Spätestens dann nämlich, wenn der entscheidende Satz mit dem Blut eines weiteren Opfers an die Wand geschrieben wird: "Weibern und dem Spiel zuliebe wird mancher Mann zum Diebe". "Warum sagen Sie das nicht gleich?" fährt Murot seine Partnerin an.

Warum? Weil der Hinweis auf "Seven" erst dann richtig ist, wenn sich auch der Zuschauer nach einer gewissen Abfolge von toten Menschen und der aufkommenden Ahnung vom Wahnsinn des irren Harloff senior fragt: Wird das jetzt Seven oder was?"

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Man könnte jetzt immer weitermachen: mit dem Zitat aus dem Bond-Vorspann etwa. Ein Mann betrachtet einen anderen Mann durch ein Zielfernrohr und wird durch exakt eben dieses Zielfernrohr erschossen, so dass sich das eben noch sehende, jetzt wohl gebrochene Auge blutrot färbt.

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Oder mit der Schlussaufstellung der Toten auf einer Treppe, die - als Gemälde - wie ein Werk von jenen alten Meistern wirkt, die im "Städel" am Frankfurter Museumsufer weiterleben. Klar: Das Städel ist auch ein bedeutsamer Drehort in diesem "Tatort", der auch vor dem Brasilia-Architekten Oscar Niemeyer nicht Halt macht. Harloff: "Es war in Brasilia und ich betrachtete gerade die Architektur von . . ."

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Das sagt Harloff im Städel und diese andauernde Bild-im-Bild-Montage vom Zitat-im-Zitat und der Kunst-in-der-Kunst wird einem dann doch spätestens hier etwas lästig bis feuilletonistisch.

Fast am Ende sagt Murot: "Scheiße, die haben Gewehre." Das ist genau die Stelle, da man angesichts eines brillant schwachsinnigen "Tatorts" denkt: Wärste halt ins Feuilleton und nicht ins LKA gegangen, Murot.

© SZ.de/pak/lala
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