Conchita Wurst:Politisch korrektes Glamour-Schmuckstück

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Erst 26 Jahre alt, aber schon das Gesicht eines ganzen Kontinents gegen Diskriminierung: Conchita Wurst. (Foto: Mathias Kniepeiss/Getty)

Show ist ihr Geschäft, Toleranz ihre Mission. In Paris beweist Conchita Wurst, dass man mit Ausziehen sogar Politik machen kann. Doch es wird auch deutlich, wie verletzlich das Symbol für Gleichberechtigung ist.

Von Friederike Zoe Grasshoff

Ganz am Ende, als sie fast nackt auf der Bühne steht, dreht sich dann doch alles um diesen Bart. Conchita Wurst steht zwischen wippenden Brüsten und perfekten Popos, eine Tänzerin reißt ihr das weiße Gewand vom Leib. Das Publikum johlt, als dieser dünne und muskulöse Körper zum Vorschein kommt, verpackt in eine fleischfarbene Ganzkörperstrumpfhose, dekoriert mit drei Bärten: einer bedeckt die Scham, die anderen beiden die Brüste. Die Brüste, die es gar nicht gibt. Männer grölen, Frauen grölen, Champagnergläser fallen vom Tablett, ein Aufpasser reißt der Reporterin das Smartphone aus der Hand.

Unter den Gästen: Mode-Designer Jean Paul Gaultier, der Conchitas Kleider für die Show entworfen hat, die französische Sängerin Shy'm und Ursula Plassnik, die ehemalige österreichische Außenministerin der konservativen Regierungspartei ÖVP, heute Botschafterin in Paris. Am lautesten aber grölt ein Mann um die 70: "Was für eine Stimme, was für eine Frau!" Frau, Mann, Dragqueen? In Frankreich ist das egal.

Moderne Heldin mit Bart und Stöckelschuhen

Paris am Sonntagabend, nahe den Champs-Élysées hat die Nacht gerade erst begonnen. Und wie. Im Varieté-Theater Crazy Horse, wo sonst der weibliche Körper in seiner ganzen Vorteilhaftigkeit gefeiert, ja vergöttert wird, steht das erste Mal in 63 Jahren eine Dragqueen mit eigener Show auf der Bühne. Drei Songs von Conchita, die Crazy-Horse-Damen tanzen, die Show ist ausverkauft. Wichtige und nicht so wichtige Gäste halten sich auf dem roten Teppich an Holzstangen befestigte Pappbärte ins Gesicht. Dresscode: "Crazy Glam".

Während man sich in Österreich und Deutschland noch nicht ganz einig ist, ob es sich nun um einen Er oder eine Sie handelt, feiert das Crazy Horse Conchita Wurst als Sexsymbol. Egal, dass sie in Wirklichkeit Thomas Neuwirth heißt, aus einem Kaff in der Steiermark kommt, früher in Casting-Shows auftrat, Männer liebt und in einem anderen Leben als politische Botschafterin unterwegs ist. Paris feiert einfach diesen Mann mit Perücke und aufgeklebten Wimpern, diese moderne Heldin mit Bart und Stöckelschuhen.

Die Show in Paris ist ausverkauft, das Crazy Horse feiert Conchita Wurst als Sexsymbol. Doch Singen ist bei ihr längst nicht mehr genug. (Foto: Philippe Wojazer/Reuters)

Dieser Bart ist ja auch nicht einfach nur ein Bart. Es ist ein schöner Bart, dicht und dunkel, als sei er auf dieses feine Gesicht geklebt und anschließend schwarz angemalt worden. Er hat Conchita Wurst nicht nur zum Kunstwerk gemacht, er hat sich in ihrem Gesicht als Toleranz-Tattoo verewigt. Weil das so ist, gibt es derzeit ziemlich viele Menschen, die gerne etwas von diesem Bart abhaben wollen.

Das Gesicht eines ganzen Kontinents

Conchita Wurst muss seit ihrem Sieg beim Eurovision Song Contest im Mai nicht nur als weltoffenes Political-Correctness-Gesicht Österreichs herhalten, sondern als das eines ganzen Kontinents. Eines Europas, in dem die Forderung nach Gleichstellung zwar zunehmend diskutiert wird, Homosexualität aber immer noch eine große Sache ist; das haben nicht nur die vielen Anfeindungen vor dem Song Contest, sondern auch die ins Euphorische übersteigerte Hysterie um Conchita Wurst nach ihrem Sieg gezeigt.

Sechs Monate später ist Singen nicht mehr genug. Frau Wurst hat sich zu einem politisch korrekten Glamour-Schmuckstück entwickelt, das man sich gerne mal für einen Abend oder einen Gang über den roten Teppich ans Revers heftet.

Die politische Instrumentalisierung der Conchita Wurst geht schrittweise voran: Erst musste sie nach dem Sieg bei dieser europäischen Repräsentationsparty im Mai als Antlitz eines moralisch relativ intakten Europas herhalten, die 290 Punkte (übrigens das viertbeste Ergebnis in der Geschichte des Eurovision Song Contests) wurden als Abstimmung gegen die homosexuellenfeindliche Politik des russischen Präsidenten Wladimir Putin interpretiert. Die Chance für Österreich, mal wieder ein bisschen Staub zu wischen, sich von einer etwas ausgeflippteren, einer nicht ganz so konservativen Seite zu zeigen.

Und Frau Wurst spielte mit: Empfang beim Kanzler, Treffen mit dem Bundespräsidenten - ihr Image als moderne Amazone ist nicht zuletzt auch Teil eines ausgeklügelten Vermarktungskonzepts, an dem ein ganzer Stab von Mitarbeitern beteiligt ist. 2336 Presseanfragen sind im vergangenen halben Jahr bei ihrem Manager eingegangen, aus Japan, aus Russland, aus Israel, David Letterman hat sie in seine Show eingeladen. Der Satz, den Wurst kurz nach dem Sieg auf der ESC-Bühne sagte, passt also ziemlich gut: "We are instoppable."

Österreichs neue Außenministerin

In den vergangenen Wochen hat sie sich in Szene gesetzt wie die neue österreichische Außenministerin. 8. Oktober: Wurst tritt im EU-Parlament in Brüssel auf und wirbt für die gleichgeschlechtliche Ehe, 24. Oktober: Wurst singt anlässlich des österreichischen Nationalfeiertags am 26. Oktober in der österreichischen Botschaft in Paris, 3. November: Wurst trifft UN-Generalsekretär Ban Ki Moon in Wien. Ach ja, 26 ist sie auch noch geworden, am 6. November.

Wurst ist in. So in, dass bei all diesen politischen Terminen beinahe in Vergessenheit geraten ist, dass die Kunstfigur einst als Sängerin startete. Reflektiert Wurst selbst dieses Wurst-Wunder, ihre politische Rolle?

Mit dem Fotogesicht eines Medienprofis

Samstag, ein Luxushotel in Graz, noch 28 Stunden bis zu ihrem Auftritt im Crazy Horse. Noch fünf Stunden bis zu "Wetten, dass..?", wo sie ihre neue Single vorstellen wird. Durchs Foyer läuft Markus Lanz, in dem riesigen Salon steht Conchita Wurst, die hier ist, um für den Film "Die Pinguine aus Madagascar" zu werben, in dem sie der Schneeeule Eva ihre Stimme leiht. Über Conchita schwebt eine in die Wand eingelassene Mosaik-Venus im Jugendstil, ihre Scham und linke Brust mit Blumen bedeckt. Wurst posiert für die Kamera, ihr Fotogesicht hat sich irgendwo zwischen gewollt grimmig und gewollt sexy eingependelt. Danke schön, nächster Termin.

Am 8. November sitzt sie bei Markus Lanz auf dem "Wetten, dass..?"-Sofa. Wurst agiert wie Hausarzt, Staatsmann und Medienprofi in einem. (Foto: Mathias Kniepeiss/Getty)

Klar, zuerst ist da nur dieser Bart. Und dieses angemalte Gesicht drumherum, ein bisschen Mona Lisa, ein bisschen Seeräuber, ein bisschen Jesus. Wahnsinnig unecht - und gleichzeitig wahnsinnig echt in diesem unverhohlenen Bekenntnis zu falschen Haaren, falschen Wimpern.

Sagt man jetzt Frau oder Herr? Ohne Worte ist klar: Er ist eine Sie. Fester Händedruck, fester Blick. Ein paar Meter entfernt sitzt ein Assistent am Laptop, der das Gespräch aufzeichnet, nur so. Trotzdem: Wurst agiert wie Hausarzt, Staatsmann und Medienprofi in einem, sie gibt einem das Gefühl, als gebe es in dieser Stunde nichts, was wichtiger sein könnte. Sie setzt sich ans andere Tischende, "nein, ich komm mal was näher", sagt sie, rutscht rüber, schlägt ein Wahnsinnsbein über das andere, legt die Haare zurecht. Schaut einen an - und sagt: "Geile Strumpfhose." Ein Gespräch unter Frauen also, nach zwei Minuten ist der Bart vergessen.

Vor ein paar Tagen 26 geworden, ist Wurst eine zeitlose Gestalt, sie könnte auch Mitte 30 sein. Irgendwie schon ganz Profi und doch immer noch ungläubig darüber, was da gerade mit ihr geschieht. Ein Beispiel von vielen, das Crazy Horse: "Ich hatte noch nie eine Show, die den Namen Conchita getragen hat, noch nie. Ich hatte noch nie so eine Situation, dass die Menschen einfach wegen mir irgendwo hingekommen sind." In solchen Sätzen klingen die Verletzungen aus ihrer Jugend in der 3000-Einwohner-Gemeinde Bad Mitterndorf durch, die Homo-Witze - "alles, was man sich vorstellen kann, alles was mit -sch anfängt und mit -tel endet." Früher hätten ihr solche Worte wehgetan, "weil es bei mir selbst noch nicht ankam, dass es in Ordnung ist, auf Männer zu stehen." Heute sei ihr so was egal.

Der Bart, die durchgestylte Hülle, die Mittelscheitel-Perücke - das sind nicht nur Accessoires, es ist ein Schutz vor der Wirklichkeit. Das Wort egal fällt öfters. Ob da nicht auch ein paar Menschen etwas abhaben wollten, von diesem Glanz der Toleranz? "Das ist mir eigentlich vollkommen egal, genauso wie sie vielleicht diese Akzeptanz durch meine Anwesenheit symbolisieren wollen, treffe ich mich ja auch mit diesen Menschen, weil sie mehr Einfluss haben als ich. Hauptsache, ich kann sagen, worum es mir geht."

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Und worum geht es ihr? Um Gleichberechtigung, Menschenrechte, ihr Manager wird später sogar das Wort Flüchtlingspolitik in den Mund nehmen. "Unsere Gesellschaft ist noch nicht so, wie ich sie haben will, deswegen werde ich alle Menschen so lange penetrieren, bis ich wenigstens ein bisschen was verändert habe." Conchita Wurst, die wahre österreichische Außenministerin?

Kleine Dinge können das große Ganze verändern

Als sie auf ihre diversen Zusatztitel angesprochen wird - Ikone, Vorbild, Botschafterin -, stockt der ziemlich lebendige Redefluss. Damit könne sie gar nichts anfangen. "Ich habe nichts getan, was selbstlos ist, ich mache das in Wahrheit aus sehr, sehr egoistischen Gründen, weil ich das machen muss, weil ich nicht anders kann."

Ein paar Stunden später, Weltpremiere. Deutsche Fernseh-Spießigkeit statt Menschenrechte für Europa und französischer Frivolität. Wurst steht im Showlicht der Stadthalle, die zweitletzte "Wetten, dass..?"-Sendung kommt live aus Graz. Während Markus Lanz mit Sofa-Promi Andreas Gabalier einfach weiterquatscht, singt Conchita ihren neuen Song "Heroes"; es geht darum, wie kleine Dinge das große Ganze verändern können. Hinterher sagt Lanz: "Und jetzt stellen sich natürlich die Menschen draußen die Frage, Conchita: Wie lange braucht diese Frau morgens im Bad?" Antwort: "Eine Stunde."

Ungewohntes Interesse

Dass Wurst zwar mit ihrer Schutzhülle aus Make-up kokettiert, aber eine der wenigen Kunstfiguren ist, die trotz all der Überzeichnung noch etwas Verletzliches an sich hat, merkt der Zuschauer erst ein paar Minuten später. Falls er noch nicht abgeschaltet hat. Sie sei es nicht gewohnt zu gewinnen. Und dann wiederholt Wurst diesen Satz aus dem Hotel-Salon: "Wegen mir sind auch noch nie Menschen gekommen, nur wegen mir."

In den Backstage-Bereich des Crazy Horse sind dann übrigens ziemlich viele Menschen gekommen - wegen der Bart-Selfies, wegen der Champagner-Kübel, wegen Conchita Wurst, die jetzt nur noch einen Bart hat und ihren Wahnsinnskörper in einem Bademantel versteckt. Das Wochenende war lang, das Wochenende war irre. So viele Termine, die so überhaupt nicht zusammenpassen, dass sie schon wieder zusammenpassen. Ein paar Worte, ein Augenzwinkern, dann muss sie los. In ein paar Minuten beginnt die nächste Show. Der Bart sitzt.

© SZ vom 15.11.2014 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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