"Whiplash" im Kino:Jedes Lob ist ein Verrat am Talent

Kinostart - Whiplash

Wahre Größe formt sich im Tal der Tränen: Lehrer Fletcher (J.K. Simmons, rechts) treibt seinen Schüler Andrew (Miles Teller) gnadenlos an.

(Foto: dpa)

Muss man Künstler brechen, um sie zur Exzellenz zu bringen? Zumindest im Oscar-nominierten Film "Whiplash" lautet die Antwort: ja. Am Ende trotzt der junge Schlagzeuger Andrew seinem Lehrer-Monster mit Todesverachtung - auf offener Bühne.

Von Tobias Kniebe

Aus dem Dunkel erklingt, noch bevor überhaupt etwas zu sehen ist, ein langsam anschwellender Trommelwirbel. Es ist die Snare Drum mit ihrem typischen Scheppern, die Drama-Queen unter den Perkussionsinstrumenten. Kein Zirkuszelt, in dem ihr theatralischer Wirbel nicht atemlose Spannung suggeriert, und auch hier setzt sie gleich mal ein Ausrufezeichen.

Was dann aber kommt, ist nur ein junger Mann beim Üben. Er sitzt allein im einem dunklen Raum vor seinem Drumset, und der Single Stroke Roll, den er trainiert, ist das, was die Schlagzeuger ein Rudiment nennen - eine Grundlage, die totale Routine. Aber warum fährt die Kamera so langsam auf ihn zu? Und dann auch noch durch einen düsteren braungrünen Kellergang, wie man ihn sonst nur aus Horrorfilmen kennt?

Weil sich hier wirklich der Schrecken anbahnt. Es geht, selbst in diesem einsamen Probenraum, um alles oder nichts.

Begabt - was heißt das genau?

Damien Chazelles zweiter Spielfilm "Whiplash", in Sundance und Cannes gefeiert, jetzt für den Oscar nominiert, wurde mit Minimalbudget gedreht - und stellt doch schnell die maximalen Fragen im Leben eines jungen Musikers. Der Schlagzeuger Andrew Neiman (Miles Teller) studiert an der besten Musikschule Amerikas, die hier anders heißt, der berühmten Juilliard School in New York aber liebevoll nachempfunden ist.

Damit ist quasi amtlich, dass er begabt ist - aber was heißt das genau? Wird er gut sein und ein Auskommen finden, wird er sehr gut sein, wird er alle Erwartungen übertreffen? Sein Bestes zu geben oder wirklich der Beste zu sein - eines Jahrgangs, einer Schule, einer Generation - das ist die doch recht fundamentale Differenz, die hier gnadenlos verhandelt wird.

Und es ist kein Zufall, dass es dabei ums Schlagzeugspielen geht. Die Mechanik der Bewegungen, die Präzision des Anschlags, die rein körperlichen Herausforderungen, die mit den schnellsten Tempi einhergehen, bis hin zu blutigen Fingern an den Drumsticks - das alles rückt der Film ganz bewusst in die Nähe des Hochleistungssports, in das Narrativ eines militärischen Drills.

Kein klassischer Jazzfilm

Nun kann man zu Recht bezweifeln, ob das wirklich viel mit Musik zu tun hat, mit dem Groove und mit der Seele des Jazz. Aber darum geht es hier gar nicht. "Whiplash" ist zwar an der Oberfläche ein Jazzfilm, selbst seinen Titel verdankt er einem Klassiker von Hank Levy, der immer wieder geprobt und schließlich aufgeführt wird.

Tatsächlich aber ist der Jazz hier nur die Bühne für eine knallharte Idee des Virtuosentums. Das Vorbild des jungen Helden, der Meister, dessen Platten er nachts immer lauscht, ist da durchaus verräterisch: Es ist Buddy Rich, ein Showtrommler und Fernsehsolo-Champion, der zeitlebens stolz das Label "The World's Greatest Drummer" trug, der mit fast allen Großen des Jazz gespielt hat und doch im Kosmos der Kenner keine große Rolle spielt.

Stoff für Dramen

Aber auch der Drill, der Sport, der Wille zur Höchstleistung bietet ja Dramen genug. Denn die dunkel bedrohliche Macht, die sich da im Kellergang der ersten Szene auf Andrew zubewegt, ist niemand anders als sein künftiger Lehrer, sein designierter Folterknecht, seine Nemesis. Plötzlich steht er da, noch ganz im Dunkeln, und Andrew erschrickt. Dann erst tritt Terence Fletcher, ausgestattet mit dem herrlichen Knautschgesicht des großen Nebenrollen-Veteranen J. K. Simmons, ins Licht.

"Sie wissen, wer ich bin?", fragt er. Andrew nickt heftig und sagt: "Yes, Sir." "Dann wissen Sie auch, dass ich nach Musikern suche?" Wieder ein strammes "Yes, Sir". Dann ein leiser Vorwurf: "Warum hören Sie dann auf zu spielen?" Woraufhin der Schüler in wildem Übereifer auf sein Schlagzeug eindrischt, eine Showeinlage mit geschlossenen Augen, um danach erwartungsfroh wieder aufzuschauen, in ein unbewegtes Gesicht. Über das nun Spuren von Mitleid und Sadismus huschen. "Ich habe Sie gefragt, warum sie nicht weiterspielen - und Sie verwandeln sich in einen Aufziehaffen?"

Schon dieser erste Austausch setzt brillant den Ton, die Dynamik dieser Beziehung. Da ist der junge Mann, der sich öffnen muss, der in seinem Ehrgeiz total verwundbar ist. Und da ist der Lehrer und Bandleader, der ihn immer wieder auflaufen lässt. Manchmal ermutigt er ihn, nur um ihn danach umso brutaler auseinanderzunehmen; manchmal fordert er ihn musikalisch, manchmal traktiert er ihn mit den kleinlichsten Regeln wie auf dem Kasernenhof, manchmal spielt er ihn gegen seine Mitstudenten aus, einmal wirft er auch einfach einen Stuhl nach ihm.

Die schädlichsten Wörter der englischen Sprache: "good job"

Und Andrew verliert nach und nach alles: seine Arroganz, seine Selbstachtung, schließlich seinen Studienplatz - und von seiner Freundin trennt er sich gleich freiwillig, denn die ist ja doch nur ein Hindernis auf dem Weg zur Perfektion.

Glaubt man Fletcher, der wegen seiner grausamen Methoden schließlich selbst gefeuert wird, ist das alles ein notwendiger Prozess - eben das Tal der Tränen, durch das man auf dem Weg zu wahrer Größe hindurchrobben muss. Die beiden schädlichsten Wörter der englischen Sprache, erklärt er einmal, seien "good job": Hätte etwa Charlie Parkers strenger Mentor im falschen Augenblick ein Lob ausgesprochen, statt dem disziplinlosen Charlie wütend ein Becken an den Kopf zu werfen, wäre der junge Parker niemals zu "Bird" gereift.

Was also tut ein Lehrer, der belanglose Ermutigungen ausspricht und auch sonst viel zu nett ist? Er lässt nicht nur seine Schüler im Stich, sondern er begeht praktisch ein Verbrechen an der ganzen Menschheit - sollte ein neuer "Bird" seinen Weg kreuzen.

Atemloses Duell auf offener Bühne

Der größte Triumph von "Whiplash" ist, dass der Film diese absolut angreifbare Theorie mit starker Überzeugungskraft auflädt und schließlich in ein atemloses Duell auf offener Bühne überführt. Dort ist der Schüler endlich soweit, dem Lehrer-Monster in Todesverachtung zu trotzen. Das ist mitreißend inszeniert, man wird selbst zum Gläubigen, und J. K. Simmons schafft es, die Figur des Fletcher mit einer so durchschlagenden Autorität auszustatten, dass Zweifel an seiner Brillanz nie aufkommen. Das ist wirklich eine starke Leistung - der Oscar als bester Nebendarsteller scheint ihm sicher.

Die Schlüsselfrage, wie man einer der wirklich Großen wird, stellt sich am Ende aber auch für die beiden jungen Männer in diesem Unternehmen - für den 27-jährigen Hauptdarsteller Miles Teller und den dreißigjährigen Autor und Regisseur Damien Chazelle. Talent haben sie beide im Überfluss, da gleichen sie dem Helden ihrer Geschichte - zugleich aber geht es gerade darum, dass Talent allein nicht reicht.

Miles Teller hat Schlagzeug spielen gelernt und trommelt um sein Leben, Damien Chazelle hat jedes große Duell studiert, das die Filmgeschichte zu bieten hat. Aber haben sie auch selbst begriffen, was sie da erzählen, sind sie mehr als clevere Streberschüler? "Whiplash" enthält diese Möglichkeit - die Wahrheit aber kann nur in einem Werk liegen, das jetzt erst noch folgen muss.

Whiplash, USA 2014 - Regie und Buch: Damien Chazelle. Kamera: Sharone Meir. Musik: Justin Hurwitz. Mit Miles Teller, J. K. Simmons. Sony, 107 Min.

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