Bundestagspräsident:Lammert nennt Verbrechen an Armeniern Völkermord

Bundestagspräsident Norbert Lammert

Lammert spricht anlässlich des Massakers an den Armeniern vor hundert Jahren.

(Foto: Bernd von Jutrczenka/dpa)

Bundespräsident Gauck hat es vorgemacht - nun zieht Bundestagspräsident Lammert nach und bezeichnet die Gräueltaten an den Armeniern im Osmanischen Reich als Völkermord. Deutschland könne aufgrund der eigenen Geschichte dazu ermutigen, sich der Vergangenheit zu stellen.

Appell an die Verantwortung der Türkei

Nach Bundespräsident Joachim Gauck hat auch Bundestagspräsident Norbert Lammert die Massaker an den Armeniern vor hundert Jahren im Ersten Weltkrieg als "Völkermord" bezeichnet. Zum Auftakt einer Debatte im Bundestag sagte der CDU-Politiker: "Das, was mitten im Osmanischen Reich stattgefunden hat, (...) war ein Völkermord. Er ist nicht der letzte im 20. Jahrhundert geblieben."

Er appellierte eindringlich an die heute Verantwortlichen in der Türkei, sich der Verantwortung für den Armenier-Genozid zu stellen. "Die heutige Regierung in der Türkei ist nicht verantwortlich für das, was vor 100 Jahren geschah, aber sie ist mitverantwortlich für das, was daraus wird", sagte er.

Lob für Engagement bei Flüchtlingen

Dabei würdigte Lammert das heutige Engagement des Landes bei der Aufnahme von Flüchtlingen aus Syrien und dem Irak. "Die Türkei leistet mit der Aufnahme von weit über einer Million Flüchtlingen eine immense, zu selten gewürdigte und manchen in Europa beschämende humanitäre Hilfe", sagte Lammert. Diese Bereitschaft, Verantwortung in der Gegenwart zu übernehmen, "vergessen wir ausdrücklich nicht, wenn wir an das Bewusstsein auch der Verantwortung für die eigene Vergangenheit appellieren, betonte Lammert.

Schuld Deutschlands

Zugleich bekannte er sich zur deutschen Mitverantwortung am damaligen Geschehen. Das Deutsche Kaiserreich war seinerzeit enger Verbündeter des Osmanischen Reichs. Lammert fügte hinzu: "Umso größer ist die Verpflichtung, im Respekt vor den Opfern und in der Verantwortung für Ursache und Wirkung die damaligen Verbrechen weder zu verdrängen noch zu beschönigen. Wir Deutsche haben niemanden über den Umgang mit seiner Vergangenheit zu belehren. Aber wir können durch unsere eigenen Erfahrungen andere ermutigen, sich ihrer Geschichte zu stellen - auch wenn es schmerzt."

Gedenkfeiern in Armenien und der Türkei

In der Türkei haben nichtstaatliche Gedenkfeiern zum hunderten Jahrestag der Massaker an den Armeniern im Osmanischen Reich begonnen. Dutzende Menschen versammelten sich am Morgen in jenem Viertel von Istanbul, in dem am 24. April 1915 die ersten armenischen Intellektuellen verhaftet wurden. Im armenischen Patriarchat kamen die Gläubigen zu einem Gedenkgottesdienst zusammen.

Als erster türkischer Regierungsvertreter wollte EU-Minister Volkan Bozkir an der Gedenkfeier teilnehmen. Zudem wurde eine Grußbotschaft von Präsident Recep Tayyip Erdoğan erwartet. Die Kundgebungsteilnehmer in Istanbul trugen Bilder der am 24. April 1915 verhafteten Armenier bei sich. Im Laufe des Tages soll noch eine Reihe weiterer Gedenkkundgebungen in Istanbul und im südostanatolischen Diyarbakir stattfinden.

In Armenien hat Präsident Sersch Sarkissjan internationale Delegationen empfangen. Kremlchef Wladimir Putin und der französische Präsidenten François Hollande trafen gemeinsam mit Vertretern aus Dutzenden Ländern an der zentralen Gedenkstätte in der Hauptstadt Eriwan ein. Einzeln gingen sie durch das Spalier einer Ehrenwache zu einer ewigen Flamme. Sarkissjan legte am Mahnmal für die Opfer der Gräuel Blumen nieder. "Nichts ist vergessen, nach hundert Jahren erinnern wir uns", sagte er.

Putin forderte einen weltweiten Kampf gegen Völkermord. "Die internationale Gemeinschaft muss alles tun, damit sich die tragischen Ereignisse von einst nicht wiederholen", sagte er.

Im Ersten Weltkrieg waren Armenier im Osmanischen Reich als vermeintliche Kollaborateure systematisch vertrieben und umgebracht worden. Nach Schätzungen kamen dabei zwischen 200 000 und 1,5 Millionen Menschen ums Leben. Die Türkei als Nachfolgestaat des Osmanischen Reichs lehnt die Bezeichnung Völkermord vehement ab.

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