Neuer Film:Scheitern am Spagat

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Die Idylle trügt: Hedi (Laura Tonke, hier mit Leander Nitsche und links Hans Löw) wächst langsam alles über den Kopf. (Foto: Komplizen Film/Pandora Film)

Die Münchner Regisseurin Sonja Heiss hat mit "Hedi Schneider steckt fest" einen Film über eine gestresste Mutter gedreht, die durch permanente Überforderung depressiv wird

Von Josef Grübl

Es gibt Tage, da kommt einfach alles zusammen. So wie zu Beginn des Films "Hedi Schneider steckt fest", der vergangenen Donnerstag in den Kinos angelaufen ist: Die Titelheldin hat privaten Stress, verspätet sich im Büro und bleibt dann auch noch im Aufzug stecken. Aber selbst dort verliert sie nicht ihren Humor. Die Mittdreißigerin drückt den Notfallknopf. Als sich eine Stimme meldet, antwortet sie: "Einen Hamburger Royal mit Käse, einen Milchshake und mittlere Pommes bitte!" Auch im Leben der Erfinderin von Hedi Schneider (Laura Tonke) gibt es Tage, an denen alles zusammenkommt: Sonja Heiss verspätet sich an diesem kalten Tag. Abgehetzt und trotzdem bester Laune betritt sie die Lobby eines Fünf-Sterne-Hotels am Potsdamer Platz in Berlin.

Ihr Film läuft auf der nächsten Berlinale, allein das ist ein Grund zur Freude. Dass sie während des Festivals von einem Termin zum nächsten hetzt, gehört dazu, dass sie nebenbei ein Privatleben hat, ebenfalls: Sie muss sich um die Betreuung ihrer Tochter kümmern, um die Einkäufe und um die Leerung des Katzenklos.

All das erzählt sie, während man nach einem ruhigen Plätzchen zum Reden sucht. Schon ihr Debütfilm "Hotel Very Welcome" lief 2007 auf dem Festival, er wurde als humorvolles Generationsporträt gefeiert. Bei ihrem neuen Film ist das nicht anders: Frauen wie Hedi Schneider findet man überall, den Spagat zwischen Familie, Freunden, Beruf und Beziehung meistern sie mal mehr und mal weniger gut.

Doch wie im Film kann sich das von einem Tag auf den anderen ändern: Heiss zitiert eine Studie, wonach jährlich fünf Millionen Deutsche an einer Angst- und Panikstörung erkranken, meist breche sie im Alter zwischen dreißig und vierzig aus. Auch Hedi erleidet eine Panikattacke, die ihr die Luft zum Atmen raubt; ihr Leben verändert sich auf einen Schlag. "Ich hatte das vor Jahren selbst", gesteht die Filmemacherin. Es habe lange gedauert, bis sie die Krankheit mit Hilfe von Medikamenten und ungezählten Therapiestunden in den Griff bekam.

Der Film erzähle aber nicht ihre eigene Geschichte, betont sie, dafür sei ihr Leben viel zu normal. Ihr schwebte ein verspielter, leicht überdrehter Grundton vor: "Je mehr Hedi zu einer anderen Figur wurde, umso leichter ist mir das Schreiben gefallen." Die Krankheit soll auch nicht im Mittelpunkt des Films stehen: "Meine erste Idee war: Was passiert mit einer Liebe, wenn einer der beiden auf einmal ein anderer Mensch ist? Das passiert ja, wenn man eine psychische Störung hat", sagt die 38-Jährige.

Seit vierzehn Jahren lebt sie in Berlin, geboren und aufgewachsen ist sie aber in einer Arbeiterfamilie im Norden Schwabings. "Den Humor habe ich von meinem Vater", sagt sie. "Seine Sicht aufs Leben ist sehr bayerisch, das prägt mich bis heute." In München hat sie auch studiert. An der Hochschule für Fernsehen und Film freundete sie sich mit Janine Jackowski und Maren Ade an, die seitdem ihre Produzentinnen sind. Filmemachen ist für Sonja Heiss eine familiäre Angelegenheit: Mit ihrem Kameramann Nikolai von Graevenitz verbindet sie mehr als der Beruf, er ist der Vater ihrer Tochter June. Die Sechsjährige ist mit ein Grund dafür, warum die Regisseurin so lange für ihren zweiten Langfilm brauchte, auch hier ging Familie eben erst einmal vor. Ein weiterer Grund ist eher grundlegender Natur: Für Jungregisseure ist der zweite Film viel schwieriger zu realisieren als der erste. Für Debüts gibt es hierzulande Sonderprogramme und eigene Fördertöpfe, danach sind die Filmemacher oft auf sich selbst gestellt. Wer also mit seinem ersten Film keinen künstlerischen oder kommerziellen Hit landet, hat es schwer.

"Hotel Very Welcome" lief auf Festivals und bekam Preise, trotzdem dauerte es lange, bis die Finanzierung für das Nachfolgeprojekt gesichert war. Insgesamt vergingen acht Jahre. Das ist fast schon symptomatisch für eine Branche, die auf Sicherheit setzt, auf kommerzielle Stoffe, Literaturverfilmungen und bekannte Namen. "Hedi Schneider steckt fest" hat nichts davon, und auch wenn Laura Tonke und Hans Löw in den Hauptrollen perfekt besetzt sind: Stars an der Kinokasse sind sie nicht.

Der Film richtet sich daher automatisch an ein kleineres Publikum. Und weil sich mit Low-Budget-Produktionen in der Regel kaum etwas verdienen lässt, arbeitet Heiss auch in anderen Bereichen: 2011 veröffentlichte sie ihren viel beachteten Erzählband "Das Glück geht aus", nebenbei drehte sie Werbespots. Aktuell schreibt sie ihren ersten Roman. Als sie davon zu erzählen beginnt, ist die Zeit schon wieder vorbei - der nächste Termin wartet. Beim Rausgehen sagt sie noch: "Vielleicht mache ich ja aus dem Buch einen Film." Gut möglich, dass das dann die Zeit ist, in der für Sonja Heiss alles zusammenkommt.

© SZ vom 11.05.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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