Lehrer:Wunderwesen gesucht

Lehrer: Wie soll der perfekte Lehrer sein? Direktor Knauer aus der "Feuerzangebowle" trifft auf Zeki Müller aus "Fack Ju Göhte".

Wie soll der perfekte Lehrer sein? Direktor Knauer aus der "Feuerzangebowle" trifft auf Zeki Müller aus "Fack Ju Göhte".

(Foto: Assmann/Constantin/dpa, ARD)

Autorität, Humor, Fachwissen - was macht einen guten Lehrer aus? Politik und Hochschulen stecken jetzt viel Geld in die Ausbildung der Pädagogen.

Von Johann Osel

Blondes Dummchen, sagen die Mitschüler zu ihr, und das Mädchen denkt inzwischen dasselbe. Ihr Selbstbewusstsein geht gegen null, die Noten werden immer noch schlechter, sogar die Mutter verkündet in der Sprechstunde, dass ihre Tochter nicht viel im Kopf hat. Und ihr Lehrer? Der sagt bei einer falschen Antwort dem Teenager schon mal Sätze wie: "Wenigstens sitzt die Schminke perfekt!" Zunächst bricht Gelächter aus in der Studentengruppe, als diese Geschichte erzählt wird. Schnell aber werden die Mienen ernst und aus den Gesichtern der jungen Leute lässt sich ungefähr herauslesen: So ein Lehrer will ich nie sein!

Es ist die Geschichte aus dem Alltag einer Thüringer Schulklasse, die Erfahrung einer Lehramtsstudentin. Gut zwei Dutzend angehende Pädagogen sitzen an der Universität Jena in einem Seminar, das ihr Praxissemester ergänzt. Ungefähr zur Mitte des Studiums schwärmen sie aus an Schulen im Land, nach Gera, Jena, Weimar, Erfurt. Dort schauen die Studenten Lehrern über die Schulter, dürfen auch selbst unterrichten, und jeder Student soll sich einen "Fall" suchen, zum Beispiel einen Schüler mit Lernproblemen oder Klassen, in denen das Klima vergiftet ist; alle paar Wochen treffen sie sich dann, um zu berichten - und gemeinsam zu beraten. "Lehren und lernen" so lautet das Motto der Lehrerausbildung in Jena.

Dieses Modell wird jetzt vom Bund bezuschusst. Mit einer halben Milliarde Euro bis 2023 steigt Berlin bundesweit in die Förderung des Studiums der Pädagogen ein. Die Koalition hat eine "Qualitätsoffensive" dazu ausgeschrieben und im Frühjahr schon mehr als ein Dutzend Hochschulen prämiert, im Herbst soll es eine zweite Runde geben. Man wolle "frischen Wind" in die Ausbildung von Lehrern bringen, heißt es. Nur: Wie genau werden Pädagogen besser ausgebildet? Und wie soll er denn überhaupt sein, der ideale Lehrer?

Da gehen die Ansichten wild durcheinander. Der Chef des Deutschen Lehrerverbands, Josef Kraus, hat mal definiert: "Ein Lehrer muss seine Fächer souverän beherrschen und lieben. Er muss junge Leute mögen, ohne deren Kumpel sein zu wollen. Er muss gerecht sein. Er darf sich nicht auf der Nase herumtanzen lassen." Schaut man sich Schülerumfragen an, dann wird noch viel mehr verlangt. Der Traumlehrer braucht demnach: Humor und Fantasie, Verlässlichkeit, ferner Kompetenz beim Stoff; zudem eine Prise Strenge, doch bitte nicht zu streng; er agiert "auf Augenhöhe" mit seinen Schülern und bleibt dennoch eine Respektsperson; und dieses Wunderwesen soll darüber hinaus auch etwas fürs Auge bieten, ihm sollten "auf keinen Fall Haarbüschel aus den Ohren wachsen".

Die Forschung ist ebenso uneins, ob nun fachliches Wissen oder pädagogisches Können wichtiger ist. Der neuseeländische Forscher John Hattie, der seit einer Großstudie mit Datensätzen von 200 Millionen Schülern weltweit als Unterrichtspapst gilt, stellt fest: Ein Lehrer soll sich weniger als Moderator verstehen, der Schüler zum eigenen Lernen anleitet, sondern muss als "Regisseur" auftreten, die Klasse im Griff haben und jeden Einzelnen stets im Blick. Kann ein Studium das alles vermitteln?

Zumindest tut sich etwas in der Lehrerausbildung. Von jeher hat sie an Universitäten keinen guten Stand, wird eher als lästige Pflichtleistung für den Staat gesehen. Sie kostet Geld, bringt aber nichts ein - kein Geld aus der Industrie wie Technikfächer, keine Nobelpreise. Und so behandeln Hochschulen das Lehramt zuweilen, als handele es sich um einen Nischenberuf. Zuletzt aber wurden vielerorts eigene Zentren gegründet, sie koordinieren die Ausbildung: die vielen Fächer, die Pädagogik- und Didaktik-Lehrstühle, das kann im Alltag leicht ins Chaos münden. Die Zentren sollen das Lehramtsstudium aufwerten. Ein Vorreiter ist die Technische Universität München, dort hat Manfred Prenzel, der als "Mister Pisa" bekannte deutsche Leiter der Studie, eine mustergültige "School of Education" gegründet. Sie hat als eigene Fakultät einen eigenen Etat und mehr Macht, unterhält ein Netz von Partnerschulen und einen engen Draht zur Forschung.

20 Prozent

aller Lehrer sagen, dass sie nach dem Studium einen regelrechten "Praxis-Schock" hatten. Bei der Gruppe der Junglehrer behaupteten in einer Allensbach-Umfrage fast zwei Drittel der Befragten an, ihr Studium habe sie unzureichend auf das Klassenzimmer vorbereitet. Vor allem überfordert sehen sie sich im Umgang mit echten Schülern und echten Eltern - während die Vermittlung des Stoffs nur jedem Fünften Probleme beschert. 56 Prozent aller Lehrer sagen, es gebe Klassen, die man nicht in den Griff bekommt - "egal was man unternimmt".

Andere Unis wollen es ähnlich halten, jede setzt zudem eigene Schwerpunkte: Manche wollen die Lehrer dafür sensibilisieren, dass die Schülerschaft immer vielfältiger wird, durch Zuwanderung oder Behinderung, Stichwort Inklusion, andere legen ihren Fokus auf digitales Lernen. Überall soll der Praxisbezug besser werden, der frühe Kontakt mit Schülern. Oder man trainiert mit virtuellen Schülern in Simulationen. In Jena ist eben das begleitete Praxissemester der zentrale Aspekt. "Wir müssen reagieren auf die Welt draußen", sagt Vize-Präsidentin Iris Winkler.

Dass Hochschulen nun, im Jahr 2015, auf die Idee verstärkter Praxis verfallen, ist fast amüsant. Denn das Problem ist nicht neu. In einer Allensbach-Umfrage geben zwei Drittel der Junglehrer an, ihr Studium habe sie schlecht vorbereitet. Vor allem überfordert sie der Umgang mit Schülern und Eltern, während der Schulstoff kaum Probleme bereitet. 56 Prozent aller Lehrer sagen, es gebe Klassen, die man nicht in den Griff bekommt - "egal was man unternimmt". 20 Prozent der Pädagogen sahen bei sich einen "Praxis-Schock".

Ein Helfender, aber mit Autorität

Berlin, Repräsentanz der Telekom. Die Stiftung des Konzerns hat mit dem Stifterverband und der Konferenz der Hochschulrektoren zu einer Tagung geladen: "Lehrerbildung - Verantwortung für die Zukunft". Neben Hunderten Experten sind zwei Frauen gekommen, deren bloße Anwesenheit den neuen Stellenwert des Pädagogenstudiums unterstreicht. Es sind in der Bildung die mächtigsten Frauen im Land, Bundesbildungsministerin Johanna Wanka und die Chefin der Kultusministerkonferenz, Brunhild Kurth aus Sachsen. Die beiden CDU-Politikerinnen spielen sich die Bälle zu. Was Kanzler Gerhard Schröder einst gesagt hat - nämlich dass Lehrer "faule Säcke" seien -, "wäre heute so undenkbar", sagt Wanka. Sie schwärmt von all den Projekten quer durch die Republik und verspricht: "Es scheitert nicht am Geld, definitiv." Kurth kontert im Namen der Bundesländer: "Da wird kein Cent übrig bleiben."

Ein ganzer Tag ist für Podien und Debatten angesetzt. Auf einem "Markt der Möglichkeiten" stehen Uni-Vertreter mit Ständen, riesige Poster stellen die Konzepte vor, von Regensburg bis Bremen und von Stuttgart bis Magdeburg. Auch die Jenaer Vize-Präsidentin Winkler ist da, samt Info-Poster zum Praktikum. Es soll nicht erst am Ende eines Studiums stattfinden; hätte einer den falschen Beruf gewählt, wäre es dann zu spät. Es soll auch nicht gleich zu Beginn sein. Entscheidend sei, die Theorie aus der Uni mit der Praxis abzugleichen, dazu brauche man "eine gewisse Reife".

Diese fördert man in Jena. Der "Fall blondes Dummchen" ist ja nicht gelöst, wenn sich der Lehrer die Sprüche sparen würde. Wie lässt sich Motivation steigern, fragt die Dozentin. Die Finger schnellen hoch: das Gespräch mit ihr suchen, mit der Klasse, mit den Eltern, Aufgaben an das Mädchen verteilen, die es schaffen kann, und "auch kleine Fortschritte in der Note abbilden". Ein Tafelbild illustriert ein "Fähigkeitsselbstkonzept". Dessen Ziel: Jugendliche sollen erkennen, warum sie eigentlich zur Schule gehen - um tatsächlich etwas zu lernen und voranzukommen.

Der gute Lehrer ist ein Helfender; im Gespräch betonen die Studenten indes, dass ihnen Autorität wichtig ist. Es kommt auf die Situation an. In zwei Stunden Seminar hört man allerlei Beispiele: von einer Schülerin, deren Lieblingssatz "Halt die Klappe, du Opfer!" ist; von Spickern auf dem Klo, von Migranten mit schlechtem Deutsch, von rotzfrechen und schüchternen Schülern, von überambitionierten Eltern, die ihr Kind zum Abitur pressen, und von Müttern und Vätern, denen alles einerlei ist. Wobei der Trend offenbar zu Ersterem geht. Einer sagt: "Es wird nicht gefragt, wie der Sohn sich verbessern kann - sondern, wo der Lehrer einen Fehler gemacht hat."

Auch Christin Busse weiß, dass viele Eltern heute Rechenschaft über jede Note verlangen. Eine zusätzliche Herausforderung. Ihr "Fall" aber ist ein Fünftklässler, der ständig Aufmerksamkeit sucht, etwa Bauchweh simuliert. Die 26-Jährige, angehende Lehrerin für Französisch und Biologie, will mit ihm in Ruhe reden, beim nächsten Seminar kann sie mehr sagen. "Sich gemeinsam Gedanken machen wie im Seminar, einen Schüler systematisch beobachten wie als Praktikantin - im Job wird das so kaum möglich sein", sagt sie. "Aber das wird dann Routine und man macht intuitiv das Richtige." Einen Praxisschock erwartet sie später nicht. "Aber wer zehn Semester studiert und nie vor einer Klasse steht, der kann überrascht sein." Spricht man mit älteren Studenten in Jena, die nur ein Kurzpraktikum hatten, sind die Zweifel größer.

Ministerin Wanka fordert "klärende Gespräche"

Sie kenne Leute, "die nach dem Semester an der Schule gar nicht zurück an die Uni wollen. Und solche, die überlegen, ob Lehramt das Richtige ist", sagt Busse. Eine Auswahl bei der Uni-Zulassung nach Typ - das fände sie "hart". An einigen Unis gibt es Castings: die Bewerber machen dort zum Beispiel Rollenspiele. Wer gleich in Tränen ausbricht, erhält den Rat, die Berufswahl zu überdenken. Unverbindlich. "Junge Leute glauben, dass sie durch ihre Schulzeit alles über den Beruf wissen", sagt Ministerin Wanka. Sie fordert "klärende Gespräche". Strenges Aussieben vor dem Studium aber findet keine Mehrheit unter Experten. Obwohl Studien zeigen: Nur gut 30 Prozent der Abiturienten mit Ziel Lehramt halten sich für selbstbewusst, viele Mitschüler mit anderen Wünschen tun dies häufiger.

Als Konsens zeigt sich, dass man das Studium bündeln will: eben in den Zentren für Lehrerbildung. Auf der Tagung tritt der Bildungsforscher Wolfgang Böttcher auf, der Professor aus Münster hat zehn solcher Einrichtungen analysiert. Sein Fazit, zum Erstaunen im Saal: Die Lehrerausbildung gewinne zwar dadurch an Gewicht, es gebe aber meist nur Dienstleistungen für Studenten. "Es wird nicht das große Rad gedreht." Die Vielfalt der Konzepte sei eine typische Folge der Herangehensweise, sagt Böttcher: Die Politik erkenne, dass etwas nicht gut läuft, delegiere das Problem nach dem Motto "Macht mal was!" und habe zugleich "überbordende Erwartungen". Aber kein klar definiertes Ziel. "Es fehlt eine Theorie des Wandels."

Was ein guter Lehrer können muss? Die Frage geht bei der Tagung in Strukturfragen unter. An einer Art Theorie versuchen sich die Veranstalter jedoch, mit einer Resolution: Unis müssten Lehrerbildung "ernst nehmen", sollten "machen statt abwarten", auch ohne Impulse wie den des Bundes. Es gebe keinen Königsweg. Irgendwann meldet sich ein Mann im Publikum, mit einer Frage: "Hätte man nicht auch einen Lehrer auf die Bühne einladen können?"

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