Anzeigen im Internet:Warum Adblocker die Werbung besser machen könnten

Anzeigen im Internet: Warten auf den Geistesblitz: Don Draper reicht in Mad Men für erfolgreiche Werbung noch eine geniale Idee.

Warten auf den Geistesblitz: Don Draper reicht in Mad Men für erfolgreiche Werbung noch eine geniale Idee.

(Foto: Justina Mintz/AMC)
  • Apple erlaubt iPad- und iPhone-Nutzern erstmals das Blockieren von Werbung.
  • Adblocker lösen in der Werbe- und Medienbranche Sorgen und Verunsicherung aus.
  • Möglicherweise bewirkt die Debatte über Werbe-Blocker auch etwas Positives: bessere Werbung.

Von Dirk von Gehlen

Es sind nur drei Minuten. Doch wer den Zauber erspüren will, mit dem sich die Werbeindustrie seit Jahrzehnten umgibt, muss diese drei Minuten aus der letzten Folge der ersten Staffel der Serie Mad Men gesehen haben. "Das Rad" heißt die Episode, in der die Hauptfigur Don Draper den Marketingverantwortlichen von Kodak ihr eigenes Produkt so eindrücklich verkauft, dass diese plötzlich ganz ergriffen sind von dem Diaprojektor, mit dessen Bewerbung sie Kreativdirektor Draper beauftragt hatten. Draper nennt den Projektor "Das Karussell", eine "Zeitmaschine", die eine Reise in Zukunft und Vergangenheit ermöglicht - ohne dass man eine neue Kassette einsetzen muss.

Die kurze Präsentation, die im Jahr 2007 im US-Fernsehen ausgestrahlt wurde, ist in unzähligen Kopien im Netz zu finden. Sie ist Vorlage und Freude für Werbeagenturen auf der ganzen Welt. Die Kraft einer guten Idee und einer starken Präsentation finden sie hier so anschaulich wieder, dass Don Drapers Kreativität zum Leitbild für eine Branche wurde, die schon zum Zeitpunkt der Erstausstrahlung eine Identitätskrise verspürte. So wie der Kreativdirektor von Sterling Cooper muss man es machen, sprach man sich selber Mut zu: Man muss das Produkt verstehen, es emotional aufladen und dem Kunden dann das verkaufen, was wirklich neu ist.

Der alte Deal - Inhalte gegen Aufmerksamkeit für Werbung - steht in Frage

Ein schöner Traum. Für drei Minuten. So wie Drapers kontinuierlicher Alkoholgenuss heute nicht mehr recht in die Zeit zu passen scheint, mehren sich seit Jahren Zweifel, ob dieses Bild seines Berufs noch zeitgemäß ist. Das Internet hat nicht nur die Arbeit von Musikerinnen und Journalisten, von Filmemacherinnen und Autoren verändert - auch Werbung funktioniert heute anders als in den Sechzigerjahren, als Don Draper sich zur Belohnung einen oder zwei Old Fashioned genehmigte.

Nie zuvor war es so leicht möglich, das zu übersehen, was Draper und seine Nachfolger sich ausdenken: Mit so genannten Adblockern blenden Nutzer Werbung im Netz ganz einfach aus - und stellen damit das etablierte Geschäftsmodell werbefinanzierter Medien in Frage: Der eine liefert Inhalte, der andere lässt sich dafür Anzeigen gefallen.

Es dauerte darum nicht lange, bis irgendwer auf die Idee kam, den Clip aus der Serie so umzuschneiden, dass Draper darin nicht mehr einen Diaprojektor, sondern das Konzept der Facebook-Timeline bewarb. In der neuen Version warf er dieselben Familienfotos an die Wand wie im Original - nur eben als Screenshots seiner eigenen Facebookseite. Und schon hörte man den Werber aus den Sechzigerjahren eben jene Technologie anpreisen, die mit Schuld daran trägt, dass Werbung heute nicht mehr so funktioniert wie damals.

Das Internet hat die Funktionsweise von Werbung radikal verändert

Der Blick auf die Welt, den Facebook seinen Nutzern eröffnet, ist hochpersonalisiert und zugeschnitten auf deren ganz unterschiedlichen Interessen. Die Bühne, auf der alle das gleiche sehen - zum Beispiel einen genialen Spot von Don Draper - gibt es in dieser Form auf Facebook und womöglich im gesamten Internet nicht mehr. Hier sind für den maximalen Erfolg von Werbung nicht mehr allein möglichst kreative Einfälle für einen Spot wichtig, sondern vor allem das Umfeld, in dem die Werbung den surfenden Kunden erreicht.

Allen voran Google, aber auch Facebook, Amazon und vermehrt auch Apple wollen soviel wie möglich über ihre Nutzer wissen, um dieses Wissen dann zu Geld machen zu können. Journalistische Inhalte sind dafür ein gutes Werkzeug. Bei ihrer Nutzung fallen Daten an, mit deren Hilfe die Unternehmen die Aufmerksamkeit ihrer Kunden noch zielgenauer vermarkten können: Wer Artikel über die Schwangerschaft liest, ist vermutlich auch für Babymode-Werbung empfänglich.

Journalistische Inhalte sind Mittel zum Zweck

Das ist auch der Grund, warum Apple und Co. zuletzt vermehrt Journalisten eingestellt haben. Sie sollen Inhalte liefern, das ja. Aber diese Inhalte sind vor allem Mittel zum Zweck: Die Unternehmen wollen wissen, was die Nutzer interessiert - um ihnen dann passgenaue Werbung vorsetzen zu können. Im Gegenzug versprechen die neuen Auftraggeber den Journalisten Reichweite und Aufmerksamkeit. Ein süßes Versprechen, dessen Folgen nicht absehbar sind.

Es reicht heute eben nicht mehr, eine vermeintlich geniale Kampagne zu haben oder eine bewegende Geschichte zu erzählen, wie Draper in Mad Men. Werbung im digitalen Zeitalter basiert vielmehr auf den Interessen derjenigen, die erreicht und anschließend zum Klick oder Kauf gebracht werden sollen. Deshalb wird seit Jahren gemessen und ausgewertet. Mit einem Ergebnis, das für all diejenigen beängstigend ist, deren Geschäfte auf dem Modell des kreativen Werbers und der klassischen Ausspielung seiner Ideen beruhen.

Während man in Print-Magazinen oder bei Fernsehreklame nur grob schätzen konnte, ob der Kunde tatsächlich diese Anzeige gesehen oder bei jenem Spot kurz auf die Toilette gegangen ist, kann man bei digitaler Reklame sehr genau messen, ob und wie lange jemand eine Werbung wahrgenommen hat. Mehr noch, man kann sogar sehen, wenn er sich dieser entzieht. Adblocker sind kleine Programme, die dafür sorgen, Anzeigen auszublenden, wie sie zum Beispiel auch auf der Website der Süddeutschen Zeitung erscheinen.

Adblocker sind umstritten - aber weit verbreitet

Auf Computern, also Desktops und Laptops, gibt es diese Blocker schon länger. Manche Anbieter haben sich zweifelhaften Ruhm damit erworben, sich von betroffenen Firmen gesondert dafür bezahlen zu lassen, werbeblockenden Nutzern die Reklame doch auszuspielen. Ein Geschäftsmodell, das nicht nur Branchenbeobachter merkwürdig finden. Mehrere Medienunternehmen haben gegen Anbieter von Adblockern geklagt, darunter auch die Süddeutsche Zeitung.

Besondere Popularität haben Adblocker in den vergangenen Tagen erlangt, seit Apple sie für jene Computer anbietet, die früher einmal Telefone waren. Im mobilen Betriebssystem iOS9 kann man nun auch auf dem Smartphone Werbung blocken. In der amerikanischen Werbebranche hat dies für so viel Aufregung gesorgt, dass ein Experte sogar die Vermutung twitterte, der Papst werde sich bei seinem Besuch in den USA zu dem Thema äußern.

Die halbe Medienbranche diskutiert über Werbe-Blocker

Das tat er nicht - anders als nahezu jeder Web- und Werbe-Experte. Denn spätestens durch die Block-Optionen von Apple droht aus dem Thema, das bisher nur Branchenexperten diskutierten, eine Debatte zu werden, die weitere Teile der Gesellschaft betrifft. Dabei beschreibt die moralische Frage, ob man Adblocker nutzen und damit werbefinanzierten Medien ihre Einnahmen abschneiden darf, nur einen Teil des Veränderungsprozesses, den diese in Gang gesetzt haben. Die weitaus größere Frage lautet: Wie wird Werbung in Zukunft aussehen?

Denn die großen Internetanbieter von Facebook bis Apple wollen sich nun auch an dem Geschäft der Werbeindustrie beteiligen - und zwar zu ihren Bedingungen. Ihr Versprechen: In ihren Angeboten (das heißt zum Beispiel in der News-App von Apple oder im Stream von Twitter und Facebook) funktioniert Werbung, ohne dass sie geblockt werden kann, und zwar besser denn je: Mit dem wachsenden Wissen der Internetfirmen über die Vorlieben ihrer Nutzer entsteht in den geschlossenen Angeboten dieser Unternehmen ein Ökosystem, in dem zielgenaue Werbung wunderbar wachsen kann - ganz ohne die Kreativität eines Don Draper, dafür mit der Hilfe von Algorithmen.

Die optimistische Sicht: Adblocker werden die Werbung besser machen

Die Alternative zu diesen geschlossenen Systemen baut auf womöglich gute Ideen derjenigen, deren Geschäftsmodelle die großen Internetunternehmen gerade angreifen - und führt vielleicht zu einem Wiedersehen mit Don Draper: Schafft es die Werbe- und Medienindustrie, einen tatsächlich neuen Blick auf ihr Produkt zu werfen und Reklame zu entwickeln, die technisch und inhaltlich anders funktioniert, vielleicht sogar attraktiver ist als diejenige, die heute geblockt wird?

Farhad Manjoo, Technik-Kolumnist der New York Times, die genauso wie die Süddeutsche Zeitung davon betroffen wäre, hält das durchaus für möglich. Schließlich sei dies das Prinzip der Digitalisierung: dass neue technische Möglichkeiten auch neue und nicht selten bessere Angebote nach sich ziehen. Manjoo prognostiziert, dass die Debatte um Adblocker vor allem zu einem führen wird: zu besserer Werbung.

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