Maxvorstadt:Wertstoff-Insel

Maxvorstadt: Schön ordentlich: Die Container stehen, symmetrisch aufgereiht, entlang der vier sternförmig angelegten Wege rund um den Obelisken.

Schön ordentlich: Die Container stehen, symmetrisch aufgereiht, entlang der vier sternförmig angelegten Wege rund um den Obelisken.

(Foto: Stephan Rumpf)

40 Container für Altglas, Metall und Kunststoff auf dem Karolinenplatz führen zu Diskussionen. Die Künstlerin Lena Bröcker will mit ihrer Installation "Neue Werte" für den Umgang mit Müll sensibilisieren

Von Stefan Mühleisen, Maxvorstadt

Die erste Reaktion: Ja, sind die denn verrückt, hier Container aufzustellen! Es ist Montag dieser Woche am Karolinenplatz, Laster fahren vor, laden Dutzende Wertstoff-Container rund um den Obelisken ab, 40 werden es am Ende sein. Lena Bröcker ist auch da, sie registriert die irritierten Kommentare einiger Passanten. "Doch schon am Dienstag hörte ich Jugendliche in der Trambahn sagen: Das muss irgendetwas mit Kunst zu tun haben."

Da lag der junge Mann ganz richtig, denn es hat voll und ganz etwas mit Kunst zu tun. Die Container auf dem Karolinenplatz sind eine Installation, die dort bis zum 12. November stehen wird. Der Titel lautet "Neue Werte", entworfen von der Münchner Künstlerin Lena Bröcker. Es sei als eine Bewusstmachung für den Umgang mit Müll gedacht, sagt sie: "Eine sonst versteckte Wertstoffinsel wird an einem prominenten Platz selbst zum Monument." Die gebürtige Kielerin wurde 2009 mit dem Bayerischen Kunstförderpreis des Kultusministeriums ausgezeichnet; sie hat in Carrara (Italien) und an der Akademie in München Bildhauerei studiert.

Die offenbar brandneuen, beigen Container für Altglas, Metall und Kunststoff stehen, symmetrisch aufgereiht, entlang der vier sternförmig angelegten Wege rund um den Obelisken. Es ist das fünfte und letzte Projekt des diesjährigen Programms für Kunst im öffentlichen Raum, welches das Kulturreferat ausrichtet. Dabei werden an wechselnden Standorten Objekte, Installationen, Performances für eine begrenzte Zeit präsentiert. Das Leitthema heuer lautet: "München 2015: Eine Standortbestimmung". Dazu hatte die Behörde einen Wettbewerb ausgerichtet und fünf Sieger ausgewählt. Darunter war etwa die südkoreanische Künstlerin Hyon-Soo Kim, die im August auf dem Rasen des Marienhofs eine drei Meter hohe und fünf Meter breite Lotosblüte installierte und bei einem interkulturellen Ritual zum Nachdenken über den Frieden einlud.

Böckers Container-Kunst soll auch zum Nachdenken anregen, zum Sinnieren über Müll, wie er im Stadtraum verortet ist und wie die Bürger damit umgehen. "Der Begriff Wertstoffinsel ist ja positiv besetzt. Aber faktisch sind es Müllcontainer, die versteckt an Unorten stehen", erklärte Kerstin Möller, im Kulturreferat verantwortlich für die Kunstprogramme im öffentlichen Raum, am Dienstag bei der Eröffnung der Kunstaktion im Amerikahaus. "Der täglich produzierte Abfall wird ins Bewusstsein gerückt." Uns so ist es durchaus erwünscht, dort auch Müll einzuwerfen.

Doch die Aktion soll auch einen Perspektivenwechsel für den Rondellplatz mit seinem berühmten Denkmal herbeiführen. "Der Ort wird dadurch ganz anders aufgeladen", zeigt sich Möller überzeugt. Ein touristischer Anziehungspunkt werde zeitweise zu einem Monument der Müllverwertung, zu einer "tatsächlichen Wertstoffinsel". Aus Möllers Sicht erfährt der Platz mit dem markanten Monolithen durch die penibel platzierte Container-Schar eine neue Akzentuierung. "Sicher wird es positive und negative Reaktionen geben. Doch wichtig dabei ist, dass die Bürger über ihren Stadtraum diskutieren."

Der Kunsthistoriker Daniel Bürkner, Mitarbeiter der Münchner Eres-Stiftung, will zudem auch eine kulturhistorische Komponente erkennen. Er zog im Amerikahaus eine Verbindung zur Geschichte des Obelisken. Diesen hatte König Ludwig I. zum Gedenken an 30 000 Soldaten errichten lassen, die im Feldzug mit Napoleon gegen Russland 1812 den Tod gefunden hatten. Doch der König deutete damit Bayerns politische Kehrtwende 1813 ideologisch um: Der 29 Meter hohe Pfeiler soll an die Befreiungskriege gegen Napoleon erinnern. "Es ist ein Monument der Heldenverehrung, der Obelisk ruft zur nationalen Identität auf", sagte Bürkner im Amerikahaus. Auch die Wertstoff-Container seien zwiespältig. Plastik-Recycling sei sehr fragwürdig, ein großer Anteil des Kunststoffmülls werde einfach verbrannt. "Der Obelisk und die Wertstoff-Container sind beide Ausdruck dafür, das man das Richtige tun will, es aber nicht immer gelingt."

Das Kulturreferat hat nach eigenen Angaben im Jahr rund 600 000 Euro für temporäre Kunstwerke zur Verfügung. Insgesamt entfallen 1,5 Prozent des gesamten städtischen Bau-Etats auf die Realisierung von Kunst; jeweils die Hälfte teilen sich dabei Bau- und Kulturreferat. Für die Projektreihe mit den fünf wechselnden Standorten sind für jedes Einzelprojekt - auch für die Container-Installation - jeweils 15 000 Euro reserviert. Der Wettbewerb für die Aktionen im kommenden Jahr läuft bereits. Das Thema lautet: "München - dezentral". Es soll um die künstlerische Auseinandersetzung mit Orten in den innenstadtfernen Quartieren und Stadtvierteln gehen.

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