Ellen Page über:Homosexualität

Ellen Page, Los Angeles Times, October 4, 2015

Ellen Page beim Gespräch in Berlin: "Über mich wurde mal geschrieben: Warum kleidet sie sich so gern wie ein Kerl?"

(Foto: Gina Ferazzi/Getty Images)

Die 29 Jahre alte Schauspielerin über ihr Coming-out, den Hass, der ihr seither entgegenschlägt und die Frage, warum man in Hollywood hetero sein muss.

Interview von Laura Hertreiter

Es ist spät abends, als Ellen Page, 29 Jahre alt, anderthalb Meter groß, in Berlin ankommt. Hinter den Fensterscheiben der Hotelbar fällt kalter Regen in die Dunkelheit. Da fühle sie sich gleich wie zu Hause, sagt die Schauspielerin aus Kanada. Dann nimmt sie das nasse Trucker-Cap ab, setzt sich in einen Sessel, Schneidersitz. "Let's talk about sex", sagt sie. "Ich hoffe, Sie haben Zeit."

SZ: Ms Page, Sie wurden in Zeiten von Twitter und Celebrity-Websites wie TMZ bekannt, unter digitaler Dauerbeobachtung also. Beneiden Sie die Julia-Roberts-Generation um ihre Privatsphäre?

Ellen Page: Klar, ich bin immer in dem orwellschen Bewusstsein unterwegs, dass so ziemlich jeder um mich herum eine Kamera dabei hat. Aber mein Neid auf Julia Roberts wäre größer, wenn ich ein Partygirl wäre. Oder ein Fan von illegalen Freizeitaktivitäten. Ich bin aber privat zu langweilig, als dass ich für viele Klicks taugen würde. Ich gehe gern wandern und mit meiner Freundin und meinem Hund spazieren.

Ihr Coming-out vor zwei Jahren hat die Menschen alles andere als gelangweilt.

Ja, irre, wie sehr es die Leute beschäftigt, wenn eine Frau auf Frauen steht. Selbst nach den großen Coming-outs wie dem von Jodie Foster. In Hollywood hat man noch immer hetero zu sein.

Sie haben erstmals öffentlich auf einer Menschenrechtskonferenz in Las Vegas über Ihre Sexualität gesprochen. Unter Applaus erklärten Sie, Ihre psychische Gesundheit und Beziehungen hätten genug gelitten und dass Sie Ihr Coming-out als soziale Verantwortung sehen.

Ich war 26 und wusste, dass ich mich nicht mehr verstecken will. Dass ich mit meiner Freundin über rote Teppiche laufen will. Dass ich irgendwann ein Kind adoptieren und selbst eine Familie gründen will. Aber gleichzeitig wollte ich nicht einfach sagen: "Hey Leute, ich bin 'ne Lesbe." Ich wollte, dass es bei meinem Coming-out nicht nur um mich geht, sondern generell um junge Menschen, die nicht der sexuellen Norm entsprechen. Ich wollte die Frage stellen, warum so viele von uns das Gefühl haben, dass wir uns verstecken müssen.

Seither gelten Sie als Heldin der LGBT-Bewegung, die sich für die Rechte von Schwulen, Lesben, Transgendern, Bi-, Inter- und Transsexuellen einsetzt. Wie haben Sie den Schritt geplant?

In meinem Umfeld wussten alle seit Jahren, dass ich lesbisch bin. Meine Familie, meine Freunde, meine Managerin. Ich hatte auch immer an jedem Filmset das Gefühl, dass das allen sofort klar ist, ich mache ja auch Witze darüber. Aber in der Öffentlichkeit habe ich mich davor gescheut. Ein Coming-out zwingt dich ja, ein Stück deines Intimlebens preiszugeben. Aber das Versteckspiel macht mit den Jahren wahnsinnig unglücklich. Als für mich klar war, dass ich auch ein offizielles Coming-out möchte, habe ich zuerst mit meiner Managerin gesprochen, sie ist selbst lesbisch.

Was hat Sie Ihnen geraten?

Sie meinte: Mach das. Genau wie meine Familie, meine Freunde. Diese Unterstützung von allen Seiten war komisch, weil in Hollywood eigentlich ganz klar die Regel gilt: Wenn du homosexuell bist, behalt's für dich. Mal sehen, was es in den nächsten Jahren für meine Karriere bedeutet, dass ich mich nicht daran halte.

Mit zehn standen Sie fürs kanadische Fernsehen vor der Kamera, mit 21 waren Sie für die Hauptrolle im Kinofilm "Juno" für einen Oscar als beste Schauspielerin nominiert. Kriegen Sie jetzt plötzlich andere Rollenangebote?

Die Leute schicken mir definitiv viel mehr Drehbücher für Filme über Geschichten von Homo- und Transsexuellen. Das ist super, weil es bedeutet, dass es mehr solcher Filme geben wird. Deshalb ist es mir auch echt egal, falls mir jemand jetzt eine Rolle nicht anbietet, weil ich lesbisch bin.

Warum ist Hetero-Sein so wichtig in Hollywood?

Da wird immer mit zweierlei Maß gemessen. Bei mir reicht es, dass ich gerade an mehreren Filmen über Homosexuelle arbeite, und schon sagt jeder: Schon klar, wir haben es jetzt geschnallt, du bist 'ne Lesbe. Und Kollegen, die zwanzigmal einen Hetero spielen? Denen verpasst keiner einen Stempel.

Würden Sie das wieder tun, mit Ihrer Sexualität an die Öffentlichkeit gehen?

Hundertprozentig! Mein Leben ist jetzt so viel freier und besser, ich würde keinen einzigen Tag zurücktauschen. Ich bin so kreativ und inspiriert wie nie zuvor. Wenn ich gewusst hätte, wie sehr mich das verändert, hätte ich's viel früher gemacht. Deshalb ist es mir jetzt auch so wichtig, darüber zu reden. Am liebsten würde ich jedem sagen: Tut das auch, Leute, traut euch. Aber das geht natürlich nicht. Es gibt noch immer überall auf der Welt unzählige Menschen, für die ein Coming-out üble Folgen hätte. Menschen, die verstoßen, verfolgt und gequält würden.

Waren Sie nie in Schwierigkeiten?

Am Tag nach meiner Rede auf der Konferenz hat mich ein Pastor im Flieger erkannt und mir einen Zettel zugesteckt. Da stand: "Auch wenn Gott es toll findet, dass Sie für Ihre Überzeugungen eintreten, fehlt Ihnen wahrscheinlich einfach die liebevolle Umarmung des himmlischen Vaters."

Ernsthaft? Also: ernsthaft?

Genauso fassungslos war ich auch. Hätte der Typ einfach "Schmor in der Hölle" geschrieben, hätte ich das weniger schlimm gefunden. Aber Homosexualität als Glaubenssache darzustellen, ist schrecklich und gefährlich. Insgesamt allerdings habe ich das Glück, als Schauspielerin bis heute unfassbar viele positive Reaktionen zu bekommen. Als Privatperson aber muss ich leider dieselben Erfahrungen machen, die unzählige andere jeden Tag machen.

Wie sehen die aus?

Ich weiß jetzt, wie es sich anfühlt, Hand in Hand mit meiner Freundin die Straße lang zu laufen und angespuckt zu werden. Wie es ist, wenn einem Fremde schreckliche Dinge hinterherbrüllen. Das passiert, weil ich die Liebe zu meiner Freundin nicht verstecke.

In Ihrem neuen Film "Freeheld", der ab 7. April in den deutschen Kinos läuft, spielen Sie eine Frau, die mit ihrer todkranken Partnerin, gespielt von Julianne Moore, für die rechtliche Gleichstellung kämpft.

Eine wahre Geschichte. Wenn man weiß, was die zwei durchmachen mussten, wie wichtig sie für die Rechte von Schwulen und Lesben sind, ist es nicht so leicht, in die Rolle zu schlüpfen. Aber mit Julianne Moore habe ich mich schnell sicher gefühlt. Ich meine: Es ist Julianne Moore! Haben wir nicht alle schon mal drüber nachgedacht, wie es ist, diese Frau zu küssen?

Wie ist es?

Wunderbar normal. Die Chemie zwischen uns war perfekt, wir waren auch in den Drehpausen fast wie ein Pärchen unterwegs, mit Händchenhalten und so. Das Küssen war also kein großer Schritt mehr. Aber Julianne ist ganz klar eine fantastische Küsserin, da will ich ihr um Himmels willen nichts absprechen.

Über Sie ist oft die Floskel zu lesen, Sie würden meist "starke Frauen" spielen.

Eine dämliche Verallgemeinerung. Es würde ja auch niemand vom "starken Mann" im Film sprechen. Da kling durch, dass es was Besonderes ist, dass die Frau auf der Leinwand keine sexy Puppe, keine brave Hausfrau ist. Ich mag einfach Charaktere, die keinen Klischees entsprechen, die widersprüchlich sind - wie Menschen im echten Leben eben.

Ich habe Sie zum ersten mal vor zehn Jahren im Kino gesehen. In "Hard Candy", in der Rolle einer 14-Jährigen, die einen Pädophilen brutal foltert. Ich hatte nächtelang Albträume. Wie ging's Ihnen?

Ich bin selbst noch geschockt, wenn ich daran zurückdenke, dass mich der Regisseur David Slade all das hat tun lassen! Nicht nur, weil ich selbst beim Dreh erst 17 war. Vor allem, weil ich mich als unbekanntes Kid aus Kanada um die Rolle beworben hatte. Selbst wenn ich deshalb auch schlecht geschlafen hätte, wär's das wert gewesen. Die Rolle war mein Durchbruch, weil sich danach alle fragten: Wer ist dieses seltsame Mädchen?

In Wood y Allens "To Rome With Love" spielen Sie eine Frau, die als ultimativer Männertraum angekündigt wird. Kritiker waren begeistert, dass der Zuschauer eine "Blondine mit großen Brüsten" erwartet und stattdessen Sie vorgesetzt bekommt.

Ich bin froh, dass die Leute mich nicht besetzen, weil ich einem Klischee entspreche. Schon gar nicht dem der Sexbombe.

Dabei steht Ihr Name auf der FHM-Liste der Sexiest Women in the World. Und für Computerspiele hat man Sie virtuell sehr leicht bekleidet nachgebaut.

Als Schauspielerin wird man oft ganz anders gesehen, als man sich selbst sieht. Weil man eben auch ständig so superfeminin inszeniert wird.

Wie bei Ihrem Cover-Shooting für die Vanity Fair in High Heels und Abendrobe?

Zur Person

Schauspielerin Ellen Page, 29, stand schon mit zehn Jahren fürs Fernsehen vor der Kamera. Zu ihren berühmtesten Kinorollen zählen die der Architektin in "Inception", einer Superheldin in "X-Men: Der letzte Widerstand", oder eines schwangeren Teenagers in "Juno". Die Tochter einer Lehrerin und eines Grafikers aus Halifax in Kanada wurde mit mehr als einem Dutzend Preisen ausgezeichnet und für einen Oscar als beste Schauspielerin nominiert. Heute lebt sie in Los Angeles. Neben Filmen über LGBT-Themen arbeitet sie derzeit an der Vice-Serie "Gaycation", in der sie das Leben homo-, trans- und bisexueller Menschen in verschiedenen Ländern dokumentiert.

Puh, ja. Das ist Jahre her. Seit meinem Coming-out erwartet so eine Aufmachung zum Glück niemand mehr von mir.

War's so schlimm?

Na ja, es war einerseits cool, weil es ja ein Zeichen dafür ist, dass man als eine von vielen sehr talentierten Schauspielerinnen anerkannt wird. Vor mir waren auf dem Cover viele Kolleginnen, die ich sehr bewundere. Das Problem waren eher die Kleider, die Schminke - und dass man mich in einer Weise hergerichtet hat, mit der ich mich als Frau überhaupt nicht identifiziere.

Ist das nicht bitter, dass Frauen, die in Hollywood Karriere machen, automatisch in diese Outfits gezwängt werden?

Klar, die Filmindustrie ist noch immer eine sehr sexistische Branche. Aber ich hab das Gefühl, dass sich das gerade ändert. Ich könnte gar nicht sagen, wann ich zuletzt High Heels anhatte. Und ich glaube, Frauen können sich gerade sehr androgyn kleiden, ohne dass man sich fragt, was da falsch läuft.

Angelina Jolie trug kürzlich Anzug und Krawatte. Die Boulevardschlagzeile zum Bild lautete: "Mangelina".

Echt? Wow. Hat offensichtlich ein echter Idiot geschrieben.

Über mich schrieb mal ein Journalist unter ein Foto, auf dem ich in Jogginghosen zum Sport gehe: Warum zieht sich diese kleine Schönheit so gern wie ein Kerl an? Das zeigt, wie sehr viele Menschen die Sicherheit brauchen, die ihnen klare Vorstellungen von Normalität suggerieren, egal ob es um Geschlecht oder Sexualität geht. Aber im Grunde ist es zutiefst falsch.

Und ein Fehler, den auch die Filmindustrie ständig macht?

Absolut. Insgesamt ist es doch leider so: Es gibt noch immer zu wenig Rollen für Frauen, die sie in ihrer Vielfalt zeigen. Genauso wie Rollen für Minderheiten, für ethnische Gruppen oder Menschen mit Behinderungen. Und wenn sie doch auftauchen, dann oft nur, um Klischees zu bedienen. Die Art, wie unsere Gesellschaft im Film repräsentiert wird, ist oft genug schauderhaft.

Geschlechterkonstellationen werden im Kino gerade durchaus stark verhandelt. In Ihrem Film "Freeheld" zum Beispiel, in "The Danish Girl", über eine transsexuelle Malerin, oder in "Carol", der Liebesgeschichte zweier Frauen in den Fünfzigern.

Ja, da tut sich endlich etwas. Schon vor dem Kino hat man sich beim Fernsehen weg von Heteronormativen und Geschlechterklischees getraut, da herrscht längst noch mehr Mut zu Minderheiten. Die Macher von Serien wie "Orange is the New Black" zum Beispiel haben erkannt, dass gerade in dem Bereich die spannendsten Geschichten liegen. Und nicht im Bereich der weißen, heterosexuellen Eliten, der ja reichlich auserzählt ist.

Wenn Homosexuelle im Film auftauchen, dann allerdings meist in zwei Inszenierungen: Als Exoten - wie die Quoten-Tunte im Hawaiihemd aus Kommödien. Oder als unterdrückte Kämpfer, wie in Ihrem Film. Ist das nicht problematisch?

Klar, wir bräuchten längst mehr Filme, in denen Homosexualität ganz beiläufig einfließt. Ich arbeite mit meiner Kollegin Kate Mara gerade an einer Liebesgeschichte, bei der das so sein wird. Aber ich glaube, noch sind wir nicht so weit, dass das genügt. Noch ist es wichtig, auch vom Kampf, von der Unterdrückung zu erzählen. Steht ja leider auf keinem Lehrplan. Viele Leute denken, es hätte irgendwann plötzlich überall auf der Welt Transsexuelle gegeben. Oder Homosexuelle. Deshalb sind Filme zu dem Thema wichtig: damit wir den Menschen, die für die Bewegung Helden wurden, Denkmäler setzen. Damit alle wissen, dass es sie schon immer gab, sie aber die meiste Zeit brutal unterdrückt, tabuisiert und entrechtet waren, dass die Gesellschaft sie unsichtbar gemacht hat. Und dass es sie auch geben wird, wenn wir alle längst tot sind.

Auch, weil es weiterhin Bedarf an neuen Helden gibt?

Und wie. In den USA kannst du in 31 Staaten noch immer gefeuert werden, wenn du schwul oder lesbisch bist. Dir können Wohnungen verwehrt werden. 40 Prozent der obdachlosen Jugendlichen sind homo- oder transsexuell. Ich könnte ewig weiter heftige Statistiken darüber aufzählen, wie schwierig die Lage noch immer ist. Der Kampf ist längst nicht ausgekämpft.

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