Quandt-Erbin zur Gigolo-Affäre:Klatten bricht ihr Schweigen

Sie zog unerkannt bei BMW und Altana die Strippen, bis eine Affäre mit einem Gigolo sie zur öffentlichen Frau machte. Nun redet Susanne Klatten erstmals darüber.

Hans-Jürgen Jakobs

Am Anfang hat sie jede Zeile gelesen. Jede Zeile in der Presse, die einen Fehltritt beschrieb, der zum Kriminalfall wurde - "Schweizer Gigolo erpresst reichste Deutsche mit pikanten Sexvideos aus einem Hotelzimmer". Sie las, wie ihre Ehre, die Ehre der Milliardärin Susanne Klatten, beschmutzt wurde. Wie sie, die große Unbekannte, zur öffentlichen Person wurde.

Quandt-Erbin zur Gigolo-Affäre: Susanne Klatten: Früher scheute sie die Öffentlichkeit, jetzt meldet sie sich zu Wort.

Susanne Klatten: Früher scheute sie die Öffentlichkeit, jetzt meldet sie sich zu Wort.

(Foto: Foto: ddp)

Jetzt redet die BMW-Großaktionärin und Herrin über den Chemiekonzern Altana, geborene Quandt, erstmals in dieser verflixten Sache. "Das tut mir weh", sagt sie über die vielen ausschmückenden Storys: "Man muss sich distanzieren, einen Schutz aufbauen. Sonst droht es mir schlechtzugehen."

Susanne Klatten, 46, hat diese Sätze am Telefon einem Reporter der Financial Times Deutschland gesagt. Der Journalist hatte die Unternehmerin für ein großes Porträt schon mehrfach getroffen, ehe die Gigolo-Affäre publik wurde. Nun steht in einem außergewöhnlich differenzierten Porträtpsychogramm auf drei Seiten, was das Intermezzo mit dem inzwischen in München-Stadelheim inhaftierten Ex-Liebhaber für das Leben der Betrogenen bedeutet.

"Ich will gelassener werden"

Der Stoff handelt von der Last, eine Quandt zu sein - und von den Ausbruchsversuchen aus einem mentalen Gefängnis. "Ich habe in den zwölf Monaten gelernt, mit dem Leben anders umzugehen, meinen Perfektionismus weiter abzulegen", sagt sie der FTD über die Folgen der tausendfach beschriebenen Affäre: "Ich will gelassener werden. Ich habe mir die Aufgabe gestellt, fröhlich zu bleiben."

Wie fröhlich kann man sein, wenn man in eine Welt hineingeboren wird, in der Macht alles ist und Geld wie selbstverständlich ausgegeben wird? In der vom eigenen Wort Tausende Arbeitsplätze abhängen und alle Entscheidungskraft erwarten ?

Die Frau, deren Gesicht inzwischen Zeitungsleser in Italien, England und China kennen, ist großgeworden mit dem Glanz und den Geheimnissen einer Dynastie, die Großvater Günther Quandt vor 100 Jahren mit einer Tuchfabrik begründet hat. Das Imperium wuchs mit dem Batteriehersteller AFA, der im "Dritten Reich" mit den Nazis kooperierte und für den viele Zwangsarbeiter arbeiteten. Ihr Vater Herbert Quandt war damals Vorstand. Nach dem Krieg wurde aus AFA einfach Varta und aus Quandt ein Held des Wirtschaftswunders. Er rettete BMW vor der Pleite.

Eine Quandt zu sein, heißt: Fremden mit Misstrauen zu begegnen. Unauffällig zu sein, so wie ihre Mutter Johanna Quandt. Sie bevorzugt bürgerliche Kostüme. Und es bedeutet, Pflichtgefühl zu haben und Disziplin. In dieser Welt - eher unfröhlich - wuchs Susanne Klatten auf.

Und dann ist sie 20 Jahre alt, ihr Vater stirbt und sie erbt zusammen mit ihrem Bruder Stefan das große Vermögen, mit Anteilen an BMW und Altana. Gartenarchitektin will die Tochter werden, doch sie studiert am Ende in London und Lausanne Wirtschaft - "ich bin davon zurückgeschreckt, einen ganz eigenen Weg zu gehen".

Lesen Sie weiter, wie Susanne Klatten in ihre Rolle als Unternehmerin hineingewachsen ist.

Klatten bricht ihr Schweigen

Die Kommilitonen kennen ihren Nachnamen nicht, und sie genießt "die große innere Freiheit, die man braucht, um sich selbst zu entwickeln". Für den Ingenieur Jan Klatten, den sie in einem BMW-Werk kennenlernt, ist sie sieben Monate lang "Susanne Kant". Erst dann offenbart die BMW-Mitbesitzerin ihre Identität. Sie heiraten und gehen in die USA, wo sie unbeschwert leben.

Doch dann ist es wie immer - es ruft die Pflicht. Dann ist sie wieder die Quandt-Erbin, die plötzlich entscheiden muss. Die in Aufsichtsräten sitzt und Schicksal spielt. Bei Altana drückt sie den Verkauf der Babynahrungstochter Milupa und viele Jahre später die Trennung von der Pharmasparte durch; in Kürze will sie den eigenen Anteil an Altana von 50 auf 100 Prozent aufstocken und den Konzern von der Börse nehmen. Bei BMW wiederum senkt sie 1999 den Daumen über Vorstandschef Bernd Pischetsrieder, der mit dem Kauf der britischen Autofirma Rover viel Geld verschleudert hat.

Susanne Klatten wächst in ihre unternehmerische Rolle hinein. Sie hat keine Wahl. Sie muss. Die Zweifel bleiben. Der Boden wankt. "Dieser Moment, wo man - fffffft - das Gefühl hat, irgendwas ist zu groß", sagt sie dem Reporter der FTD.

Angst vor dem Scheitern

Es ist das ehrliche Bekenntnis einer Frau, die es immer recht, immer besonders gut machen muss - und die offenkundig einfach Angst hat, zu versagen. "Weil alle so viel erwarten von einem ... Weil das, was geleistet worden ist, so großartig war. Diese Legende, die andere um einen rum aufbauen, um die man sie nie gebeten hat. Und trotzdem ist da dieses Bestreben, sie erfüllen zu wollen. Und das ist die Gefahr: Dass man sich selbst verliert." So redet sie über den Kampf der Susanne Klatten mit Susanne Quandt.

Im Grunde ist das Leben der Münchner Milliardärin, die in Alt-Schwabing eine Villa bewohnt, eine ewige Suche nach dem Ich. Es ist ein Leben mit kleinen Fortschritten, es gibt Stunden, da will sie nicht streng sein zu sich selbst. In der sie sich eine "Perforation des Pflichtgefühls" erarbeiten will, wie sie das nennt, ganz so, als ob man Glück im Seminar lernen kann. In der die Kompliziertheit der Welt hinter einem Lächeln verschwindet.

Von wegen Liebe

Sie ist beispielsweise stolz darauf, mit einer Freundin aus einem Museum in Florenz herausgeworfen zu werden, nachdem sie sich prustend über die Namen alter Musikinstrumente amüsiert hatten - Namen wie Bimboliphono und Herdiegerdie. Sie nimmt bei einer Gesangslehrerin, die von ihr Geld für eine Kinderoper will, Stunden und singt, dann endlich einmal fröhlich, "Amazing Grace". Manchmal kann Susanne Klatten Mädchen sein.

Manchmal auch braucht sie jene "Frohmedizin", die der auf eine betuchte Klientel spezialisierte Lanserhof bei Innsbruck anbietet, ein Wellnesshotel und Sanatorium in einem. Reiche Trinker werden hier für ein paar Wochen trocken, Kettenraucher entwöhnen sich vom Nikotin und Sinnsuchende finden Orientierung.

Hier lernte Susanne Klatten an der Bar jenen Mann kennen, der ihr Leben in Unruhe brachte - und ihre Ich-Werdung ungewollt beschleunigte. Sie hat den "Frauenflüsterer" (Spiegel) im Januar 2008 angezeigt, als endgültig klargeworden war, dass es nie um Liebe ging, sondern immer nur um ihr Geld. Dass ihm die 7,5 Millionen Euro, die sie als Darlehen freiwillig gab, nicht genug waren.

Lesen Sie weiter, wer der Fremde wirklich war.

Klatten bricht ihr Schweigen

Die mächtige Eigentümerin von BMW und Altana war in die Fänge einer auf wohlhabende Damen spezialisierten schweizerisch-italienischen Erpresserbande geraten. Familie Klatten konsultierte das Institut für Konfliktforschung und Krisenberatung in Aschheim bei München. Der Gang zur Polizei war dann eine Befreiung - sowohl von den Gangstern als auch von den alten Quandt-Zwängen.

"Das war ein Moment der Klarheit: Du bist jetzt Opfer, und du musst dich wehren", sagt Susanne Klatten in der FTD: "Ich wehre mich jetzt im Namen aller Frauen in meiner Familie. Und im Namen vieler anderer Frauen auch." Ihr Mann habe sie dabei unterstützt: "Es war unsere einzige Chance. Anders geht das ewig weiter."

Sie hätte auch mit Verweis auf Privatsphäre den forschenden Journalisten mit Klagen drohen und Anwälte aufziehen lassen können. Gibt es ein öffentliches Interesse an intimen Polizeikontrollen, die im Internet zu lesen sind? Aber die in Not geratene Unternehmerin wollte sich dieser Angelegenheit stellen.

Auf einmal war die Welt der Susanne Hanna Ursula Klatten radikal verändert. Kein Versteckspielen mehr, kein geheimes Strippenziehen. Die Harmonie der Superreichen, das Beziehungsgeflecht mit anderen Top-Unternehmern wie den Dorniers oder der Familie des Europachefs von General Motors, Carl-Peter Forster, war gestört. "Das Gesicht des Bösen wirkt oft so liebenswert", dichtete die Bunte. Eine "gefährliche Liebschaft", titelte Gala.

"Die Bombe platzt"

Es kommen die Monate, in denen Polizei und Justiz ihre Arbeit verrichten. Das Netz rund um den Gigolo wird enttarnt. Gleichzeitig dringen erste Spekulationen an die Öffentlichkeit - bis dann im Oktober "die Bombe platzt", wie Susanne Klatten das nennt. Von Italien dringt die Affäre über England nach Deutschland, mit immer neuen schmutzigen Details.

Sie habe viele Briefe von Freunden, Bekannten und alten Klassenkameraden bekommen, sagt Susanne Klatten jetzt. Und: "Das berührt mich. Ich werde sehr wohl als Mensch wahrgenommen." Das ist der Schluss-Satz in der FTD-Geschichte.

Die Frau, die nicht mehr nur die reiche Erbin ist, sondern "Mensch", will sich künftig verstärkt um ihre eigene Aktivitäten kümmern, um das UnternehmerTUM, ein Netzwerk für Firmengründer rund um die Technische Universität München. Das sei ihr "Start-up" und so etwas wie "Rückwärtslernen", sagt sie - also etwas, das sie ganz allein macht, so wie ihr Vater einst ganz allein BMW vor der Pleite gerettet hat.

Das ist ihre Art, mit dem Namen Quandt umzugehen. Und wenn sie beim Rückwärtslernen endlich angekommen ist, dann wird vom Gigolo vermutlich keiner mehr reden.

Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: