Nachlese:"Polizeiruf 110": So kaputt, dass alle Liebe nicht hilft

Polizeiruf 110: Endstation

Zwei, die sich nicht gesucht, und auch noch nicht zueinander gefunden haben: die Magdeburger Kommissare Brasch (Claudia Michelsen) und Köhler (Matthias Matschke).

(Foto: MDR/Christine Schroeder)

Harter Start für den Neuen im Magdeburger "Polizeiruf": An der Seite von Anti-Teamplayerin Brasch ist es nicht leicht, den Tod eines Kindes aufzuklären.

Kolumne von Johanna Bruckner

Darum geht es:

Um die Frage, wann Endstation ist, so auch der Titel dieses Magdeburger Polizeirufs. Wann macht einen der Job so kaputt, dass man aufhören muss (Kriminalobermeister Mautz)? Wann hat sich der eigene Sohn so weit von einem entfernt, dass man ihn loslassen muss (Hauptkommissarin Brasch)? Und wann sind Kinder so kaputt, dass man ihnen mit aller Liebe nicht mehr helfen kann?

Unweit des Polizeireviers wird die Leiche des elfjährigen Marco gefunden, der Junge wurde totgeprügelt. Kommissarin Brasch und ihr neuer Kollege Dirk Köhler ermitteln in zwei Welten: Da ist die augenscheinlich liebevolle Pflegefamilie Schilchow (besitzt, Achtung Symbolik, eine Wäscherei!), die Marco und seinen älteren Bruder Sascha aufgenommen hat. Im Haus wohnen außerdem eine weitere Pflegetochter, die lernbehinderte Nadine, und Bella, die leibliche Tochter der Schilchows. Ist diese schwierige Konstellation am Ende eskaliert? Oder haben doch die leibliche Mutter der Jungen, die drogensüchtige Manuela Siebrecht, und ihr Hehler-Freund etwas mit dem Tod zu tun?

Hier lesen Sie die Rezension von SZ-Tatort-Kritiker Holger Gertz:

Bezeichnender Dialog:

Die Ermittler kommen aus dem Verhör mit dem kriminellen Ingo Ratzek. Er ist mit der Mutter von Sascha und Marco liiert - die Kommissare verdächtigen ihn, die Jungen in seine kriminellen Geschäfte verwickelt zu haben.

Kommissar Köhler: Wir müssen ihn laufen lassen.

Kommissarin Brasch: Er steckt da mit drin, das ist ganz klar.

Kommissar Köhler: Falls er Sascha und Marco wirklich für die Einbrüche benutzt hat, könnte es nicht auch sein, dass Manuela Siebrecht ihre Söhne Ratzek als Einbruchhilfe angeboten hat?

Kommissarin Brasch: Nein, das glaub' ich nicht. Ich glaube, sie möchte einfach nur 'ne gute Mutter sein. Und was sonst so abgeht, das kriegt sie nicht wirklich mit.

Kommissar Köhler: Aber warum haben sich die beiden darauf überhaupt eingelassen? Die Schilchows bieten ihnen ein sorgenfreies Leben.

Kommissarin Brasch: Ja, aber vielleicht nicht das, was sich ein Teenager erträumt. Das kennen Sie nicht, oder? Wollten Sie nie irgendwo ausbrechen?

Kommissar Köhler: Nehmen wir mal an, Sascha hat sich auf Ratzeks Vorschlag eingelassen. Und Marco?

Kommissarin Brasch: Aus Liebe zu seinem Bruder, oder Sascha hat ihn gezwungen dazu - bis Marco nicht mehr konnte. Er wollte aufhören. Dann ist er mit der Uhr zur Polizei gelaufen.

Kommissar Köhler: Und deswegen prügelt Sascha seinen eigenen Bruder tot?

Kommissarin Brasch: Wie war das eben, Herr Köhler? Wenn ich Sascha nicht aufgehalten hätte, was glauben Sie, hätte er mit seiner Mutter gemacht?

Die besten Zuschauerkommentare:

Top:

Zur Abwechslung kein Sonntagabend-Krimi, der wahlweise hochpolitisch oder klamaukig ist. Sondern ein Polizeiruf, der leise, aber unaufhaltsam eine Tragödie erzählt: von hehren Wünschen (zu helfen oder es besser zu machen als die Eltern), über grausame Rückschläge (die Realität, wie immer) bis hin zur absoluten Ausweglosigkeit (Endstation eben). Ja, das ist der klassische Weg, den die Tragödie nimmt, und deshalb ist diese Episode dann und wann auch mal vorhersehbar - packend ist sie trotzdem.

Flop:

Nicht nur, dass Kommissarin Brasch den brutalen Tod eines Kindes aufklären muss, dabei an ihre eigene schwierige Kindheit erinnert wird, und dazu noch mit ihrem neuen Partner hadert - dann kommt auch noch ihr Sohn aus dem Gefängnis. Erst lässt der seine Mutter vor dem Knast vergeblich warten und dann sitzt im Wohnzimmer von Doreen Brasch plötzlich ein Kamerad mit Bürstenschnitt und kippt Bierchen. So viel emotionalen Ballast kann selbst die toughe Kommissarin mit Lederjacke und Motorrad nicht schultern.

Bester Auftritt:

Manchmal würde man sich wünschen, in Krimi-Kommissariaten arbeiteten ganz normale Menschen. Kommissar Dirk Köhler (Matthias Matschke) ist die Verkörperung dieses Wunsches: Kommt so nett und durchschnittlich daher, wie es sein Nachname vermuten lässt. Trägt Wollsakko und einen Bart, der ein Hipster-Bart sein könnte, bei ihm aber einfach nur ein Doppelhaushälftenspießerbart ist. Und bringt am ersten Arbeitstag seinen Sohn mit, der vermutlich neben Fußball und Geigenunterricht einmal die Woche zum Kinderpsychologen geht. Pro forma. In jedem anderen Büro wäre dieser Dirk Köhler ein geschätzter Kollege - im Magdeburger Kommissariat, wo "Teamplayer" eine Beleidigung ist, hat er's allerdings schwer.

Kommissar Köhler: Frau Brasch, ähm, ich hab' Sie anfangs falsch eingeschätzt. Ich hab' das jetzt erst gehört, von dem Problem mit Ihrem Sohn. Für Sie als Polizistin muss das ja ganz furchtbar sein. Ich hoff' einfach, Sie machen sich keine Vorwürfe, Erziehung ist keine exakte Wissenschaft, und wenn Sie mich fragen ...

Kommissarin Brasch: Ich frag' Sie aber nicht.

Kein Wunder, dass sich der arme Kerl irgendwann auf hilflose Anbiederung versteigt: "Ich hab' jetzt diese App 'Schleichwege in Magdeburg' - kommt man echt gut durch mit."

Beste Szene:

Einmal schafft es Köhler dann doch, seine neue Kollegin für sich einzunehmen. In der Vernehmung des Verdächtigen Ratzek schaltet Köhler plötzlich das Aufnahmegerät aus, steht auf - und schleudert Ratzek samt Stuhl in einem Nick-Tschiller-Move auf den Boden. Und dann noch mal Tschiller, äh Köhler: "Typen, die kleine Jungs quälen, sind im Gefängnis echt beliebt. Und ich helfe gerne, dass solche Arschlöcher wie du dort mit der gebührenden Aufmerksamkeit empfangen werden. Alles klar?" Seien wir ehrlich: So angenehm ein Krimi-Kommissar ohne erkennbare Neurosen ist - ein bisschen Wahnsinn braucht es dann doch.

Die Erkenntnis:

Ist eine bittere: Manchmal sind junge Menschen nicht mehr zu retten. Die drängende Anschlussfrage lässt der Polizeiruf offen: Soll man es deshalb gar nicht mehr erst versuchen?

Schlusspointe:

Wann ist Endstation? Wer sich diese Frage stellt, ist schon angekommen an jenem finalen Punkt, an dem die Entscheidung keine mehr zwischen Alternativen ist, weil die letzte Möglichkeit zum Umsteigen verpasst wurde. Zum Schluss kniet Pflegemutter Schilchow auf dem Boden ihrer Wäscherei und kippt blaues Reinigungsmittel auf den blutverschmierten Boden. "Ich hatt' mir das alles anders vorgestellt", sagt sie zu Kommissarin Brasch.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: