Nato-Gipfel:Die Nato sucht ihre Balance zwischen Rüsten und Reden

Norwegian Air Force's F-16 fighters and Italian Air Force's Eurofighter Typhoon fighters patrol over the Baltics during a NATO air policing mission from Zokniai air base near Siauliai

"Rückversicherungsmaßnahmen": Norwegische und italienische Kampfjets bei einem Nato-Patrouillenflug über Litauen.

(Foto: REUTERS)
  • Die östlichen Nato-Staaten fordern nach der Annexion der Krim eine ständige Präsenz von multinationalen Nato-Truppen.
  • Doch die westlichen Mitglieder, insbesondere Deutschland, wollen im Osten keine Kampftruppen dauerhaft stationieren
  • Nun wird die Nato je etwa tausend Soldaten nach Polen, Litauen, Lettland und Estland entsenden - gleichzeitig möchte Nato-Generalsekretär Stoltenberg den Dialog mit Russland stärken.

Von Daniel Brössler

Am Ende soll es so aussehen, als sei alles von Anfang an klar gewesen. "Als Ergebnis unseres letzten Gipfels in Wales haben wir Pläne entwickelt für die größte Verstärkung der kollektiven Verteidigung der Nato seit Ende des Kalten Krieges", setzte Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg dieser Tage den Ton, "in Warschau werde ich den Staats- und Regierungschefs berichten, dass die Nato den Worten hat Taten folgen lassen. Wir haben eine schnellere, stärkere, einsatzbereitere Nato geschaffen." Beim Gipfel in Warschau, so klingt das, erreicht die Nato genau jenes Ziel, das sie sich 2014 in Wales gesetzt hat.

Unter dem frischen Eindruck der Annexion der Krim und dem von Russland befeuerten Krieg im Osten der Ukraine hatte die Nato in Wales ein Bündel an "Rückversicherungsmaßnahmen" zur Beruhigung der östlichen Nato-Staaten beschlossen. In der Folge schuf das Bündnis eine "Speerspitze" aus Soldaten, die im Krisenfall binnen Tagen verlegt und eingesetzt werden können, und acht kleine Hauptquartiere im Osten. Bestehende Krisenreaktionskräfte wurden verstärkt.

Die von Stoltenberg angekündigte Vollzugsmeldung aber ist nicht das, worum es in Warschau von diesem Freitag an wirklich geht und was das Treffen zum historischen Gipfel macht. Abseits der viel beachteten Manöver hat die Nato in den vergangenen Monaten eine stille Revolution erlebt. Diese hat sich ausgebreitet in den Sitzungsräumen des angejahrten Brüsseler Hauptquartiers, wo es darum ging, was die "dritte Phase", wie es der amerikanische Nato-Botschafter Douglas Lute nennt, für das Bündnis bedeutet.

Klar ist, dass die Allianz mittlerweile ihr drittes Leben begonnen hat - nach der Nato des Kalten Krieges und nach der Nato im Außendienst auf dem Balkan und am Hindukusch. Diese neue Phase wird geprägt von "Herausforderungen aus dem Osten und Herausforderungen aus dem Süden", so der Nato-Jargon.

Den östlichen Mitgliedern waren Worte nicht genug - sie wollten Soldaten

Weil die Mitgliedstaaten ganz unterschiedlich von russischen Drohgebärden oder dem Terror des "Islamischen Staates" betroffen sind, ging es in den vergangenen Monaten in der Nato um eine Art Gleichgewichtsübung. "Die Einstellung hat sich geändert. Die Herausforderungen aus dem Süden und dem Osten stehen nicht mehr in Konkurrenz zueinander", sagt der estnische Generalstabschef Riho Terras. "Wir verstehen, was die im Süden bewegt. Und die im Süden verstehen uns."

Traditionell wird ein solches Verständnis im Bündnis weniger durch harmonische Gruppendynamik befördert als durch harte Interessen. In der Nato werden ausnahmslos alle Entscheidungen einstimmig getroffen. Das macht aus der Allianz eine Konsensmaschine, die sich in den Vor-Gipfel-Monaten wieder als effektiv erwiesen hat.

Dabei war die Ausgangslage schwierig: Schon im vergangenen Jahr war klar geworden, dass die östlichen Mitglieder sich mit "Rückversicherung" à la Wales nicht zufrieden geben würden. Gegen die von ihnen als äußerst real empfundene Gefahr einer Bedrohung aus Russland forderten sie eine ständige Präsenz von multinationalen Nato-Truppen.

Dagegen stand das Pochen westlicher Nato-Staaten, insbesondere Deutschlands, auf die Nato-Russland-Grundakte. Sie gilt immer noch und soll auch - trotz Murrens etwa aus Polen - weiter gelten. In der Vereinbarung von 1997 hatte die Nato zugesagt, dass sie "im gegenwärtigen und vorhersehbaren Sicherheitsumfeld" im Osten keine "substantiellen Kampftruppen dauerhaft stationiert".

Etwa seit Januar wurde in Nato-Gremien hart verhandelt. Die Deutschen lehnten mehr "Präsenz" zwar nicht grundsätzlich ab, pochten aber auf Signale der Gesprächsbereitschaft in Richtung Moskau. Für Polen, Litauer und die anderen wurde klar, dass die deutsche Zustimmung - und vor allem die dringend benötigte deutsche Beteiligung - ihren Preis haben würde.

Beim Treffen der Verteidigungsminister im Februar war der Konsens so weit gediehen, dass Stoltenberg das alte, neue Leitmotiv "Abschreckung" verkünden und "Präsenz" im Osten der Allianz in Aussicht stellen konnte. Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen (CDU) gab sich damals immer noch zugeknöpft und sprach lieber über "weitere Modernisierungsschritte".

Und was ist mit Steinmeiers Warnung vor "lautem Säbelrasseln und Kriegsgeheul"?

Der Deal aber, für den im englischen zwei D stehen, war klar: deterrence and dialogue - Abschreckung und Dialog. "Wir haben uns auf eine Botschaft des Dialogs und der Verteidigung verständigt", sagte Stoltenberg denn auch nach dem Treffen der Nato-Außenminister im Mai. Der Deutsche Frank-Walter Steinmeier (SPD) hatte gegen erhebliche Widerstände eine Wiederbelebung des Nato-Russland-Rates durchgesetzt. Im April tagte das Gremium zum ersten Mal nach fast zweijähriger Pause, vier Tage nach dem Warschauer Gipfel soll es wieder zusammenkommen.

Dabei geht es auch darum, die Hauptentscheidung des Warschauer Gipfels verträglicher zu machen. Die Nato wird je eine multinationale, "robust" ausgestattete Kampftruppe in Bataillonsstärke (also etwa tausend Soldaten) nach Polen, Litauen, Lettland und Estland entsenden. Die Soldaten sollen im Falle eines Angriffs einen Brückenkopf für Verstärkung schaffen. Vor allem aber sollen sie, wie Stoltenberg sagt, eine Botschaft senden: "Ein Angriff auf einen Verbündeten wäre ein Angriff auf alle Verbündeten."

Vier "Rahmennationen" übernehmen dabei die Hauptlast: die USA in Polen, Großbritannien in Estland, Kanada in Lettland und Deutschland in Litauen. Die Deutschen müssen sich darauf einstellen, den größten Teil ihrer Truppe selbst zu stellen. Unterstützung haben aber schon Niederländer und Belgier angeboten. Das Vorhaben ist auf Dauer angelegt, wobei die Truppen - streng nach den Regeln der Grundakte - rotieren werden. Zahlenmäßig, so versichert die Nato, liege man mit 4000 Soldaten "weit" unter den Beschränkungen der Grundakte.

Und Steinmeiers Warnung vor "lautem Säbelrasseln und Kriegsgeheul"? Sie dürfte in Warschau zumindest leise nachhallen, wiewohl der Außenminister ja auch seine Unterstützung für die Verstärkung im Osten verkündet hat. "Die Nato muss beides tun", beschwichtigt Stoltenberg, "die Verteidigung und Abschreckung stärken und gleichzeitig ein kooperativeres und konstruktiveres Verhältnis zu Russland anstreben." Die Konsensmaschine läuft.

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