Katalonien:Die Freiheit, die sie meinen

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Die katalanische Regionalregierung will 2017 die Loslösung von Madrid erzwingen - kann sich aber nicht mal auf einen Haushalt für das kommende Jahr einigen. Die Frage der Unabhängigkeit Kataloniens spaltet auch das Madrider Parlament.

Von SEBASTIAN SCHOEPP, München

Wenn es um historische Katastrophen geht, pflegen die Katalanen ihre Wunden nicht weniger hingebungsvoll als die Amerikaner. Wenn am 11. September die USA der Anschläge auf die Zwillingstürme in New York gedenken, erinnern sich die Katalanen mit mindestens gleich großer nationaler Inbrunst eines weiter zurückliegenden Ereignisses am selben Datum. Am 11. September 1714 rissen die bourbonischen Truppen aus Madrid die Mauern Barcelonas nieder und führten die Katalanen in eine aus ihrer Sicht bis heute andauernde, jahrhundertelange Knechtschaft. Deshalb demonstrierten am Sonntag wieder Hunderttausende Katalanen aus allen gesellschaftlichen Gruppen für eine Loslösung von Madrid. Carles Puigdemont, der Ministerpräsident der Region Katalonien, legte am Montag nach und kündigte an, 2017 solle das Jahr der Unabhängigkeit werden.

Wie schon sein Vorgänger Artur Mas plant er eine Volksabstimmung über die Abspaltung - und wie schon Mas kennt er längst die unausweichliche Antwort aus Madrid: solche Referenden seien in der spanischen Verfassung nicht vorgesehen. Deshalb schränkte Puigdemont auch sofort ein, ein Referendum werde es nur geben, wenn seine Gültigkeit mit Madrid ausgehandelt sei. Das aber kann er vergessen, zumindest solange eine der beiden großen Parteien dort regiert, also die Konservativen oder die Sozialisten. Wer das sein wird, ist allerdings seit bald einem Dreivierteljahr offen, weil sich keine tragfähige Koalition in Madrid zusammenfindet.

Eines der Hindernisse bei den Verhandlungen ist - ausgerechnet Katalonien. Ein Linksbündnis unter Führung der Sozialisten scheitert bisher auch an der Frage, wie mit Separatisten umzugehen sei. Während Sozialistenchef Pedro Sánchez jedes Zugeständnis ablehnt, würde die linksalternative Podemos, drittstärkste Kraft im Madrider Parlament, die Katalanen abstimmen lassen. Die bislang kommissarisch regierenden Konservativen unter Mariano Rajoy sind in ihrer Haltung sowieso klar: Ihnen geht die Einheit Spaniens über alles. So sind Neuwahlen in Spanien zu Weihnachten wahrscheinlich, es wäre der dritte Urnengang innerhalb eines Jahres.

In Barcelona erhielten die separatistischen Parteien bei der Regionalwahl 2015 nur knapp über 50 Prozent. Nun bilden sie ein ziemlich buntscheckiges Regierungsbündnis, nur der Wunsch nach Unabhängigkeit hält Linksrepublikaner, die konservativ-liberalen Demokraten von Puigdemont und die linksalternative CUP zusammen. Auf die CUP kann Puigdemont sich nicht verlassen, sie ließ erst im Juni den Haushalt platzen, weil sie die Sparpolitik des Ministerpräsidenten ablehnt. Die CUP zeigte sich erst konziliant, als Puigdemont für den 28. September eine Vertrauensabstimmung ankündigte. Eine Zustimmung zum Etat, so stellten die linke Splitterpartei fest, bedeute dies jedoch nicht. So steht die autonome Region Katalonien - so wie der insgesamt führungslose spanische Staat - weiterhin ohne gültiges Budget für 2017 da.

© SZ vom 13.09.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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