Antidepressiva:Beendet den Streit um die Psychopharmaka!

Nebliges Frankfurt

Menschen, denen die Welt nur noch kalt und grau erscheint, brauchen Hilfe.

(Foto: dpa)

All das Unken der Pseudoaufklärer muss aufhören: Medikamente gegen die Depression sind keine Wunderpillen, aber sie helfen vielen Betroffenen zumindest etwas.

Kommentar von Christian Weber

Vielleicht muss es tatsächlich noch mal gesagt werden, also gut, ein letztes Mal: Ja, Antidepressiva wirken; nicht wahnsinnig gut, aber sie wirken, besser als Placebo und insbesondere bei schwereren Depressionen. Und sie sind einigermaßen verträglich.

Das ist die Kernaussage der bislang größten Metaanalyse zum Thema, das Ergebnis der Analyse von 522 Studien zu 21 Antidepressiva mit weit über 100 000 Teilnehmern, feinste Statistik, höchste methodische Qualität, diese Woche veröffentlicht im Fachmagazin The Lancet (die SZ berichtete gestern). Überraschend ist dieses Ergebnis nicht. So beruhen die Leitlinien der Fachgesellschaften zur Behandlung der Depression seit Langem auf dieser Erkenntnislage.

Man sollte nicht noch mehr Geld in Forschung stecken, die bekannte Tatsachen bestätigt

Aber womöglich ist diese Botschaft noch nicht überall angekommen, denn immer noch finden sich zahlreiche Berichte in pseudoaufklärerischen Medien und erst recht im Netz, wonach Medikamente gegen Depressionen keinerlei Wirkung hätten. Immer noch kursieren Befürchtungen, dass Antidepressiva abhängig machen und die Persönlichkeit verändern, obwohl das frei erfundener Unfug ist.

Typische Nebenwirkungen der modernen Wirkstoffe wie etwa Mundtrockenheit, Kopfschmerzen, innere Unruhe oder vorübergehender Libidoverlust können unangenehm sein, sind aber bestimmt den Symptomen einer Depression vorzuziehen. Bei somatischen Medikamenten nehmen Patienten vergleichbare Effekte achselzuckend in Kauf.

Zugegeben, es gibt auch einige wenige Experten, die an der Wirksamkeit von Antidepressiva zweifeln. Häufig beziehen sie sich auf Analysen des britischen Psychologen Irving Kirsch, der vor zehn Jahren anhand von US-Zulassungsstudien die These vertrat, Antidepressiva seien nur Scheinmedikamente. Damit provozierte er einen zeitweise durchaus fruchtbaren Streit zur Psychopharmaka-Forschung.

Die Lancet-Studie könnte dazu beitragen, diesen Streit endlich mal zu beenden. Sie zeigt erneut, dass Antidepressiva zwar keine Wunderpillen sind, aber vielen Betroffenen leidlich helfen. Sie wirken ähnlich gut wie etwa Triptane bei Migräne. Sie gehören - neben Psychotherapie - ins therapeutische Arsenal. Man sollte deshalb nicht noch mehr Zeit und Geld in teure Wirksamkeitsstudien stecken, um noch die letzten Zweifler zu überzeugen.

Viele von ihnen werden Psychopharmaka weiterhin für Teufelszeug halten und ähnlich wie die Homöopathen das Licht der evidenzbasierten Medizin scheuen. Es ist ja auch verständlich, dass viele Menschen davor zurückschrecken, den Ort von Geist und Persönlichkeit mit Substanzen zu versetzen. Dennoch wäre es schön, wenn auch sie erkennen würden, dass auch das Gehirn letztlich ein biologisches Organ ist, das man behandeln kann.

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