Außenansicht:Zwei Morde, eine Zäsur

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Die Slowakei wurde von einem Populisten regiert, es wuchsen die Korruption, die Verschwörungstheorien und der Hass auf alles Fremde. Nun aber ändert ein toter Journalist posthum das Land - so europäisch war es noch nie wie in diesen Tagen.

Von Michal Hvorecky

Überraschend haben der slowakische und der slowenische Premierminister ihre Rücktritte angekündigt, und gleich wurde der Witz viral: George Soros sei unsicher, in welchem der zwei Länder, die so oft verwechselt werden, er am Umsturz beteiligt war. Es wäre ein guter Scherz, wenn ihn nicht der slowakischer Regierungschef Robert Fico mehrmals erzählt hätte - als angebliche Wahrheit: Nicht das Volk, nur der US-Milliardär und Philanthrop jüdisch-ungarischer Herkunft wolle seine Regierung stürzen. Die zu Zehntausenden Protestierenden seien von außen gesteuert und aufgehetzt. So sieht es aus, wenn die postkommunistische Linke die Rolle der Rechten übernimmt. Was früher als radikal galt, ist mittlerweile gesellschaftlicher Mainstream.

Seit Jahren manipulieren die slowakischen Sozialdemokraten, die eigentlich konservativ, nationalistisch und sehr korrupt sind, die öffentliche Meinung wie ein verleumderisches Desinformationsportal. Die Samtene Revolution 1989, der Irakkrieg oder die Flüchtlingskrise werden dargestellt als Teil einer Weltverschwörung, die kleine unschuldige Opfernationen vernichten und eine neue Weltordnung errichten will. Wer kritisch schreibt, ist sicherlich von Soros reichlich bezahlt. Der Islamhass kommt auch im Land mit nur 2000 Muslimen und ohne Moscheen gut an; Xenophobie verbreitet sich auch in einer Gesellschaft ohne Einwanderung.

Doch die Morde an Ján Kuciak und seiner Verlobten Martina Kušnírová sind zum historischen Ereignis geworden, zu einer Zäsur. Ein 27-jähriger Journalist, der in seinem Haus tot aufgefunden wurde, verändert posthum seine Heimat. Noch wenige Tage nach dem Mord hielt der autoritär regierende Fico lange Reden in vollen Sporthallen im Osten des Landes, dort, wo Kuciak über Verbindungen von Politikern und Staatsbeamten zur italienischen Mafia recherchiert hatte. Der Populismus-Automat Fico erzählte sexistische Witze, beschimpfte Gegner, bediente Abstiegsängste und schenkte allen Damen Blumen. Zwei Tage später, in einer anderen armen Provinzstadt, war die Stimmung nicht mehr heiter. Ein verwirrter Fico stand allein auf der Bühne; er wirkte wie eine tragikomische Bernhard'sche Theaterfigur; wie ein Hochstapler, der seine Menschheitskomödie nochmals aufführen will, und keiner glaubt ihm mehr.

Der Wandel braucht Zeit. Aber so europäisch wie jetzt war meine Heimat noch nie

Die Aufdeckungen des Ausnahmetalents Kuciak treiben die Massen auf die Straßen wie seit 1989 nicht mehr. Der Widerstandsplatz SNP in Bratislava ist wieder das Herzstück der Proteste; zwei 19-jährige Veranstalter aus einem Bratislavaer Gymnasium schreiben Geschichte. Eine neue kritische Zivilgesellschaft entsteht. Alle für Ján, steht auf den Buttons und Plakaten. Die Newsfeeds berichten im Stakkato über Krisensitzungen der Regierung. Eine EU-Delegation besucht die Slowakei - die bislang schnellste Reaktion des Europaparlaments auf eine Grundrechtsverletzung in der EU.

Nun ist Fico kein Premierminister mehr, die Umfragewerte der Sozialdemokraten sind auf 20 Prozent gefallen. Doch vorgezogene Neuwahlen im Sommer, wie sie die Opposition fordert, sind vorerst vom Tisch. Viele befürchten, gewinnen kann in der Mitte Europas jetzt nur der platte Populismus. Doch die Hoffnung lebt. Die Oppositionellen wollen neue Koalitionen formieren und so ihrer Hoffnungslosigkeit und dem Chaos entkommen. Sie wollen zeigen, dass sie stärker sind als Fico, der sich jetzt in den Kulissen versteckt. Wirklicher Wandel braucht Zeit. Doch so europäisch wie jetzt war meine Heimat noch nie.

Michal Hvorecky, 41, ist Autor in Bratislava.

© SZ vom 17.03.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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