Nahostkonflikt:In Gaza eskaliert wieder die Gewalt

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(Foto: REUTERS)
  • Die israelische Armee hat an der Grenze zum Gazastreifen mehrere Palästinenser getötet und mehr als 200 verletzt.
  • Tausende Palästinenser protestieren und verbrennen Autoreifen.
  • Anlass der Proteste ist der 70. Jahrestag der Gründung Israels.

Von Moritz Baumstieger, München

Wirklich bedrohlich sah der Konvoi zunächst nicht aus, mit dem die Organisatoren der Proteste im Gazastreifen die israelischen Sicherheitskräfte in Schwierigkeiten bringen wollten: Schon am Donnerstagnachmittag paradierte eine Kolonne verbeulter Tuk-Tuks durch die Straßen von Gaza-Stadt, auf den Ladeflächen der dreirädrigen Vehikel waren alte Autoreifen gestapelt.

Insgesamt 10 000 von ihnen wollen die Palästinenser in den vergangenen Tagen an die Grenze zu Israel gekarrt haben, am Freitag begannen sie dann, diese nach und nach in Brand zu stecken. Die dicken, schwarzen Rauchsäulen sollten israelischen Soldaten das Zielen auf die 10 000 Demonstranten unmöglich machen, hieß es auf Seiten der Palästinenser. Dass militante Radikale in Wahrheit im Schutz des Qualms die Grenzanlage stürmen wollten, befürchteten hingegen die Israelis - und schickten neben der Armee auch die Feuerwehr, die mit Wasserwerfern über den Grenzzaun zielte, um zumindest manche der Feuer zu löschen. Der Grenzbereich wurde zum geschlossenen militärischen Gebiet erklärt.

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Wenige Wochen bevor Israel den 70. Jahrestag seiner Gründung feiert, eskaliert die Lage am Gazastreifen. Die israelische Armee hat die Grenzregion mittlerweile zum Sperrgebiet erklärt.

Verletze gab es dennoch wieder bei den Großprotesten, die nun am zweiten Freitag in Folge stattfinden - und nach palästinensischen Angaben mindestens neun Tote. Als Demonstranten Steine warfen, reagierten israelische Soldaten mit Tränengas, Gummigeschossen und auch mit scharfer Munition. Man habe gezielt auf Rädelsführer geschossen, erklärte das israelische Militär. Die palästinensische Gesundheitsbehörde sprach von mehr als 1000 Verletzten.

Zu Zusammenstößen kam es auch im Westjordanland. Mit dem "Marsch der Rückkehr" wollen die Palästinenser das 70. Jubiläum der Staatsgründung Israels stören und auf das Schicksal der 700 000 Landsleute aufmerksam machen, die im israelisch-arabischen Krieg 1947/48 fliehen mussten oder vertrieben wurden und deren Nachkommen bis heute in zu Städten gewachsenen Flüchtlingslagern leben. Die Proteste sollen bis zum israelischen Unabhängigkeitstag am 14. Mai weitergehen. Am Tag darauf begehen die Palästinenser den "Nakba-Tag", den "Tag der Katastrophe".

Der Protestmarsch wurde zunächst von einer angeblich politisch unabhängigen Gruppe in Gaza organisiert. Doch schon bald drängte sich die radikalislamische Hamas immer stärker in den Vordergrund. Vergangene Woche kam es bei den Demonstrationen zu schweren Ausschreitungen, durch Tränengas, Gummigeschosse und scharfe Munition wurden über 1400 Menschen verletzt und 19 getötet. In der Nacht zum Donnerstag tötete Israels Luftwaffe in der Nähe des Grenzzauns erneut einen Palästinenser. Der Mann sei bewaffnet gewesen, so das israelische Militär. Ein weiterer Mann starb laut dem palästinensischen Gesundheitsministerium am Freitag an Verletzungen, die er vor einer Woche erlitten hatte.

Israels Armee veröffentlichte eine Liste, wonach einige der Getöteten zur Hamas gehörten

Während die Palästinenser Israel beschuldigten, bei den Protesten vergangene Woche auf wehrlose Zivilisten geschossen zu haben, veröffentlichte die israelische Armee eine Liste, nach der zumindest zehn der Getöteten aktive Mitglieder der Hamas oder anderer radikalislamischer Gruppen waren. Eine von UN-Generalsekretär António Guterres und der EU-Außenbeauftragten Federica Mogherini geforderte internationale und unabhängige Untersuchung der Vorgänge lehnte der israelische Verteidigungsminister Avigdor Lieberman vergangene Woche ab. Die Soldaten hätten getan, "was nötig war", und einen Orden verdient, sagte er.

Das Internationale Komitee vom Roten Kreuz äußerte sich besorgt über die hohen Opferzahlen.

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Der UN-Nahostgesandte Nikolaj Mladenow rief beide Seiten zu Mäßigung auf: "Israelische Truppen sollten höchste Zurückhaltung üben und Palästinenser sollten Konfrontationen am Gaza-Grenzzaun vermeiden", sagte Mladenow. Friedliche Demonstrationen müssten aber gestattet sein. Zivilisten dürften weder vorsätzlich in Gefahr gebracht noch ins Visier genommen werden. Die Hamas jedoch rechnet mit neuen Opfern: Sie kündigte an, sie werde jeder Familie eines von der israelischen Armee getöteten Palästinensers 3 000 Dollar zahlen, Schwerverletzte sollen 500 Dollar erhalten.

© SZ vom 07.04.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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