Satire:Polizei ermittelt, weil Student "Postillon"-Artikel likt

  • Die Polizei ermittelt gegen einen Studenten, weil er einen Beitrag des Bayerischen Rundfunks mit einer YPG-Fahne auf seiner Facebook-Seite geteilt hatte. Die YPG gilt als bewaffneteter Arm der verbotenen Arbeiterpartei PKK.
  • Nun gibt es noch ein weiteres Ermittlungsverfahren - wegen einer angeblich rechts motivierten Staftat: Der Student hat einen Artikel des Satiremagazins Der Postillon gelikt, auf dem ein Hitler-Foto zu sehen ist.

Von Martin Bernstein

"Björn Höcke dreht Hitler-Foto auf seinem Nachttisch um." Diese Schlagzeile stammt - man ahnt es fast - aus dem Online-Satiremagazin Der Postillon . Anfang März 2017 machten sich die Internet-Spötter in Wort und Bild über den AfD-Rechtsaußen lustig. "Du machst mir nichts als Ärger", lässt der Postillon Höcke zum Foto auf seinem Nachttisch sagen. Der reale Höcke hatte kurz zuvor dem Wall Street Journal ein Interview gegeben, in dem er über den Massenmörder Folgendes sagte: "Wissen Sie, das große Problem ist, dass man Hitler als das absolut Böse darstellt ... Wir wissen aber natürlich, dass es in der Geschichte kein Schwarz und kein Weiß gibt. Und dass es viele Grautöne gibt." Grautöne? Bei Hitler? Der Postillon spießte das genüsslich-satirisch auf.

Ein 27-jähriger Musiker aus München fand die Persiflage so gelungen, dass er ihr ein "Like" auf Facebook gab. Das wiederum gefiel dem Staatsschutz der Münchner Polizei überhaupt nicht: Bierernst monierte der ermittelnde Kriminaloberkommissar, das gehe ja nun überhaupt nicht, das mit dem Hitlerbild. Die Sache bekam ein Aktenzeichen. Und weil es sich bei dem "Like"-Klick für den Postillon-Hitler um einen möglichen Verstoß gegen den Paragrafen 86a des Strafgesetzbuches ("Verwenden von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen") handelt, leitete der Beamte den Vorgang an die Kollegen vom Kommissariat 44 weiter.

Politisch motivierte Delikte werden im Polizeipräsidium München nämlich von drei verschiedenen Kommissariaten bearbeitet. Kommissariat (K) 43 kümmert sich um mutmaßlich linke Straftaten, K 44 um die von rechts. Das Kommissariat 45 ist für ausländischen Extremismus zuständig. Möglicherweise war der Oberkommissar deshalb mit den Feinheiten der Höcke-Hitler-Satire nicht so vertraut, weil er üblicherweise politische Straftäter aus einer ganz anderen Ecke verfolgt, Islamisten etwa oder prokurdische Aktivisten.

"Ich dachte, es kann eigentlich nicht absurder kommen"

Prokurdische Aktivisten - genau deshalb ist Johannes König, so heißt der junge Musiker, überhaupt erst ins Visier der Staatsschützer geraten. Im Februar hatte die Kriminalpolizei Ermittlungen gegen König aufgenommen, weil er einen Nachrichtenbeitrag des Bayerischen Rundfunks auf seiner Facebook-Seite geteilt hatte. Auf einem Foto des BR-Artikels war eine Fahne der YPG zu sehen. Die Gruppe gilt als bewaffneter Arm der kurdischen Arbeiterpartei PKK in Syrien, ihre Fahne darf in Deutschland nicht gezeigt werden - zumindest dann nicht, wenn damit für die PKK geworben werden soll. Medien dürfen die Fahne zwar in ihrer Berichterstattung zeigen, nicht aber in jedem Fall die Nutzer dieser Medien. Das ist die Auffassung von Polizei und Staatsanwaltschaft. Wenn man auf mögliche Straftaten stoße, müsse man sie auch verfolgen, hieß es dazu im Februar. Das gebiete das Legalitätsprinzip. Die Staatsschützer hegten offenbar sogar den Verdacht, König könnte einer "Aktivistengruppe" angehören, sie fragte in dieser Sache direkt bei Facebook nach.

Die Experten des sozialen Netzwerks entdeckten freilich nichts dergleichen. Eine Aktivistengruppe? Keine Spur davon bei König. Vergangene Woche durfte der 27-Jährige seine 45 Seiten dicke Ermittlungsakte einsehen. "Ich dachte, es kann eigentlich nicht absurder kommen", sagt der junge Mann, der derzeit an der Musikhochschule seinen Master macht. "Und dann das!" Ein Ermittlungsverfahren wegen einer angeblich rechts motivierten Straftat. König, der nach eigenen Angaben zuvor nie mit der Polizei zu tun hatte, vermutet, die Beamten möglicherweise provoziert zu haben, weil er im Februar die Ermittlungen wegen der YPG-Fahne öffentlich gemacht hatte. Jetzt suche man offenbar etwas, um ihm Ärger machen zu können.

Fast 22 000 Menschen fanden den gegen Höcke gerichteten Facebook-Post des Postillon vom März 2017 gelungen - ob noch andere Polizeidienstellen irgendwo in Deutschland gegen Fans der satirischen Geschichte ermitteln, ist nicht bekannt. Schon deshalb sind die Ermittlungen gegen Johannes König ausgerechnet wegen des Verdachts rechter Umtriebe einmalig, versehen mit Zügen einer Realsatire. Aber so bizarr der Münchner Musiker die Angelegenheit selbst auch findet - für ihn hört da der Spaß auf. "Oft genug konnte man schon erleben, wie die Sicherheitsbehörden im Kampf gegen rechten Terror versagen", sagt König, der im Bündnis "noPAG - Nein zum Polizeiaufgabengesetz Bayern" aktiv ist. "Dass ausgerechnet die Behörde, deren eigentliche Aufgabe das Vorgehen gegen Neonazis ist, nun gegen mich ermittelt, macht sprachlos."

Die Münchner Polizei hält sich zu den neuen Vorwürfen bedeckt - unter Hinweis auf die gegen K. noch immer laufenden Ermittlungen. Auch wegen des angeblichen 86a-Verstoßes? Ja, heißt es, auch diese Ermittlungen gingen weiter. Der Münchner Staatsanwaltschaft liegt jedoch dazu noch nichts vor. Anders im Fall des YPG-Posts: Da stehe die Stellungnahme von Königs Verteidiger noch aus, sagt Oberstaatsanwältin Anne Leiding.

Zumindest für Björn Höcke hält die Postillon-Geschichte ein Happy End bereit. Nach langem Zweifeln stellt der Vorsitzende der AfD-Fraktion im Landtag von Thüringen das Hitler-Foto wieder auf. "Weißt du, ich kann dir einfach nicht böse sein", sagt der Postillon-Höcke. "Genau wie du nicht absolut böse sein kannst." Und, nach kurzem Innehalten: "Ja, ich dich auch. Schlaf gut, mein Führer."

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