Im Kino: "The Day After Tomorrow":Wasser und noch Meerwasser

Gib der Katastrophe eine Chance! Der Reigen für ein neues altes Genre ist eröffnet mit Roland Emmerichs "The Day After Tomorrow".

FRITZ GÖTTLER

Nietzsche ist nützlich. Mit ihm überlebt man selbst die größten Katastrophen. Hier befeuert er, nach einem kurzen Moment der Bedenklichkeit, mit vielen seiner Koautoren einen Lesesaal in der Manhattan Public Library. Ihre brennenden Werke verschaffen ein paar Überlebenden des Superblizzards, der die Stadt New York in eine Eislandschaft verwandelt, die nötige Wärme.

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Der Film hat wärmste Aufnahme gefunden selbst bei jenen, die beim Stichwort Hollywood sonst an Boxoffice und Verdummung denken. Verschiedene Umweltorganisationen wollen den Start in den USA nutzen, um die Zuschauer mit Informationen zu versorgen, die sie in Sachen Klimawandel weiterhin wach und kritisch halten sollen. Der Film bewegt sich elegant und durchaus effektiv in der Schleife zwischen Wirklichkeit und Phantasie, zwischen Wahrscheinlichkeit und Alptraum. ¸¸Die Bush-Administration", erklärt der grüne Demokrat Al Gore, ¸¸ist in gewisser Weise noch fiktiver als dieser Film, wenn sie die Leute davon zu überzeugen versucht, dass es hier kein Problem gäbe - als würden die Wissenschaftler nicht in gewissem Grad übereinstimmen." Natürlich ist es immer noch einfach ein Stück Kino. Und die Twentieth Century Fox, die ein Rupert-Murdoch-Unternehmen ist - sein Signum ist dem Film aufgedrückt - , will vor allem einen Haufen Geld verdienen damit.

¸¸The Day After Tomorrow" ist also ein green movie. Was kein neues Genre, ist und was auch nicht bedeutet, dass der Traum des Regisseurs Roland Emmerich, ¸¸dass dieser Film die Politiker zum Handeln bewegt", bald in Erfüllung gehen wird. Zu diesem Zweck hat er, der im Bush-Verteufeln inzwischen so lässig ist wie der Kollege Michael Moore, die Apokalypse, die Vereisung der nördlichen Hemisphäre, ins Jetzt verlegt, und von Europa, das den Prognosen der Klimatologen nach am stärksten von Polarschmelze und Golfstromabkühlung betroffen sein wird, nach Amerika geholt. Nun geht ein brutaler Schnitt durch das Land, eine Demarkationslinie, die den tiefgefrorenen Norden vom lebensfähigen Süden abschneidet, eine Demarkationslinie, die auf merkwürdige Weise das Trauma vom Bürgerkrieg, vom geteilten Amerika neubelebt, vom Norden, dem Reich des Fortschritts, der Industrialisierung, des knallharten Kapitalismus . . .

Katastrophen sind wunderschön, und Katastrophenfilme sind die reinsten Kino-Elegien. Wenn die Ordnungen sich auflösen, wenn alles ins Knirschen, Gleiten, Fließen gerät . . . und wenn man sich als Zuschauer wollüstig einlässt auf die Schussfahrten in den Untergang. Gewappnet mit dem diffusen, aber unvermindert starken Prinzip Hoffnung: ¸¸We"ll meet again, don"t know where, don"t know when . . . But I know we"ll meet again, some sunny day." So wird es formuliert am Ende der bösesten Katastrophe, in Kubricks ¸¸Dr. Seltsam".

Die Lust am Untergang ist durch den 11. September in keiner Weise verringert worden. Naturkatastrophen gehören zum amerikanischen Alltag - all die Tornados, Hurrikane, Waldbrände, Sturmfluten. Emmerichs Film spielt in aller Welt - bietet Hagel in Tokio, Schnee in Indien und manchen Weitwinkelblick von der Wetterstation im Weltall -, aber eigentlich ist es ein klassischer New-York-Film. New York, die offene Stadt, offen gegen das Meer, die Stürme, die Fluten. Vogelschwärme ziehen über die Stadt, Taxischwärme verstopfen Manhattan. Der Schock, wenn dann die große Flut zwischen den Wolkenkratzern heranschwallt, weicht schnell der Faszination - und die wächst mit jeder neuen Phase der Vereisung. Es ist eine Kühle und Klarheit, die der Film mit diesen Bildern gewinnt, eine lang nicht mehr erlebte Aura von Reinheit, Einfachheit, Abstraktion - und Emmerich hat eine herrliche Leichtigkeit der Inszenierung gewonnen.

Mit dem ¸¸Day After Tomorrow" hat der Sommer der Blockbuster nun endlich begonnen, jene Serie von Filmen, von denen einige mit ihren Produktionskosten an die 200-Millionen-Dollar-Grenze kamen. Es sind keine einfachen Dinger, die man dem Publikum dabei zumutet, sondern melancholische, düstere Geschichten, Fallbeispiele zum ¸¸Stirb und werde". Vor zwei Wochen kam ¸¸Troja" von Wolfgang Petersen in die Kinos, das antike Epos um Sinn und Sinnlosigkeit der großen Kriege, nächste Woche startet der dritte Harry Potter, ¸¸Der Gefangene von Askaban", der nochmal finsterer sein wird als der zweite Teil, und danach wird Sam Raimi erneut die Tristesse des einsamen ¸¸Spiderman" ausloten. In ¸¸Day After Tomorrow" ist das globale System auf den Kopf gestellt, die Nord-Süd-Rollen sind vertauscht. In einer neuen Migrantenbewegung sieht man die US-Bürger wie Zombies über den Rio Grande torkeln, bevor Mexiko endlich gnädig seine Grenzen öffnet. Und der Vizepräsident, dem im wirklichen Washington residierenden Cheney äußerst ähnlich, gesteht vor laufenden Kameras, dass er die Sachlage seinerzeit völlig falsch eingeschätzt hat.

Der Film prangert amerikanische Bedenken- und Rücksichtslosigkeit an, aber er hat dem Versagen von Wirtschaft und Politik etwas entgegenzusetzen. Er feiert, wie es auch Emmerichs ¸¸Independence Day" tat, die großen amerikanischen Tugenden, jene Solidarität, die die Familien und communities prägt, das Überleben in der Gemeinschaft, am wärmenden Feuer. Wie sein Kollege Petersen liebt Emmerich die Pioniere und ihren Geist - für seine Ilias-Verfilmung, man erinnert sich, hat Petersen sein Lieblingsprojekt aufgeschoben, einen Film über die grandiose, gescheiterte Antarktisexpedition von Ernest Shackelton: Endurance hieß sein Schiff . . . Ein Film, der, wenn er denn eines Tages gedreht wird, die gleiche surrealistische Schönheit haben wird wie der von Emmerich. Die kalte Schönheit von Eisblumen, Schneeflocken und Kristallen.

THE DAY AFTER TOMORROW, USA 2004 - Regie: Roland Emmerich. Buch: Roland Emmerich, Jeffrey Nachmanoff. Kamera: Anna Foerster, Ueli Steiger. Schnitt. David Brenner. Mit: Dennis Quaid, Jake Gyllenhaal, Emmy Rossum, Sela Ward, Ian Holm. Fox, 124 Minuten.

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