Michelin-Sterne:"Schnauze halten, Gas geben, bloß keine Fehler machen"

Michelin-Sterne: Haute Cuisine

Haute Cuisine

(Foto: Fabrizio Magoni / Unsplash)

Bei der Arbeit für einen Drei-Sterne-Koch sind keine falschen Entscheidungen erlaubt, sagt Restaurantfachmann Johannes Lühmann. Wer nicht mitzieht, wird gefeuert - Vertrag hin oder her.

Interview von Max Sprick

Die Feinschmeckerbibel ist in diesem Jahr spät dran. Statt wie sonst im Oktober oder November des Vorjahres, gibt der Gourmetführer Michelin erst heute Abend bekannt, welche deutschen Restaurants im Jahr 2019 mit wie vielen Sternen bewertet werden. Für viele hochklassige Küchenchefs ist das ein wichtiger Tag, denn sie richten ihre Karrieren auf Michelin-Sterne aus. Andere wiederum würden sich dem Michelin am liebsten verweigern, weil er ihnen ein Label aufzwingt, das sie fortan erfüllen müssen. Das bedeutet nicht nur für die Köche harte Arbeit, sondern auch für ihre Servicemitarbeiter.

Johannes Lühmann, 28, kann davon berichten. Er machte seine Ausbildung zum Koch und Hotelkaufmann in einem Sterne-Haus und hat Erfahrung in der Top-Gastronomie.

SZ: Wie muss man sich die Arbeit im Service eines Drei-Sterne-Restaurants vorstellen?

Johannes Lühmann: In so einem Restaurant zu arbeiten, bedeutet Vollgas von sechs Uhr morgens bis Mitternacht.

Klingt nicht gerade arbeitsrechtkonform.

Natürlich nicht. Für diese Arbeitszeit werden auch nur achteinhalb Stunden aufgeschrieben - aber das wird von einem erwartet.

Interview am Morgen

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Und das lassen Sie sich einfach gefallen?

Auf jeden Fall. In einem Drei-Sterne-Restaurant arbeitet niemand wegen des Geldes oder weil die Bedingungen so toll sind. Man verdient dort allerhöchstens minimal mehr als in einem ganz normalen Restaurant.

Warum tut man sich das dann an?

Aus Leidenschaft. Ich hatte Kollegen, die aus ganz Deutschland kamen, nur um für diesen Koch zu arbeiten. Da ziehen alle an einem Strang, sonst ist es unmöglich, dieses Niveau zu gewährleisten. Vom untersten Posten bis zum Chefkoch müssen alle Perfektionisten sein, sonst funktioniert es nicht.

Klingt, als seien Michelin-Sterne keine Auszeichnung, sondern eine Strafe.

Naja, es ist jetzt nicht wie im Krieg. Aber trotzdem: Dort arbeiten nur Kämpfer. Schnauze halten, Gas geben, bloß keine Fehler machen. Sonst bist du weg. Auf höchstem Niveau sind keine falschen Entscheidungen erlaubt. Wer sich einmal falsch entscheidet, wird gefeuert. Das ist wie in Top-Management-Posten.

All das verstärkt die Frage: Warum?

Eine Anstellung bei einem Drei-Sterne-Koch ist für jeden gleichzeitig Auszeichnung und Sprungbrett. Da kommt nur rein, wer seine Hingabe bereits bewiesen hat. Und je länger man durchhält, desto mehr wertet man seine Vita auf. Viele meiner Kollegen von früher haben heute eigene Restaurants, wie ich, oder hohe Stellungen anderswo.

Wie erlebt man im Service seinen Chef, den so hochdekorierten Koch?

Er ist ja dann strenggenommen kein Koch mehr, sondern ein Künstler. Statt Kunst an die Wand, bringt er sie auf den Teller. Er versucht, Geschmäcker neu zu erfinden - und hat durch die Michelin-Bewertung jeden Tag Dauerstrom.

Johannes Lühmann

Johannes Lühmann betreibt heute das Hotel Havelser Hof in Garbsen bei Hannover.

(Foto: privat)

Weil er seine Bewertung rechtfertigen muss?

Genau. Seine Sterne zu halten, ist wesentlich schwerer, als sie zu erkochen. Man ist dann nicht mehr Jäger, sondern Gejagter. Heutzutage erkennt man die Restaurantkritiker nicht mehr. Der Küchenchef und sein Team müssen jeden einzelnen Tag damit rechnen, dass ein Tester kommt. Läuft ausgerechnet an diesem Tag irgendetwas schief, ist das eine Katastrophe.

Oft hört man, dass in Restaurant-Küchen mitunter ein rauer Umgangston herrscht. Auch in einem Restaurant der Spitzenklasse?

Im Serviceteam schweißt so eine Arbeitssituation zusammen, wir waren wirklich wie eine Familie. Da entstehen Freundschaften für's Leben. Im Umgang mit dem Küchenchef erlebt man alles. Er kann total im Tunnel sein und registriert kaum etwas um sich herum. Er kann total freundlich sein und sich nett mit dir unterhalten. Aber er kann dich schon auch mal nach deinem Namen fragen, obwohl du schon ein halbes Jahr für ihn arbeitest. Und wie gesagt: Er kann dich einfach so feuern, wenn du nicht mit ihm sein Ziel verfolgst: die Sterne zu halten. Verträge sind in dieser Branche nichts wert.

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