Mont Saint Michel in Frankreich:Ein Berg wird wieder Insel

Einst ständig von Meerwasser umspült, ist die Klosterfelsinsel vor der Küste der Normandie von Verlandung bedroht. Nun soll ein Gezeitendamm Abhilfe schaffen.

Stefan Ulrich

Für die Pilger des Mittelalters war der Weg zum Berg des Heiligen Michael voller Gefahren. "Gehst du nach Saint-Michel, vergiss nicht, vorher dein Testament zu machen", hieß es damals. "Denn bei Flut kommt das Meer mit derartiger Macht wie ein galoppierendes Pferd."

Seinerzeit lag das "Wunder des Abendlandes", wie der Mont-Saint-Michel mit seinen romanischen und gotischen Klostergebäuden genannt wird, kilometerweit draußen im Wattenmeer vor Normandie und Bretagne. Viele Pilger ertranken, weil sie bei Ebbe in Sickerstellen versanken oder von der Flut überrascht wurden.

Seither ist die Klosterinsel dem Ufer nahe gekommen. Eine Million Kubikmeter Sand und Schlick, das entspricht 100 000 Lastwagenladungen, lagern sich jährlich in der Bucht ab. Salzpflanzen wuchern zu dicken Teppichen und verkrauten die Wasserlandschaft. Wenn das so weitergeht, wird der Mont-Saint-Michel bald keine Insel mehr sein, haben Wissenschaftler errechnet.

Doch es wird nicht so weitergehen. Ein Konsortium aus den Regionen, Departements und Gemeinden rund um die wehrhafte Klosterinsel ist angetreten, "dem Mont-Saint-Michel und seiner Bucht den maritimen und majestätischen Charakter zurückzugeben".

Der mythenumwaberte Berg dürfe nicht verlanden, sonst "dreht er seiner Geschichte und seiner spirituellen Berufung den Rücken", sagt François-Xavier de Beaulaincourt, Direktor des Konsortiums. "Der Berg ist, was er ist, weil er ist, wo er ist", spielt der Direktor mit den Worten. Was er meint: Der Michaelsberg gehört ins Wasser.

Daher werden bis zum Jahr 2015 insgesamt 200 Millionen Euro ausgegeben, um den Mont-Saint-Michel dem Meer zurückzugeben. Kernstück des ehrgeizigen Ökoprojekts ist ein Gezeiten-Staudamm an der Stelle, wo der Fluss Couesnon in die Bucht mündet. Er soll, salopp gesagt, wie eine Spülmaschine wirken und die Bucht um den Berg reinigen. Die Testphase ist mittlerweile abgeschlossen.

Jetzt wird der Staudamm eingeweiht und an diesem Wochenende für Besucher geöffnet. "Er funktioniert außergewöhnlich gut", verriet der Direktor schon einmal der Zeitung Le Monde.

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Künftig wird der Damm bei Flut seine Schleusen öffnen, um bis zu 1.700.000 Kubikmeter Meerwasser in den Unterlauf des Flusses einlaufen zu lassen. Danach werden die Schleusen für etwa sechs Stunden geschlossen. Bei Ebbe soll das Wasser dann wieder herausschießen, durch die Bucht um den Michaelsberg brausen und ihn so in den kommenden Jahren freischwemmen.

Während der Mont-Saint-Michel heute nur noch an etwa 50 Tagen im Jahr ganz vom Meer umspült ist, werden es in Zukunft 150 Tage sein.

Um dem Berg seinen meeresmystischen Charakter wiederzuschenken, wird das Konsortium in den nächsten Jahren auch die Großparkplätze am Fuß des Mönchsfelsens beseitigen und den Straßendamm entfernen, der die Insel mit dem Festland verbindet.

Fortan sollen die Besucher über eine Stelzenbrücke zum Kloster gelangen. Schade, dass Victor Hugo das nicht mehr erleben darf.

Frankreichs großer Autor forderte bereits im 19. Jahrhundert: "Der Mont-Saint-Michel muss eine Insel bleiben." Schließlich sei er "der Symbolort des ewigen Frankreichs". Noch erhabener drückt es die linke Zeitung Libération aus. Sie erhob den Engelsberg in diesen Tagen zum "spirituellen Leuchtturm der Nation".

Man ahnt es: Die Klosterfelsinsel im Wattenmeer hat eine besondere Bedeutung für die Franzosen. Neben dem Eiffelturm und dem Kloster von Versailles gehört sie zu den großen Symbolen und Attraktionen des Landes. Mehr als drei Millionen Menschen besichtigen jedes Jahr den kunstüberkrusteten Felsen.

Entstanden ist er um das Jahr 708 bei einer Sturmflut, die umliegende Wälder hinwegriss. Bald darauf befahl der Erzengel Michael dem örtlichen Bischof, eine Kapelle auf der Insel zu errichten. Der Monsignore zierte sich und gab erst nach, als ihm Michael mit strafendem Finger ein Loch in den Schädel brannte. So wird es erzählt.

Mönche leben unter abertausenden Touristen

Später errichteten die Benediktiner hier ein Kloster, das zu einem der wichtigsten christlichen Pilgerstätten der Erde heranwuchs. Nach der französischen Revolution verkam der Mont-Saint-Michel zum Gefängnis, einer Art Alcatraz Frankreichs.

Heute leben hier wieder einige Mönche - unter abertausenden Touristen. Sie sind zufrieden, dass ihr gestrandeter Berg jetzt flottgemacht wird. Schon bald dürfte er sich erneut "unglaublich fremd und schön, wie ein Traumpalast" aus den Wassern erheben, um es mit Guy de Maupassant auszudrücken. Der Pilgerweg durchs Watt dürfte dann allerdings wieder gefährlicher werden.

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