Streit um den Welfenschatz:Mein Schatz

Ein neuer Fall von Nazi-Raubkunst? Erben jüdischer Vorbesitzer fordern die wertvollen Stücke aus dem Kunstgewerbemuseum Berlin zurück.

Andreas Zielcke

Ein Konsortium von vier Kunsthändlern veräußerte 1935 den sogenannten Welfenschatz an den preußischen Staat. Seit vergangenem Jahr fordern die Erben der Händler ihn aus dem Berliner Kunstgewerbemuseum von der heutigen Eigentümerin zurück, der Stiftung Preußischer Kulturbesitz ("SPK"). Noch vor Ende dieser Woche will die SPK ihre Entscheidung bekanntgeben.

Streit um den Welfenschatz: Wertvolles Streitobjekt: Kuppelreliquiar aus dem Welfenschatz, um 1175.

Wertvolles Streitobjekt: Kuppelreliquiar aus dem Welfenschatz, um 1175.

(Foto: Foto: SMB, Kunstgewerbemuseum)

Das Verlangen nach der Rückgabe des Schatzes führt tief in den diffusen Alltag der nationalsozialistischen Judenverfolgung. Zumindest für die ersten Jahre des NS-Regimes von 1933 bis 1935 ist der Fall symptomatisch. Gäbe es nicht juristische Beweislastregeln, die an bestimmter Stelle den gordischen Knoten der unsicheren Faktenlage durchschlagen, müsste man heute wohl auf eine klare Lösung verzichten. Doch bei Anwendung dieser künstlichen Interpretationsregeln kommt man nach allem, was die Kontrahenten bisher vorbringen, wohl nicht darum herum, die Forderung anzuerkennen.

Für die SPK wäre die Rückgabe natürlich ein herber Schlag. Bisher gab sie auch keine Nachgiebigkeit zu erkennen. Doch selbst wenn sie, das muss man betonen, die Herausgabe endgültig verweigern sollte, ist ihr keine geschichtsverdrängende Abwimmelungsabsicht zu unterstellen. Die SPK hat in Restitutionssachen einen untadeligen Ruf. Was aber auch immer sie bislang bewog, sich zu sperren: Am Ende dürften die stärkeren Argumente dafür sprechen, dass der Schatz den Erben der Händler zusteht, die ihn 1935 an Preußen verkauft hatten.

Unbestritten sind die zeithistorischen Stationen des Eigentums an dem Schatz: 1928 bot das Haus Braunschweig-Lüneburg, seit dem 17. Jahrhundert im Besitz der Sammlung, die 82 noch vorhandenen Exponate zum Verkauf an. Da kein deutsches Museum den Erwerb finanzieren konnte (der Herzog erwartete 24 Millionen Reichsmark), kauften Anfang Oktober 1929 jene vier jüdischen Frankfurter Kunsthändler für 8 Millionen Reichsmark den Schatz an. Das war knapp drei Wochen vor dem schwarzen Freitag und dem Beginn der Weltwirtschaftskrise.

Massive Verkaufsprobleme

Die Händler organisierten trotz des schwierigen Umfelds in Deutschland und den USA Verkaufsausstellungen und schafften es bis Anfang 1935, insgesamt 40 Einzelstücke in alle Welt zu verkaufen. Ins Stocken gerieten aber, so tragen es ihre Erben heute vor, die Bemühungen seit dem 30. Januar 1933. Die SPK bestreitet selbstverständlich nicht diese Zäsur, wendet aber ein, dass die massiven Verkaufsprobleme vor 1933 eingesetzt hätten, eben wegen der Weltwirtschaftskrise, die die Zahl potenter Käufer enorm reduzierte. Die Erben wiederum verweisen darauf, dass die vier Händler seit 1933 drastische Umsatzeinbußen erlitten. Drei der vier seien 1933 und 1934 zur Aufgabe ihrer Frankfurter Firmen und zur Emigration nach Amsterdam und London gezwungen gewesen.

Sicher ist, dass der Schatz ebenfalls ins Ausland verlagert wurde; das NS-Regime konnte also nicht eigenmächtig zugreifen, nur käuflich erwerben. In der Tat gab es gleichgerichtete Interessen, seit 1934 verhandelten Preußen und das Händlerkonsortium über den Schatz. Die beteiligten Ministerien maßen anfänglich den 42 Exponaten einen Gesamtwert von 6 bis 7 Millionen Reichsmark zu - nicht anders als die Käufer. Tatsächlich geschlossen wurde der Vertrag im Juni 1935, der Kaufpreis betrug 4,25 Millionen Reichsmark. Und ein knappes Fünftel, rund 780 000 Reichsmark, sollte nicht direkt fließen, sondern mit anderen Kunstwerken aus preußischem Besitz abgegolten werden.

Nun also verlangen die Erben der Händler von der SPK den Schatz zurück (genaugenommen nicht den ganzen Schatz, sondern jene 42 Stücke; da Preußen später noch zwei weitere aus anderer Quelle hinzukaufte, umfasst der Schatz 44 Exponate). Verjährt ist der Anspruch längst. In Deutschland gilt, anders als in England, Amerika oder Frankreich, eine Verjährungsfrist von 30 Jahren, unabhängig von den Umständen des Besitzverlusts. Alle Rückerstattungsgesetze der Nachkriegszeit, von den Statuten der Alliierten angefangen bis zum Vermögensgesetz nach der deutsch-deutschen Einigung, haben daran nichts geändert.

Ursprung der NS-Raubkunst

Für das Land, das den Ursprung der ganzen NS-Raubkunst-Problematik bildet, ist das keine rühmliche Rechtslage. Wenigstens stimmte Deutschland 1998 gemeinsam mit über 40 weiteren Staaten der Washingtoner Erklärung zu, wonach sich keiner der Staaten bei "NS-verfolgungsbedingt entzogenen Kulturgütern" auf eine Verjährung beruft. Die Erklärung ist nicht rechtsverbindlich. Doch in der Praxis scheint der Verzicht halbwegs zu funktionieren, zumal er 1999 durch eine "Gemeinsame Erklärung" von Bund, Ländern und kommunalen Spitzenverbänden bekräftigt wurde.

Der Nachteil der Unverbindlichkeit aber ist nicht nur, dass private Museen der Verjährungsverzicht nichts angeht. Vielmehr sind die verjährten Ansprüche auch gegen öffentliche Träger nicht gerichtlich durchzusetzen. Heutige Erben der NS-Opfer sind daher auf informelle Verfahren und den Goodwill der öffentlichen Hand angewiesen. Weist ein Museum den Anspruchsteller ab, steht dieser wehrlos da. Zwar gibt es eine "Schiedskommission", doch sie braucht die Zustimmung des ablehnenden Museums und besitzt keine Sanktionsmacht. Mehr als eine Farce ist sie kaum.

Beim Welfenschatz kommt also alles darauf an, wie die SPK die Lage freiwillig-rechtlich beurteilt, eingezwängt in die schweren kunstpolitischen Implikationen dieser so hochbedeutenden Exponate. Den Erben der vier Händler kommen für dieses Urteil Beweisregeln entgegen, an die sich öffentliche Träger gebunden sehen - wenn es denn so etwas wie eine Bindung im Unverbindlichen gibt.

Im Zentrum steht die "Vermutung", dass ein Eigentumsverlust, den Mitglieder einer Verfolgtengruppe nach der Machtergreifung erlitten haben, als "NS-verfolgungsbedingter" und damit restitutionspflichtiger Verlust gilt. Da der Verkauf 1935 stattfand und die vier Händler zu den rassisch Verfolgten zählen, ist die Prämisse der Vermutung erfüllt. Aber jede Vermutung, sagt das Recht, ist widerlegbar: In der Tat könnte ja der Kaufakt frei von Zwang zustandegekommen sein, auch im und sogar mit dem NS-Staat. Für die SPK würde der Nachweis hinreichen, dass die Verkäufer einen angemessenen Kaufpreis erhielten und darüber frei verfügen konnten.

Händler in Zwangssituation

Angesichts der Differenz von zunächst angenommenem und dann vereinbartem Preis wirft schon der erste Punkt Beweisprobleme zulasten der SPK auf. Natürlich ist ihr Einwand, dass die Weltwirtschaftslage einen niedrigen Preis diktierte, nicht von der Hand zu weisen. Und da Preußen zudem der einzig verbliebene Kaufinteressent war, ist plausibel, dass es, jenseits aller Diskriminierung der Juden, schon deshalb eine nötigende Verhandlungsmacht beim Kaufpreis besaß.

Aber kann die SPK diese Kausalitäten durch Nachweise präzise abgrenzen von der durch die Judenverfolgung verursachten Zwangssituation der Händler? Wohl kaum.

Vor allem scheint sie am Nachweis zu scheitern, dass der Kaufpreis wirklich gezahlt wurde. In den Bilanzen und Steuerunterlagen der Händler müsste der Eingang dokumentiert sein oder aber als Zahlungsausgang in den Haushaltsbüchern des preußischen Staates. Doch bislang hat die SPK kein solches Dokument vorgelegt. Sie verweist auf Indizien wie die Tatsache, dass keine Mahnungen der Händler bekannt sind und auch später, in diversen Entschädigungsverfahren der vier NS-Opfer, keine derartige Forderung gestellt wurde. All das wirft seriöse Fragen auf - nur manifeste Beweise für die Zahlung sind dies bei weitem nicht.

Wird die SPK nicht doch noch in ihren umfangreichen Archiven fündig, wird sie in den sauren Apfel beißen müssen.

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