Nachfolge-Kandidaten:Wer nach Putin kommt

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Im Gespräch: Verteidigungsminister Sergej Schoigu. (Foto: Mladen Antonov/AFP)

Bis 2024 läuft Putins Amtszeit, doch schon jetzt gibt es Spekulationen über die Nachfolge. Auch der Name von Verteidigungsminister Sergej Schoigu wird genannt.

Von Frank Nienhuysen

Der Abschied war rührselig, aber der Neubeginn wischte alle Sentimentalitäten gleich weg. Silvester 1999, der kranke Boris Jelzin kämpfte mit den Tränen, hinter sich eine geschmückte Neujahrstanne. Er sagte: "Ich gehe." Er meinte: sofort. Am nächsten Tag war Wladimir Putin Kremlchef, noch am Neujahrstag flog er nach Tschetschenien und brachte seinen Truppen verzierte Dolche mit. Machtwechsel zum Jahreswechsel: So viel Zäsur gab es selten in Russland an einem Tag.

20 Jahre später ist Putin immer noch Präsident; bis 2024 läuft seine letzte Amtszeit, noch vier Jahre also, und doch wird in Russland über die Nachfolge spekuliert. Als Putin vor einer Woche in der Jahrespressekonferenz sagte, vielleicht könne ja die Verfassung geändert werden und bei den zwei erlaubten Amtszeiten das Wörtchen "hintereinander" gestrichen werden, war diese diffuse Antwort in Russland der am heftigsten debattierte Satz aus viereinhalb Stunden Auftritt. Putin stiftete Verwirrung, und die Wahrscheinlichkeit ist groß, dass dies genau so gewollt war.

Medwedjews Interregnum hatte Hoffnungen geschürt - Putin enttäuschte sie

Nimmt man seine Äußerung wörtlich, könnte Putin gerade nicht mehr das Szenario von 2008 wiederholen. Damals ließ er nach zwei Amtszeiten als Präsident Dmitrij Medwedjew in den Kreml, ehe er 2012 zurückkehrte, dann für zwei mal sechs Jahre. Soll eine Verfassungsänderung ihn nun vielleicht doch länger im Amt belassen, wie manche deuten? Oder soll ein Nachfolger daran gehindert werden, ebenfalls eine solche Ära zu begründen - in dem maximal nur noch zwei Amtsperioden erlaubt werden, egal ob hintereinander oder nicht? Medwedjew könnte dann allenfalls nur noch für eine Amtszeit zurückkehren.

Die Wucht des Nachfolge-Rätsels so früh vor der Wahl macht eines deutlich: Trotz einer demokratischen Verfassung hat Putin das Land so auf sich zugeschnitten, dass die Machtfrage auch zur Systemfrage wird. Russland hat unter Putin die Kontrolle über Wirtschaft, Provinzen, Schlüsselindustrien, Medien, Internet und die Gesellschaft so verstärkt, dass kaum jemand glaubt, ausgerechnet die Präsidentenfrage werde sich allein im freien Wettbewerb der Kandidaten entscheiden. Das war bei Jelzins Machtübergabe an Putin so wenig der Fall wie bei Putins Rochade mit Medwedjew. Wer aber könnte es werden?

Einige Namen fallen immer wieder: Verteidigungsminister Sergej Schoigu ist seit seiner Zeit als Katastrophenschutzminister einer der beliebtesten Politiker Russlands; auch Moskaus Bürgermeister Sergej Sobjanin wird genannt, dessen Ansehen in der Bevölkerung seit der Eskalation im Protestsommer jedoch gesunken ist. Oder einer aus der jungen loyalen Generation politischer Manager, die mit Putins System aufgewachsen sind, wie Anton Alichanow, 33, Gouverneur von Kaliningrad.

Der Kreml dürfte noch eine Weile rätseln lassen. Die meisten Politikwissenschaftler vermuten, dass erst etwa ein Jahr vor der Präsidentenwahl sich ein Nachfolger abzeichnen dürfte, der zunächst im Amt des Premiers aufgebaut werden könnte. Einig sind sie sich darin, dass eine kontrollierte Machtübergabe Vorrang haben wird vor völlig neuen Impulsen. "Niemand von unseren Gesprächspartnern hat die Illusion, dass es eine Demokratisierung des politischen Systems, eine liberalere Wirtschaft oder eine Modernisierung von Staat und Gesellschaft geben wird", heißt es in einer Analyse von Nowoje Wremja.

Dafür spricht derzeit einiges: Medwedjews liberalere Amtszeit hatte Hoffnungen in der Jugend und beim städtischen Mittelstand ausgelöst und zu Massenprotesten geführt, als diese Hoffnungen mit Putins Rückkehr enttäuscht wurden. Eine Wiederholung wäre wohl ein Albtraum für die Strategen im Kreml. Trotzdem braucht es wohl jemanden, der einen Ausgleich zwischen Konservativen und Liberalen schafft.

Ein Szenario hält sich zäh: Putin wird 2024 Präsident eines Unionsstaates aus Russland und Weißrussland. Dort gibt es allerdings Furcht und Widerstand. Vor einigen Tagen protestierten in Minsk ein- bis zweitausend Menschen ohne Genehmigung. Der autoritäre Staat ließ sie einfach gewähren.

© SZ vom 27.12.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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