Schulbeginn in Bayern:Ab sofort gilt Vorfreude

Schulbeginn in Bayern: Illustration: Jessy Asmus

Illustration: Jessy Asmus

Das Beispiel eines Augsburger Gymnasiums zeigt, wie groß der Aufwand für den Unterricht ist. Kultusminister Michael Piazolo versucht trotz vieler Unwägbarkeiten Zuversicht zu verbreiten.

Von Anna Günther

"Alles ist anders, nichts ist mehr, wie es war", sagt Angelika Mäule-Wagner. Das gehe beim Betreten der Schule los: Wegmarkierungen, Abstandsaufkleber auf den Böden, Schilder mit Benimmregeln. Externe brauchen Einlasskarten. Die Didaktik hängt von der Infektionsrate ab. Orchester und Chöre musste die Direktorin des Augsburger Gymnasiums Maria Stern fürs neue Schuljahr ebenso streichen wie zwei von drei Theatergruppen. Die Schule ist eines von 56 Gymnasien in Bayern mit musischem Zweig. Die Regeln der Staatsregierung für den Corona-Betrieb im neuen Schuljahr sind noch komplexer als an den anderen 2400 Schulen. Gesang und Blasmusik lassen deutlich mehr Aerosole austreten. Das führte zu Superspreader-Ereignissen etwa in Freikirchen. Schulen blieben offenbar noch verschont. Wohl auch, weil singen und Bläserklassen bisher verboten waren.

Tabus gibt es viele im neuen Schuljahr, die Schule an sich soll Normalität bringen: 1,7 Millionen bayerische Schüler dürfen von Dienstag an wieder in den Unterricht. In Vollbesetzung, zum ersten Mal seit März. Regelbetrieb hat Priorität, lautet das Motto der Staatsregierung. Digitaler Distanzunterricht soll die Ausnahme sein. Kinderärzte fordern das schon länger, gerade Grundschüler scheinen sich seltener mit Covid-19 anzustecken. Studien zu älteren Schülern gibt es bisher kaum, aber auch sie brauchen die Schule.

Ärzte warnen vor psychischen Problemen, Lehrer vor Wissenslücken. 30 Seiten strenge Regeln sollen den Schulbetrieb mit allen Kindern möglich machen - und ein Schulbeginn mit Masken im Unterricht. Ministerpräsident Markus Söder (CSU) und Kultusminister Michael Piazolo (FW) ließen sich das von der Schulfamilie abnicken. Damit gilt: Motzerei unerwünscht. Die Verbände tragen das Ziel mit: So viel Präsenz wie möglich, so wenig digital wie nötig. Zu groß sind die Unterschiede zwischen den Schulen, in der Ausstattung und im Digital-Wissen der Lehrer. Immerhin gibt es nun neue Regeln für den Distanzunterricht und ein Hilfs-Portal im Internet.

Auffällig ist das Erwartungsmanagement der Regierung: Kein Schulstart sei je perfekt, auch dieser werde es nicht sein, sagte Söder nach dem Schulgipfel. Und Piazolo appellierte am Freitag bei der Pressekonferenz zum Schuljahresbeginn trotz unterschiedlicher Erwartungen bei Lehrern, Schülern und Eltern an die "gegenseitige Rücksichtnahme und Toleranz" der Schulfamilie. "Genau das zeichnet Familie aus." Ärger dürfte der Regierung trotzdem nicht erspart bleiben. Das erste Grummeln der Basis verklang noch: Nach Piazolos bisherigem Plan hätten einige Regionen das Schuljahr wegen des Infektionsgeschehens nicht im Regelbetrieb beginnen können. Die neuen Grenzwerte sind nun weniger streng. Das Kultusministerium verwies auf Empfehlungen von Ärzten und neueste Studien. Hauptsache Schule.

Schulbeginn in Bayern: Angelika Mäule-Wagner, Schulleiterin in Augsburg.

Angelika Mäule-Wagner, Schulleiterin in Augsburg.

(Foto: Privat)

Mäule-Wagner geht in Augsburg weiter: Damit das Schuljahr ihren 700 Schülern auch Freude und "Unbeschwertheit" bringt, betreibt sie seit Wochen verschärfte Organisation: Musik in Kleingruppen ist erlaubt, also fragt sie einzeln ab, wer ohnehin Kontakt hat und gemeinsam musizieren will. Instrumentalunterricht gibt es in der Schule und digital daheim, je nach Wunsch und Instrumentengröße. Bass und Flügel sind zu groß für den Transport, Leihinstrumente müssen ständig mit Spezialmitteln gereinigt werden. Mühsam. Trotzdem klingt die Direktorin fröhlich, langfristige Planung habe sie sich halt abgewöhnt. Alles super in Augsburg? Na ja, auch ihren Schülern fehle Übung in den Sprachen, Schwächere hatten wie überall Schwierigkeiten mit digitalem Lernen. Auch Mäule-Wagner muss auf Lehrer verzichten, die nicht unterrichten dürfen. "Aber wir haben Live-Schalten in den Unterricht", das Programm habe von Anfang an gut funktioniert. Das Schulwerk der Diözese Augsburg hatte seine Schulen schon im März mit der Software ausgestattet.

Wer sich umhört, erkennt bei Eltern, Lehrern und Schülern den Willen, dass dieses Schuljahr funktionieren muss. Aber kurz vor Schulbeginn sind noch viele Fragen offen, die auch der Hygiene-Rahmenplan nicht klärt: Klappt der Distanzunterricht? Sind Wissenslücken der Schüler parallel zum neuen Stoff zu schließen? Wie viele Lehrer fallen aus? Funktioniert das Team mit den Aushilfen? Können Kinder sich stundenlang mit Maske im Unterricht konzentrieren? "Dürfen wir Maskenverweigerer wirklich heimschicken?", fragt auch Walter Baier, Chef der Direktorenvereinigung Gymnasien. Laut Infektionsschutzverordnung, ja. "Und was, wenn niemand daheim ist? Oder die Eltern ebenfalls Maskenverweigerer sind?"

Kultusminister Piazolo bemüht sich am Freitag, Zuversicht zu verbreiten: "Wir sollten uns alle auch die Vorfreude und Freude bewahren." Das gelte nicht nur für die 115 000 Erstklässler. Grund zur Freude sieht Piazolo auch darin, dass die befürchtete Lehrerlücke an Grund-, Mittel- und Förderschulen geschlossen ist. Es gibt 1000 zusätzliche Stellen und 4700 neue Lehrer, die Pensionisten ersetzen. Aber etwa 4000 der 115 000 Lehrer zählen zu Risikogruppen und dürfen nicht in die Schule. Im Dienst seien sie trotzdem und können daheim korrigieren, Material konzipieren - und zusammen mit "Teamlehrkräften" arbeiten, sagt der Minister. Nur, es kommen auf 800 Stellen für diese Neulinge 4000 Risiko-Lehrer. Und viele Verträge sind noch nicht geschlossen. Piazolo bittet um Geduld: "Es ist nie daran gedacht worden, die Risikogruppen eins zu eins mit Team-Lehrkräften zu ersetzen."

Trotz Rückendeckung folgt die Kritik prompt: "Die sind weder Lehrer, noch Teams. Das sind oft Menschen, die kein zweites Staatsexamen haben", sagt Simone Fleischmann, Präsidentin des Bayerischen Lehrerverbands. Der Lehrermangel sei nicht mehr zu kaschieren. So sieht das auch die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft und fordert Entlastung der Lehrer durch weniger Unterricht.

Weder der Minister noch seine Kritiker wissen, wie dieses Schuljahr laufen wird. Corona ist unberechenbar. Eine Furcht aber kann Landesschülersprecher Joshua Grasmüller den anderen Schülern schon nehmen: Am vergangenen Dienstag begann seine duale Ausbildung mit Maskenpflicht im Unterricht. Sein Fazit? Gar nicht so schlimm wie befürchtet, "auch die Akustik war ok, sogar in der letzten Reihe."

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