RTL: "Das Medium" mit Hellseherin:Herr Barschel, sind Sie es wirklich?

Proteste gegen eine Sendung von RTL: Ausgerechnet am Reformationstag will der Boulevardsender eine Hellseherin zeigen, die mit dem 1987 verstorbenen CDU-Politiker Barschel Kontakt aufnimmt.

Franz Baden

Als Bertelsmann kürzlich den 175. Geburtstag feierte, hatten die Verantwortlichen eine Idee. Sie gründeten, ganz kosmopolitisch auf Englisch getauft, eine Academy for Journalism. Sie soll sich, selbstverständlich, mit Qualitätsjournalismus auseinandersetzen. Vielleicht sollten sich die Strategen in Gütersloh mal mit den Unzulänglichkeiten in den eigenen Medien auseinandersetzen, beispielsweise in Köln beim Bertelsmann-Sender RTL.

Barschel RTL

Ein Medium soll von Uwe Barschel für RTL erfahren, wie er denn gestorben ist. Barschels Witwe Freya (rechts) im Gespräch mit dem Medium Kim-Anne Jannes (links) und RTL-Moderatorin Petra Neftel.

Dort kam man auf die Idee, am 31. Oktober, dem Reformationstag, eine Sendung namens Das Medium zu platzieren. Die Hellseherin Kim-Anne Jannes soll dabei Kontakt zum 1987 verstorbenen einstigen Ministerpräsidenten Schleswig-Holsteins, Uwe Barschel (CDU), aufnehmen. Bei Erfolg plant RTL weitere Ausgaben mit der Hellseherin.

"Wenn ein geliebter Mensch plötzlich aus dem Leben gerissen wird, bleiben Fragen offen", heißt es im Pressetext der RTL-Kommunikationsabteilung.

Am Tag also zu Gedenken Martin Luthers, der vor fast 500 Jahren mit dem Mummenschanz der katholischen Kirche aufgeräumt hat, plant der deutsche TV-Marktführer RTL eine Show, in der angeblich Kontakt mit einem Toten aufgenommen wird. Und was könnte man Uwe Barschel alles fragen: Hat er jemanden von der Stasi gesehen im Genfer Hotel Beau Rivage, in dem er starb? Wie kam es, dass er bekleidet in der Badewanne gefunden wurde? Was lief in der politischen Affäre "Waterkantgate"?

Vermutlich würde die Hellseherin, da es sich um ein RTL-Programm handelt, lieber nach seiner Liebe zu Freya Barschel fragen. Es gibt noch Menschen, die zwischen Diesseits, Jenseits und Abseits unterscheiden können. Der Medienbeauftragte der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Markus Bräuer, jedenfalls hat die RTL-Barschelei scharf kritisiert. "Eine Hellseherin, die Kontakt mit den Toten zu haben behauptet, erscheint mir im 21. Jahrhundert überholt", sagte Bräuer der Leipziger Volkszeitung. Er sehe in der Platzierung der Sendung ein "mangelndes Bewusstsein für die Bedeutung des Reformationstags".

RTL und Bertelsmann reden zwar viel von gesellschaftlicher Verantwortung. Aber ob der Kirchenmann mit solcher Grundsatzkritik durchdringt in einer Welt, in der Tabubruch und Quoten-Versessenheit alles ist? In der Pilotsendung von Das Medium besucht die gebürtige Hellseherin Kim-Anne Jannes die Politiker-Witwe Freya Barschel. Nach Angaben einer RTL-Sprecherin sei es tatsächlich gelungen, Kontakt mit dem CDU-Politiker Uwe Barschel aufzunehmen, der in der Nacht zum 11. Oktober 1987 unter mysteriösen Umständen ums Leben kam. Freya Barschel habe ihrem Mann Fragen stellen können, auf die er Antworten gegeben habe.

Medium hat zu viel geredet

Das klingt ganz so, als müsste die Geschichte umgeschrieben werden, ja als ob Stephen Hawking rasch ein neues Buch zur Schöpfung schreiben müsste. An Journalisten ging vorab bereits eine DVD zur Sendung heraus - der entscheidende Teil, die Kontaktaufnahme zu Barschel, fehlte jedoch. "Ich bin von der Frau begeistert", zitierten die Lübecker Nachrichten die Barschel-Witwe. "Sie ist hervorragend. Mein verstorbener Mann ist bereit gewesen, mit uns zu sprechen", sagte sie. Allerdings, schränkte die Witwe ein, habe das "Medium" so viel geredet, dass sie selbst leider nicht dazu gekommen sei, all das zu fragen, was ihr auf dem Herzen liege.

Nach RTL-Angaben habe Jannes von dem Fall zuvor keine Informationen erhalten, außer dem Vornamen des Toten. Konkrete Inhalte der Sendung dürfe sie vorab nicht verraten, dazu sei sie von RTL verpflichtet worden, ergänzte Freya Barschel. Dankenswerterweise fragte das Blatt auch einen Medienexperten: "Das ist pure Volksverdummung. Schade, dass Frau Barschel bei solch einem Blödsinn mitmacht", sagte der Hamburger TV-Kritiker und Grimme-Preisträger Holger Kreymeier über die RTL-Sendung.

Sein Fazit: "Das Fernsehen wird immer bekloppter." Hellseherin Jannes ist Wiederholungstäterin. Im Jahr 2003 strahlte RTL die Sendung Gespür für Mord - Hellseher ermitteln aus - darin nahmen Jannes und ein Kollege angeblich Kontakt mit einem Mordopfer auf. Und die Frau war bei TV-Pfarrer Jürgen Fliege zu Gast sowie bei Galileo Mystery (ProSieben). Ihre Fähigkeit habe sie von der Uroma mütterlicherseits geerbt, berichtete die zweifache Mutter in einem Interview mit RTL. Im Prinzip könne jeder ihren Job machen, sie unterscheide sich lediglich in der Intensität und Schnelligkeit in der Wahrnehmung.

"Ich habe auch schon erlebt, dass die Angehörigen lediglich wissen wollten, wie die Nummer des Schweizer Bankkontos lautet", erzählt Jannes weiter. "Es ist schon erschreckend, wenn dies das Einzige ist, was bleibt. Auf der anderen Seite hat der Verstorbene wahrscheinlich auch dazu beigetragen, dass es so ist. Es gehören schließlich immer zwei dazu."

Außer Freya Barschel gibt es noch zwei weitere Fälle in der geplanten Pilotsendung, unter anderem das Ehepaar Hartung, das um seine 19- jährige Tochter trauert. Sie sei wegen ihrer Fähigkeiten nie gehänselt worden, gibt die Hellseherin im Interview RTL zum Besten: "Ich war meistens in der Sporthalle und habe trainiert." Ihr Talent sei "sicherlich erblich", aber die Berufswahl sollten die beiden Töchter frei entscheiden.

Vielleicht sollte die Academy for Journalism einmal erforschen, was alles so möglich ist in der deutschen Medienlandschaft. "The medium is the message", erklärte einst der Medienwissenschafter Marshal MacLuhan. Die Botschaft von RTL ist angekommen.

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