Geld, Macht, Hass: Joseph Beuys:Fegefeuer der Eitelkeiten

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Aktionskünstler Joseph Beuys arbeitete gern mit Filz und Fett. Wem die skurillen Werke heute gehören, ist seit seinem Tod umstritten. Die Witwe zerrt alte Freunde vor Gericht, die die Werke ausstellen.

Alina Fichter

Es geht darum, wer er war. Und darum, was er der Welt sagen wollte. Das macht die Sache so heikel. Selbst als er noch lebte, waren diese Fragen kaum zu beantworten. "Jo-seph Be-uys." Andächtig dehnte der Kunstlehrer die Vokale, er seufzte den Namen fast, damals, zu Schulzeiten. Erzählte etwas von sozialer Skulptur und einem neuen Kunstbegriff: "Revolutionär! Ein Genie, dieser Be-uys!"

Joseph Beuys werden im Schloß Moyland ausgestellt. Das Museum hat vor Gericht nun gegen die Witwe verloren. Moyland darf Fotos einer Kunstaktion künftig bei Androhung von bis zu 250.000 Euro Ordnungsgeld nicht mehr ausstellen. (Foto: dpa)

Die Klasse, die sich wenig später in einem kühlen Museumsraum wiederfand, vor zwei rostigen Leichenbahren, mit Fett beschmierten Blechkästen, fragte sich: Das soll ein Geniestreich sein? Revolutionär? Eklig. Eklig ist das!

Beuys' Gegner sahen es ähnlich, schüttelten verständnislos die Köpfe, als das Münchner Lenbachhaus die Installation "Zeige Deine Wunde" im Jahr 1979 kaufte. Schimpften, dass sei der "teuerste Sperrmüll aller Zeiten". Dabei war es ein Schnäppchen, verglichen mit den Millionensummen, die Joseph Beuys' Werke heute kosten.

Krieg seit 1986

Beuys polarisiert, weit über seine Lebzeit hinaus. Wie viel ist sein Werk wert? Wem gehört es? Der Streit darüber, wer er war, brach nach seinem Tod erst richtig aus. 1986 starb er. Seitdem herrscht Krieg. Auf der einen Seite steht: seine Frau. Auf der anderen stehen: alte Freunde, man könnte auch sagen, seine Ersatzfamilie, die ihm einst das Leben gerettet haben soll. Zwischen ihnen stehen Eitelkeiten, Kränkungen, Hass. Und das Erbe eines Mannes, der schon zu Lebzeiten eine Legende war. Ein Meister der Inszenierung. Mittendrin das Land Nordrhein- Westfalen (NRW). Der letzte Akt des Dramas: Ein Punktsieg für die Witwe, Eva Beuys, vor dem Landgericht Düsseldorf, das Urteil ist erst ein paar Tage alt. Aber dazu später.

Wer verstehen will, wie es so weit kommen konnte, muss zurückblicken, an den Niederrhein Mitte der 1950er Jahre. Beuys war Anfang 30, und er hatte das Leben satt. Seine Karriere lief nicht, wie er es sich wünschte, aber das war noch das geringste Problem. Er fühlte sich als Künstler orientierungslos und wollte sich neu ausrichten, irgendwie. Nur wie? Seine Freunden verstanden seine Launen nicht mehr. Ihr lasst mich im Stich, in dieser wichtigen Umbruchphase, warf er ihnen vor. Zur gleichen Zeit, es war an Weihnachten, schickte seine damalige Geliebte ihm den Verlobungsring zurück. Beuys war bitter enttäuscht, wurde depressiv. Wollte sich zurückziehen, wusste nicht, wohin mit sich und dem Schmerz.

Nach Wochen der Verzweiflung fand er endlich einen Zufluchtsort: Den Hof der Bauernfamilie van der Grinten in Kranenburg, er lag mitten in der Natur und nahe seiner Heimatstadt Kleve. Die Familie nahm Beuys auf, kümmerte sich um ihn. Gemeinsam ernteten sie Kartoffeln, und die Erde an den Fingern half Beuys dabei, wieder Boden unter die Füße zu gewinnen. Er begann zu lesen wie ein Besessener, entdeckte Rudolf Steiner und dessen Lehren. Und er zeichnete, an manchen Tagen mehr als zwanzig Skizzen, auf Zigarettenschachteln, auf Papierschnipsel, auf alles, was ihm in die Hände geriet.

Die Brüder Hans und Franz van der Grinten waren beeindruckt von dem, was sie da sahen. Sie kannten Beuys seit der Schulzeit und wurden seine ersten richtigen Fans: Die beiden waren es, die Anfang der 1950er Jahre Beuys' erste Ausstellung organisierten, da war der noch ein unbekannter, verzweifelter Student. Von ihrem Taschengeld kauften sie seine frühen Werke, manchmal schenkte Beuys ihnen ein paar davon oder ließ sie achtlos auf dem Boden liegen, so genau weiß das heute niemand mehr. Die van der Grintens hoben alles auf, was sie finden konnten von dem Mann mit dem Hut, jahrzehntelang. Rund 6000 Werke soll ihre Sammlung heute umfassen.

Im Jahr 1990, Beuys war gerade seit vier Jahren tot, gründeten sie eine Stiftung. Sie wollten ein Museum einrichten, auf Schloss Moyland bei Kleve. Das Land Nordrhein-Westfalen steuerte 65 Millionen Mark bei, um die Ruine wieder aufzubauen. Heute ist darin der weltweit größte Bestand an Beuys-Zeichnungen ausgestellt. Fast sein gesamtes Frühwerk.

Beuys' Witwe Eva wurde bei alldem ignoriert. Und damit begannen die Probleme. Seitdem bekämpfen sich die Witwe und die van der Grintens, mit Anwälten, vor Gericht. Sie sprechen nicht miteinander, nur übereinander, und nie ist ein gutes Wort dabei.

Moyland verdiene den Namen Beuys nicht, schimpfte die Witwe im vergangenen Jahr. Viele Werke seien falsch datiert, falsch bezeichnet und verfremdet. Bei "Das Schweigen von Marcel Duchamp wird überbewertet" sei Schokolade einfach durch Pappe ersetzt worden. Und das bei Beuys, der völlig vernarrt war in das Organische seiner Kunst, in Schokolade, Filz und Fett.

Der (widerlegten) Legende nach war der Grund dafür, dass Tartaren ihn nach einem Flugzeugabsturz im Zweiten Weltkrieg aufopfernd gepflegt hatten - seine Wunden mit Tierfett einrieben, seinen geschundenen Körper mit Filz wärmten. Aber wie gesagt: Beuys war ein Meister der Inszenierung. Nur: Wie inszeniert man die Werke eines solchen Mannes nach dessen Tod?

Sicher nicht so, wie das in Moyland geschehe, wetterte auch der Beuys-Vertraute Heiner Bastian: Die Zeichnungen steckten in einem Irrgarten aus alten und neuen Rahmen, Beuys habe diese Trödelwaren gehasst.

Quatsch, sagen andere, die den Künstler gut kannten. Das Frühwerk sei auf dem Schloss sehr gut aufgehoben, zumal sich die neue Direktorin Eva Paust für den Erhalt einsetze. Die Witwe führe den Krieg gegen Moyland doch nur, weil sie Geld wolle. Sie sei nach Beuys' Tod quasi mittellos gewesen und jetzt auf der Suche, wie sie aus dem berühmten Namen Profit schlagen könne.

Ob Gier oder der Wunsch, das Werk des geliebten Verstorbenen in seinem Sinne zu erhalten, wer weiß das schon. Sicher ist: Eva Beuys bezweifelt bis heute, dass alle von den van der Grintens gestifteten Werke, Archivalien und Dokumente auch tatsächlich deren Eigentum sind. Vieles hätte Beuys den Brüdern nur geliehen, bezahlt hätten sie es nie. Einmal wollte sie klagen, um die Eigentumsverhältnisse klären. Das Land NRW konnte sie gerade noch beschwichtigen und zu einem Kompromissvorschlag bewegen: Sie forderte einen auf Beuys spezialisierter Konservator für das Museum. Aber dazu kam es nie.

Ob es wohl eine Rache ihrerseits war, zuletzt vor das Düsseldorfer Landgericht zu ziehen? Jedenfalls erstritt sie dort in dieser Woche, dass das Museum Moyland ein gutes Dutzend Fotos von einer Beuysschen Live-Aktion im Fernsehen nicht mehr zeigen darf. Die Fotografien seien eine unzulässige Umgestaltung des Originalwerkes, entschied das Gericht. Sie auszustellen verletze das Urheberrecht. Was Beuys selbst gewollt hätte, woher soll man es wissen? Er starb an einem eisigen Januartag 1986, seine Asche wurde in der Nordsee verstreut. Von einem Schiff mit dem Namen Sueno - Traum.

© SZ vom 02.10.2010 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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