Urteil im Kerviel-Prozess:Wer wusste von der Zockerei?

Er jonglierte mit Milliarden und brachte die französische Bank Société Générale an den Rand des Bankrotts: An diesem Dienstag wird das Urteil gegen den Spekulanten Jérôme Kerviel gefällt. Doch war er nur ein Einzeltäter?

Michael Kläsgen, Paris

Drei Monate hat sich das Pariser Strafgericht Zeit genommen. Der dreiwöchige Prozess gegen den Milliardenspekulanten Jérôme Kerviel endete bereits Ende Juni. An diesem Dienstag verkünden die Richter ihr Urteil, das weit über die Grenzen Frankreichs hinaus Bedeutung hat.

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Jérôme Kerviel steht vor Gericht - beim Spekulieren hielt er sich für unfehlbar.

(Foto: AFP)

Auf der Anklagebank saß zwar nur eine einzige Person, der Ex-Börsenhändler Kerviel von der Bank Société Générale. Aber insgeheim mit ihm angeklagt war ein ganzes System, die Banken, deren Boni und vermeintlich raffgierige Händler, kurzum ein System, das viele dafür verantwortlich machen, die gesamte Welt in die größte Wirtschaftskrise seit Jahrzehnten gestürzt zu haben.

Direkt wird Kerviel keine Mitschuld an der Finanzkrise zur Last gelegt, sondern wesentlich Profaneres: Vertrauensmissbrauch, Fälschung und betrügerische Eingabe von Daten in das Computersystem seiner Bank. Darauf stehen Haft und eine Geldstrafe von bis zu 375.000 Euro. Die Société Générale will darüber hinaus die 4,9 Milliarden Euro zurück haben, die sie im Januar 2008 wegen der Spekulationsgeschäfte von Kerviel verlor. Dass ihr dieser "Schadenersatz" wohl kaum zugesprochen wird, ist die einzige Gewissheit vor der Urteilsverkündung. Selbst die Anwälte der Bank glauben nicht wirklich daran. Abgesehen davon ist nicht abzusehen, für welches Strafmaß sich die Richter entscheiden werden.

Folgen sie der Logik der Bank und halten Kerviel für einen raffinierten Einzeltäter, dann wird der 33-Jährige ins Gefängnis müssen. Von der Einzeltäter-These ist auch die Staatsanwaltschaft überzeugt. Sie hält Kerviel für einen "professionellen Betrüger", "Lügner", "Manipulator" und "Zyniker", der gezielt ein System aufgebaut habe, um das Vertrauen der Bank auszunutzen. Am Ende spekulierte Kerviel mit 50 Milliarden Euro und setzte damit die Existenz der zweitgrößten französischen Bank aufs Spiel. In ihrem Plädoyer forderten die Ankläger deshalb ein hohes Strafmaß: fünf Jahre Haft, eines davon auf Bewährung.

Waren die Chefs eingeweiht?

Die Richter hätten allerdings auch gute Gründe, der Version Kerviels zu glauben. Der Angeklagte wiederholte vor dem Richter gebetsmühlenartig, dass seine Kollegen und Vorgesetzten wussten, dass er das erlaubte Handelslimit um das zigfache überschritt. Sie hätten dies aber solange stillschweigend geduldet, wie er hohe Gewinne machte. Denn auch sie hätten davon profitiert, durch höhere Boni wegen seiner Gewinne. Weil niemand eingeschritten sei, habe er mit immer höheren Summen spekuliert und dabei die Bodenhaftung verloren. Die Bank habe ihn dazu angestachelt, weiter zu machen. Sein Verteidiger, der Staranwalt Olivier Metzner, plädiert auf Freispruch. Nur in einem Punkt hält er seinen Mandanten für schuldig: bei der betrügerischen Eingabe von Daten ins Computersystem.

Falls die Richter Kerviels Version glauben und zu dem Ergebnis kommen, dass er unmöglich ohne Wissen seiner Vorgesetzten gehandelt haben kann, wäre das ein Donnerschlag. Dann würde aus dem Kerviel-Prozess plötzlich ein Société-Générale-Prozess und mit dem Geldhaus stünde das gesamte Bankensystem am Pranger. Dann schiene es belegt, dass Banken ihren Mitarbeitern freie Hand ließen, immer größere Risiken einzugehen, um ihren Profit zu steigern. Die Société Générale hätte sich in dem Fall mit der Klage gegen Kerviel selber geschadet. Bank-Anwalt Jean Veil glaubt aber, die Bank habe diesem Bumerang-Effekt vorgebeugt, indem sie Mängel im Kontrollsystem eingestand und diese inzwischen behob.

Wie immer die Richter entscheiden, am Ende wird es nur ein erstinstanzliches Urteil sein. Kerviel deutete bereits an, bei einer Verurteilung Berufung einzulegen. Die Bank hingegen, hofft mit dem Urteilsspruch die Affäre Kerviel ein für allemal zu beenden.

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