Stuttgart 21:Ohne Kommunikation ist alles nichts

Rezepte, wie beim Thema Stuttgart 21 doch noch zu vermitteln wäre? Die gibt es nicht - dafür aber etliche Lehren aus dem Fall.

Manfred Harnischfeger

Manfred Harnischfeger, 66, war Kommunikationschef von Bertelsmann sowie der Post. Er lehrt Kultur- und Medienmanagement an der Hochschule für Musik und Theater in Hamburg.

'Stuttgart 21'-Gegner protestieren am Brandenburger Tor

Stuttgart 21, da kommt alles zusammen, was derzeit den Zustand der Republik kennzeichnet: Die Deutungshoheit der politischen Kaste über die Wirklichkeit nimmt rapide ab.

(Foto: dapd)

Da hilft kein Handbuch für Krisenmanagement und kein Praktikum im Wahlkampfteam des amerikanischen Präsidenten, und erst recht kein Besuch der Verwaltungshochschule Speyer. Dafür gibt es keine Ausbildung. Der Ruf nach Rezepten eines Kommunikationsexperten geht ins Leere, denn die gibt es nicht.

Stuttgart 21, da kommt alles zusammen, was derzeit den Zustand der Republik kennzeichnet: Die Deutungshoheit der politischen Kaste über die Wirklichkeit nimmt rapide ab; zugleich ist da ein aufmüpfiges Volk, das der Beschwichtigungen und des Opportunismus der Alltagspolitiker überdrüssig ist. Die Reputation von Großunternehmen und Managern sinkt stetig, idealistisch gesinnte junge Menschen werden zunehmend für ideologische Zwecke instrumentalisiert, und dann ist da oft noch ein in härtester Konkurrenz befindlicher Medienbetrieb, der glaubt, Dramatisierung, Inszenierung und Personalisierung seien probate Techniken im Kampf um das Gut Aufmerksamkeit (wenngleich im Fall Stuttgart die Medien mit beiden Seiten fair umgehen und vor aller Kommentierung ihrer Chronistenpflicht genügen).

Patentrezepte für Stuttgart gibt es nicht, wohl aber gäbe es für die Pro-Seite einige Lehren aus anderen Fällen. Erstens: Die Neigung, in frühen Stadien von Projekten Kritik zu bagatellisieren, Einwände beiseite zu schieben, Befürchtungen zu verdrängen ("Nur keine schlafenden Hunde wecken"), führt zu einem Kommunikationsstau, der sich sodann in einer Explosion entlädt. Kommunikation muss langfristig angelegt sein; sie ist Prophylaxe. Offensichtlich beruhigte man sich in Stuttgart schon vor Jahren, mit ein paar Aufklärungsveranstaltungen und Ausstellungen sei der Informationspflicht Genüge getan. Diese Einschätzung war falsch, auch wenn gleichzeitig zu fragen ist, warum sich nach jahrelangem Bekanntsein der Pläne und vielen Diskussionen gerade jetzt ein solch revolutionsartiger Zustand entwickelt.

Zweitens: Die Kräfte müssen gebündelt werden. Das sind sie im Falle der Projektbetreiber und -befürworter in Stuttgart wohl unzureichend. Wenn die Politik aber nicht mit einer Stimme spricht, zu der auch abgestimmtes, effizientes und koordiniertes Verhalten gehört, werden Botschaften nicht wirkungsvoll, überzeugend und zum richtigen Zeitpunkt an die richtigen Teilgruppen vermittelt. Zudem braucht Konfliktmanagement Führung. Von wem kommt sie in diesem Fall? Bahn, Landesregierung, Stadt? Das Kommunikationsbüro ist eingerichtet. Dies ist ein notwendiges Werkzeug, mehr nicht. Disziplin und Selbstbeherrschung der Beteiligten sind geboten.

Noch heute gibt es zu viele Stimmen und zu unterschiedliche Interessen und Auffassungen über den richtigen Umgang mit der Öffentlichkeit.

Drittens ist Kampagnen-Fähigkeit unabdingbar. Das aber ist selten die Stärke von Konzernen und Ministerien - ebenso wenig wie die Kunst, die eigene Story, das Wesen eines Vorhabens, publikumswirksam zu erzählen und darzustellen. Es gehört zu den Grundproblemen großer Hierarchien, dass sie leicht ihre Flexibilität verlieren und auf Unvorhergesehenes nur langsam und unzureichend reagieren. Sie sind zudem so bedingungslos ihren Vorgaben verpflichtet, dass Kritik nur als betriebsfremd und störend empfunden wird.

Viertens: Die Politik darf sich nicht damit begnügen, nur den Willen zu Machterhalt oder Machtgewinnung zu offenbaren. Ängstlichkeit und Absicherungsdenken beherrschen nicht selten die politische Administration in Bund, Land und Gemeinden. Wo die Öffentlichkeit beim kleinsten Fehler nach Bestrafung von Staatsdienern ruft, gehören Risikobereitschaft und Mut zur Kreativität nicht zu den bevorzugten Mitteln der Problemlösung. Das Sagen haben die Juristen. So sind in Unternehmen, Politik und Verwaltung die im Einsatz befindlichen Kommunikationsfachleute oft nur mit der Ornamentik der Fassaden beschäftigt; hinter ihnen bewegt sich nichts.

Fünftens: Der Hinweis auf demokratisch legitimierte Entscheidungen interessiert nur die wenigsten Bürger (auch wenn dies staatspolitisch schlimm und gefährlich erscheinen mag). Sie verlangen nach inhaltlicher Auseinandersetzung mit Themen und Planungen. Man wird sich daran gewöhnen müssen, dass Bürger die Rolle des "stillen Teilhabers" verlassen und sich einmischen in die Angelegenheiten von Strategie und Geschäftsführung. Wenn man nicht will, dass Institutionen und Repräsentanten des Staates am Ende nur noch als Hampelmänner verhöhnt werden, brauchen wir einen anderen Politikstil - weniger selbstgefällig, weniger gouvernemental.

Was hilft, wenn sich gewaltige Organisationen und Systeme rettungslos ineinander verhaken? Wenn völlige Rat- und Aussichtslosigkeit herrscht wie jetzt in Stuttgart? Und wenn auch das teilweise Bemühen um Sensibilität und einen guten Umgangston nicht fruchten? In Stuttgart ist mit Krisenmanagement wohl nichts mehr zu machen. Nun soll Heiner Geißler als Mediator die Sache richten. Aber was soll eigentlich seine Aufgabe sein? Die Sache ist ja nicht mit dem Ritual einer Tarifverhandlung vergleichbar, bei der am Beginn schon feststeht, dass man am Ende etwa in der Mitte zwischen Forderung und Angebot landen wird; und auch nicht mit einer ergebnisoffenen Paartherapie, die entweder in die Fortsetzung der Ehe oder die Scheidung mündet. Der neue Bahnhof wird wohl gebaut. Die Betreiber-Seite wird im Mediator ein zwar lästiges, aber letztlich hilfreiches Sedativum sehen, das der Durchsetzung ihres Ziels dient. Genau dies aber werden die Gegner dem Mediator vorwerfen. In der Sache selbst gibt es doch keine wirkliche Alternative, bestenfalls Modifikationen des Baus.

"Die Öffentliche Meinung ist alles: Mit ihr gibt es keine Niederlage, ohne sie keinen Erfolg" - das ist keine Erkenntnis aus Stuttgart, das hat schon Abraham Lincoln im 19. Jahrhundert gesagt. Die Devise "Erst Sachentscheidung, dann Verkaufe" führt nur ins Unglück. Beides muss ein integrierter Prozess sein, das heißt, dass bei Entscheidungen die Kommunikation gleich mitbedacht werden muss. Ganz früh, realistisch und radikal selbstkritisch. Zumindest dies könnte eine Lehre aus Stuttgart für die nächsten Großprojekte sein; wann und wo auch immer sie anstehen. Sonst behält Bahnchef Rüdiger Grube recht, der die Gefahr sieht, dass es in Zukunft solche ambitionierten Vorhaben in der Industrienation Deutschland nicht mehr geben werde.

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