Studie zu Rechtsextremismus:"Westerwelle hat Sarrazin den Weg bereitet"

Islamfeindlichkeit und der Wunsch nach einem "Führer": Sozialpsychologe Oliver Decker über wuchernde rechtsextreme Ansichten und unterschwelligen "Rassismus" bei Horst Seehofer.

Oliver Das Gupta

Oliver Decker lehrt Sozialpsychologie und Organisationspsychologie an der Universität Siegen sowie an der Philosophischen Fakultät der Universität Hannover. Gemeinsam mit Elmar Brähler leitete Decker die Studie "Die Mitte in der Krise" an der Uni Leipzig, die im Auftrag der SPD-nahen Friedrich-Ebert-Stiftung angefertigt wurde. Die Ergebnisse der Erhebung belegen, dass immer mehr Menschen in Deutschland zu rechtsextremen Ansichten neigen.

Islamfeindlichkeit in Deutschland nimmt zu

Die Islamfeindlichkeit nimmt in Deutschland zu, das ergab eine neue Studie der Friedrich-Ebert-Stiftung. Der Leiter der Studie, der Sozialpsychologe Oliver Decker, sagt im Interview mit sueddeutsche.de: "Westerwelle hat Sarrazin ein Stück weit den Weg bereitet."

(Foto: dapd)

sueddeutsche.de: Herr Decker, die Islam- und Fremdenfeindlichkeit wächst, jeder Zehnte fände sogar gut, wenn ein "Führer" diktatorisch regieren würde - das ergibt die Studie, an der Sie mitgearbeitet haben. Bräunt Deutschland politisch?

Oliver Decker: Der Sockel der rechtsextremistischen Einstellungen in Deutschland war schon vorher vorhanden - allerdings eher latent. Doch inzwischen werden diese Ansichten eher geäußert als in der Vergangenheit.

sueddeutsche.de: Wie erklären Sie diese Entwicklung?

Decker: Der Anteil der Nicht-Festgelegten war schon bei früheren Umfragen hoch. 16 Prozent der Befragten sind sich auch diesmal nicht sicher, ob sie einen "Führer" haben wollen, der "zum Wohle aller mit harter Hand regieren soll". Diese Teils-Teils-Zustimmungen kommen zu einem großen Teil auch von Leuten, die den Aussagen grundsätzlich zustimmen würden, aber damit hinter dem Berg halten - weil sie damit rechnen, dass das sozial nicht akzeptierte Positionen sind. Die anderen bekennen sich inzwischen offen zu ihrer Haltung.

sueddeutsche.de: Worauf führen Sie das zurück?

Decker: Ich verweise auf zwei Aspekte: Zum einen können wir auf einen Befund aus dem Jahre 2002 zurückgreifen. Damals hatten wir in Westdeutschland die höchsten Antisemitismus-Zustimmungswerte. Unsere Erhebung fiel zusammen mit der Kampagne des damaligen FDP-Politikers Jürgen Möllemann.

sueddeutsche.de: Dessen Wahlkampf in Nordrhein-Westfalen zeigte klar antisemitische Züge.

Decker: Richtig. Dadurch fühlten sich einige der Befragten ermuntert, Aussagen zuzustimmen wie "Juden haben etwas Eigentümliches und passen nicht zu uns". Eine solche Entwicklung lässt sich sicherlich auch zurückführen auf ausgrenzende Reden und Minderwertigkeitsdiskurse in der Gesellschaft, die sich freilich nicht nur gegen Migranten richten.

sueddeutsche.de: Von welchen anderen Gruppen sprechen Sie?

Decker: Zum Beispiel, wenn Empfänger von sozialen Transferleistungen stigmatisiert werden. Dann sind viele Menschen bereit, einen aggressiven Impuls, ein Ressentiment, das sie in sich tragen, auch gegen diese Gruppe zu richten.

sueddeutsche.de: Was ist der zweite Aspekt, mit dem Sie die wachsenden rechtsextremen Einstellungen erklären?

Decker: Es ist der Stellenwert, den die Wirtschaft in Deutschland hat. Die weltweite Krise lässt die Aggressionen nun noch deutlicher zu Tage treten - bei denjenigen, die ein Ventil suchen. Momentan sind das Ausländer im Allgemeinen und Muslime im Besonderen.

sueddeutsche.de: Seit Wochen wogt eine Islamdebatte durch Deutschland. Hatte diese durch ein Buch des Ex-Bundesbankers Thilo Sarrazin ausgelöste Kontroverse Einfluss auf Ihre Studie?

Decker: Nein, wir haben die Erhebung vorher durchgeführt. Aber: Sarrazin hat sich ja bereits in der Vergangenheit gegen sozial Schwächere geäußert, das richtet sich ja bei ihm nicht nur gegen Migranten, sondern auch Hartz-IV-Empfänger. Der Resonanzraum, der Sarrazin nun zum Schwingen gebracht hat, existierte also schon, bevor er sein Buch veröffentlicht hat. Entsprechende Ausfälle gegenüber Menschen mit ausländischem und muslimischem Hintergrund hat es ja schon vorher gegeben. Offensichtlich werden sie nun begierig aufgegriffen. Scheinbar brauchen viele Menschen einen Blitzableiter, Sündenböcke, ein Feindbild.

sueddeutsche.de: Wenn es diesen Resonanzraum gegeben hat, warum erhielt dann FDP-Chef Guido Westerwelle so wenig Zuspruch, als er im Frühjahr sozial Schwache attackiert hat und vor "spätrömischer Dekadenz" warnte?

Decker: Das liegt vermutlich daran, dass Sarrazin viel deutlich ressentimentgelandener redet als Westerwelle. Die 'römische Dekadenz' richtet sich ja nicht unbedingt gegen sozial Schwächere. Wenn man aber wie Sarrazin, von "Kopftuchmädchen" spricht und kulturalistisch und biologistisch argumentiert, dann spricht man diese Menschen viel leichter an. Ähnlich hat es ja auch CSU-Chef Horst Seehofer mit seinen Äußerungen zu "Kulturkreisen" versucht. Im Grunde genommen ist das ein Rassismus, der sich aus der Andersartigkeit und Minderwertigkeit der anderen Kultur begründet. Westerwelles Äußerungen sind sozusagen Vorfeldbemerkungen, die das politische Klima verschieben. Solche Formulierungen ermuntern andere, sich zu Wort zu melden, noch drastischere Dinge zu sagen.

sueddeutsche.de: Profitiert also Sarrazin von der "Vorarbeit" von Westerwelle und anderen?

Decker: Leider ja. Man muss das klar benennen: Westerwelle hat Sarrazin ein Stück weit den Weg bereitet. In dem Moment, in dem sich Vertreter demokratischer Parteien entweder aus Neigung oder politischem Kalkül solcher ressentimentgeladener Reden bedienen, heizen sie diese Diskurse an.

"Eine Spirale, die das politische Klima in Deutschland wandelt"

sueddeutsche.de: Horst Seehofer will so die Klientel seiner ramponierten Partei animieren, das nächste Mal wieder CSU zu wählen. Verfängt ein solches Kalkül?

Zuwanderung Abwanderung

Zu- und Abwanderung über die Grenzen Deutschlands im Jahr 2009.

(Foto: Grafik: sueddeutsche.de, Kaiser)

Decker: Kurzfristig mag das Erfolg haben. Aber mittelfristig bereitet das rechtspopulistischen bis rechtsextremen Wortführern den Boden. Das setzt eine Spirale in Gang, die das politische Klima in Deutschland wandelt - und irgendwann auch die politische Landschaft ändert. Es ist ein Irrtum zu glauben, demokratische Parteien könnten durch solche Aussagen Wähler an sich binden.

sueddeutsche.de: Wie meinen Sie das?

Decker: Jemand, der das Ressentiment noch stärker betont als die Vertreter demokratischer Parteien, ist für aufgestachelte Menschen immer die bessere Wahl. Die denken sich dann: Gehen wir gleich zum Original. Im Nachgang ist es umso schwerer für Politiker demokratischer Parteien, sich von extremistischen Ansichten abzugrenzen.

sueddeutsche.de: Spielt auch eine Rolle, dass die Union mehr und mehr das National-Konservative abgestreift hat?

Decker: Die Konservatismus-Debatte bei CDU und CSU spielt da sicher auch eine Rolle, wobei führende Vertreter der CDU erkannt haben, dass der eingeschlagene Kurs richtig ist. Es ist sehr verdienstvoll von Kanzlerin Angela Merkel und Leuten wie Unionsfraktionschef Volker Kauder, dass sie auf solche ressentimentgeladenen Reden verzichten und auf die eigentlichen Ursachen verweisen. Es ist wichtig, nicht nur von Migranten Integration zu fordern, sondern, wie Kauder, auch zu betonen, dass die Gesellschaft offen sein muss für Integration und die Aufnahme sozial Schwacher.

sueddeutsche.de: In Ihrer Studie heißt es, die rechtextremen Ansichten seien in allen Schichten und Milieus zu finden. So ist auch erklärbar, dass SPD-Chef Sigmar Gabriel wütende Reaktionen von vielen Parteimitgliedern erhält, nachdem ein Ausschlussverfahren gegen Thilo Sarrazin eingeleitet wurde.

Decker: Die Entwicklung ist grundsätzlich eine Gefahr für alle demokratischen Parteien. Allerdings muss man dazu sagen, dass die Anfälligkeit dafür unterschiedlich stark ausgeprägt ist. Und es ist wichtig, hier Aufklärungsarbeit und eine klare Abgrenzung vorzunehmen, wie es eben mit der Reaktion der SPD auf Sarrazin auch erfolgt ist. Wie groß die Versuchung ist, sieht man aber jedes mal auch in Wahlkämpfen, wenn Politiker versuchen, Ressentiments einzubinden.

sueddeutsche.de: An welches Ressentiment denken Sie?

Decker: Wenn man behauptet, "Fremdarbeiter" würden deutschen Männern und Frauen die Jobs wegnehmen - Oskar Lafontaine äußerte sich so.

sueddeutsche.de: Gibt es in absehbarer Zeit eine erfolgreiche Rechtsaußenpartei in Deutschland?

Decker: Schwer zu sagen. Nur: Das bisher bekannte Führungspersonal im rechtsextremen Spektrum besitzt die Fähigkeiten nicht.

sueddeutsche.de: Was würde zu so einem Profil gehören?

Decker: Eine solche Persönlichkeit müsste fähig sein, eine Partei mit funktionierenden Strukturen zu führen, sie müsste fähig sein, mit politischen Institutionen umzugehen und sich in politischen Netzwerken zurechtzufinden. Das Problem, das ich eher sehe, ist, dass eine bislang demokratische Partei kippt. Denn in einer etablierten Partei sind ja schon funktionierende Strukturen und dementsprechendes Personal vorhanden.

sueddeutsche.de: Können Sie ein Beispiel nennen?

Decker: Jörg Haider hat das erfolgreich vorexerziert, als er die österreichische FPÖ in den achtziger Jahre übernommen hat. Es ist auffallend, wie nah sich manchmal rechtspopulistische und liberale Positionen sind. Es ist kein Zufall, dass der Freidemokrat Jürgen Möllemann auf dieser Klaviatur gespielt hat. Wenn er nicht den Freitod gewählt hätte, wäre er eine Person, die auf die Beschreibung, die ich vorhin gegeben hatte, passen würde. Möllemann war Abgeordneter, Minister und Parteifunktionär. Er kannte die Abläufe, er wusste, wie eine erfolgreiche Partei funktioniert. Er hätte - vielleicht auch als Abspaltung - eine solche rechtspopulistische Bewegung führen können.

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