Glaube und Erziehung:Schläge im Namen des Herrn

Eltern aus evangelikalen Freikirchen schlagen ihre Kinder eher als evangelische oder katholische Christen. Möglicherweise, weil Religion für sie eine wichtige Rolle in der Erziehung spielt.

Florian Götz

In evangelikalen Freikirchen ist das Risiko für Kinder, geprügelt zu werden, größer als für den Nachwuchs von katholischen oder evangelischen Eltern. Das geht aus einer Studie des Kriminologischen Forschungsinstituts Niedersachsen in Hannover zu Gewalt in der Kindheit hervor.

Christian Pfeiffer

Studienleiter Christian Pfeiffer.

(Foto: AP)

Nach Angaben von Studienleiter Christian Pfeiffer zeigten die Daten, dass sich mit zunehmernder Religiosität offenbar stärker gewaltorientierte Erziehungsmethoden der Eltern ergeben würden. Das gelte vor allem für jene, die evangelikal-freikirchlich sind. Die Wissenschaftler hatten 45.000 Neuntklässler im Alter zwischen 14 bis 16 Jahren aus 61 deutschen Städten und Landkreisen befragt. Aufgrund eines Artikels in der Süddeutschen Zeitung zu Züchtigungen bei evangelikalen Christen haben die Fachleute ihre Daten nun in Bezug auf Gewalterfahrung und Religion analysiert.

Dabei sind sie auf einen bedeutsamen Zusammenhang gestoßen: Das Risiko für Schüler, als Kind mindestens einmal massiv misshandelt zu werden, war mit großem Abstand am höchsten, wenn die Eltern Mitglied einer evangelikalen Freikirche waren und Religion für sie eine "sehr wichtige" Rolle für die Erziehung gespielt hatte. Immerhin jeder fünfte Schüler in dieser Gruppe war davon betroffen. Galt die Religion als "eher wichtig", war es jeder sechste.

"Bei den schlicht evangelischen Eltern gibt es ein ähnliches Problem" stellt Pfeiffer fest. Von deren Kindern war immerhin noch etwa jedes sechste verprügelt worden, wenn Vater und Mutter die Religion für die Erziehung als sehr wichtig betrachteten.

Bei Jugendlichen aus katholischem Elternhaus war es dagegen umgekehrt: Sie hatten am ehesten unter elterlicher Gewalt zu leiden, wenn Vater und Mutter Religion als völlig unwichtig für die Erziehung betrachteten.

Auffällig ist, dass die Gewalt evangelikaler Eltern eine nachhaltige Wirkung auf den Nachwuchs zu haben scheint: Mit systematischen Schlägen, so warnen Psychologen, ließe sich der Wille von Kindern brechen, so dass sie die Überzeugungen der Erwachsenen übernähmen. Und gerade bei evangelikalen Jugendlichen, die selbst religiös waren, waren mit 18 bis 21 Prozent deutlich mehr geprügelt worden als in allen anderen Gruppen.

Bei den Katholiken dagegen könnte man meinen, manchen Kindern wäre der Glaube mit Gewalt ausgetrieben worden. Der Anteil, der Prügel bezogen hatte, war unter den nicht religiösen Jugendlichen am größten - und unter den sehr religiösen am kleinsten. Etwa jeder achte nur noch formal katholische Jugendliche war massiv geschlagen worden, von den stark Gläubigen war es nur jeder dreizehnte gewesen.

In Kreisen der evangelischen Kirche vermutet man Christian Pfeiffer zufolge die Ursache der hohen Werte bei den Evangelikalen darin, dass die Pfarrer dieser Gemeinden sich verstärkt am Wortlaut der Bibel orientieren. Die Heilige Schrift enthält etliche Ratschläge wie "Wer liebhat seinen Sohn, hält stets den Stock für ihn bereit" oder "Rute und Zucht geben Weisheit". Evangelikale Erziehungsratgeber rechtfertigen damit das Züchtigen mit der Rute schon für unter Einjährige.

Probleme mit der Anpassung haben in Deutschland demnach nicht nur Angehörige nicht-christlicher Religionen, wie manchmal der Eindruck erweckt wird. Auch manche Christen sind offenbar aus religiösen Gründen nicht bereit, die deutschen Gesetze zu akzeptieren, denen zufolge die Züchtigung von Kindern verboten ist. Der Hinweis darauf, so Pfeiffer, könne die Diskussion über die Integrationsfähigkeit von Muslimen seiner Erfahrung nach erheblich entschärfen.

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