Integrations-Debatte:"Eine Million Verweigerer"

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Wie viele Zuwanderer wollen sich nicht integrieren? Wie viele Menschen wandern überhaupt noch nach Deutschland ein? Und was könnte Seehofer dagegen machen? Was hinter den Kampfbegriffen der Parteien steckt.

Roland Preuß

Die Parteien streiten weiter über Integration und Zuwanderung nach Deutschland. Bundeskanzlerin Angela Merkel hat "Multikulti" für tot erklärt und will den Druck auf Integrationsunwillige erhöhen, die FDP verlangt, Fachkräfte leichter ins Land zu lassen. Die wichtigsten Fragen und Antworten zu der Debatte im Überblick.

Die Bundesregierung ist gerade dabei, Zahlen zum Thema Integrationsverweigerung zusammenzutragen. (Foto: dpa)

Wie viele Zuwanderer wollen sich nicht integrieren?

CSU-Generalsekretär Alexander Dobrindt spricht von "einer Million Integrationsverweigerern in Deutschland", doch für diese Behauptung gibt es keinerlei Beleg. Die Bundesregierung ist gerade erst dabei, Zahlen zum Thema zusammenzutragen. Ausländerbehörden und Arbeitsagenturen in Städten mit einem hohen Zuwandereranteil wie Duisburg oder Stuttgart taxieren den Anteil der Unwilligen im Promillebereich oder auf wenige Prozent. Eine Studie im Auftrag des Bundesinnenministeriums kam 2009 zu dem Ergebnis, dass etwa zehn Prozent der muslimischen Schülerinnen nicht an angebotenen Klassenfahrten teilnehmen, etwa, weil die Eltern dies nicht wollen. Dies wertete das Ministerium als Indiz für Unwilligkeit. Doch auch fünf Prozent der andersgläubigen Mädchen verzichteten auf die Fahrten.

Wie viele Menschen wandern noch nach Deutschland ein?

Unter dem Strich niemand mehr: Vergangenes Jahr kamen zwar etwa 721.000 Menschen nach Deutschland, gleichzeitig verließen aber 734.000 Leute das Land. Wegen der Bereinigung von Melderegistern halten Statistiker die Auswanderungszahlen jedoch für etwas zu hoch angesetzt. Man kann also davon sprechen, dass sich Zu- und Abwanderung seit drei Jahren etwa die Waage halten. Die meisten Zuwanderer kamen vergangenes Jahr aus Polen (123.000).

Wie viele Fachkräfte kommen derzeit ins Land?

Aus Staaten von außerhalb der EU sind es weniger als 20.000, davon waren im vergangenen Jahr gerade einmal 311 Hochqualifizierte, also beispielsweise Spitzenmanager mit einem Jahresgehalt von mehr als 66.000 Euro oder Professoren. Weniger genaue Zahlen gibt es zu den zugewanderten Fachkräften aus EU-Staaten, weil Unionsbürger - mit Ausnahme der neuen Beitrittsländer wie Polen oder Rumänien - ohne Genehmigung eine Stelle annehmen können. Klar ist allerdings, dass kaum noch jemand aus EU-Ländern nach Deutschland zieht. Im Jahr 2008 kamen unter dem Strich nur gut 9500 Menschen. Experten halten diese Zahlen für viel zu niedrig; der Chef des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW), Klaus Zimmermann, fordert, jedes Jahr 500.000 Fachleute ins Land zu holen.

Wer propagiert noch eine "multikulturelle Gesellschaft"?

Niemand, zumindest keine der Parteien im Bundestag. "Multikulti" ist ein Kampfbegriff aus den achtziger Jahren, den Merkel und CSU-Chef Horst Seehofer nun wieder gegen die Opposition einsetzen. Selbst die Grünen haben sich längst von der Vorstellung verabschiedet, Multikulti sei ein Karneval der Kulturen ohne Konflikte. Die jetzige Fraktionschefin Renate Künast hatte bereits vor fünf Jahren von Zuwanderern gefordert, sie müssten Deutsch sprechen und sich an das Grundgesetz halten. Ihre Partei sieht die multikulturelle Gesellschaft angesichts von Millionen Zuwanderern in Deutschland bereits als Realität an.

Könnte Seehofer die Zuwanderung aus "fremden Kulturkreisen" stoppen?

Wohl kaum, denn Zuwanderer aus muslimischen oder anderen fernen Kulturen kommen hauptsächlich über das Asylrecht oder den Nachzug von Ehepartnern und Kindern. Sowohl das Asylrecht als auch der Schutz der Familie sind im Grundgesetz als auch in internationalem Recht verankert. Politisch Verfolgte oder den Zuzug von Kindern abzulehnen, weil sie aus "fremden Kulturkreisen" stammen, dürfte gegen die Menschenrechte verstoßen.

© SZ vom 19.10.2010 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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