Diskussion um Präimplantationsdiagnostik:Das perfekte Kind

Die Präimplantationsdiagnostik ist ein weiterer Schritt zur Nachwuchsoptimierung. Dahinter steht der Wunsch nach einem perfekten Kind - der hat etwas Unmenschliches. Wer ein Kind erwartet, muss darum "Ja" sagen, nicht "Ja, aber".

Nina von Hardenberg

Kinder sind ein Geschenk Gottes, sagt man. Doch schon lange wird dieses Geschenk nicht mehr vorbehaltlos angenommen, als Überraschung quasi. Die meisten Eltern wollen genau wissen, wann es kommt, und sie haben konkrete Vorstellungen, was drin sein soll.

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Immer genauere Tests und Screenings prüfen, ob das Kind der Norm entspricht: Aus dem Wunschkind ist ein Wahlkind geworden.

(Foto: obs)

So wird der Zeitpunkt der Geschenkübergabe hinausgezögert, bis der richtige Partner gefunden und die Karriereplanung so weit vorangetrieben ist, dass sie durch den Nachwuchs keinen allzugroßen Knick erfährt. Während der Schwangerschaft hilft eine Flut von Ratgebern den Frauen bei der Ernährung, damit sich der Nachwuchs optimal entwickelt. Krankheit und Behinderung kommen in diesem Konzept nicht vor. Stattdessen prüfen immer genauere Tests und Screenings, ob das Kind der Norm entspricht. Aus dem Wunschkind ist ein Wahlkind geworden.

In dieser Logik ist die Präimplantationsdiagnostik (PID) nur ein weiterer Schritt auf dem Weg der Nachwuchsoptimierung. Sie ist ein neuer Versuch, das Risiko Kind zu kontrollieren. Schon heute entscheiden sich die allermeisten Schwangeren gegen ihr Kind, wenn sie erfahren, dass es zum Beispiel Trisomie-21 hat.

Auch wenn bei Abtreibung von behinderten Kindern rechtlich die Mutter angeführt wird, der die seelische Belastung nicht zugemutet werden könne - schon jetzt treffen Ärzte und Eltern defacto ein Urteil über den Wert des Lebens. Die PID verlegt diese Entscheidung nur nach vorne: Statt im Bauch der Mutter nach möglichen Schäden des Embryos zu fahnden, erfolgt die Untersuchung nun schon im Reagenzglas.

Es ist darum irreführend, wenn Politiker der Union nun ethische Grundwerte bedroht sehen. Die Werteverschiebung ist nur graduell. Deswegen ist sie aber nicht weniger bedeutsam. Die Einstellungen einer Gesellschaft zum Leben und zu ihren Kindern wandeln sich schleichend. Und sie werden sich durch Gesetze kaum festlegen lassen.

Darum hat auch der Vorstoß der Kanzlerin etwas Hilfloses. Angela Merkel fordert ein Verbot von PID - und hat zwar recht, wenn sie sagt, es sei unmöglich, zwischen einer schweren und einer weniger schweren genetischen Krankheit zu unterscheiden. Doch wird sie langfristig kaum verhindern können, dass diese Unterscheidung immer wieder versucht werden wird.

Ein Werturteil über das Leben

Das liegt nicht nur daran, dass es in der Medizin die Tendenz gibt, das technisch Mögliche auch zu machen - und sei es im Ausland. Auch moralisch kann man es im Einzelfall kaum durchhalten, Eltern den Gentest zu verbieten. Wer will über eine Mutter richten, die nach mehreren Fehlgeburten sich jene Embryonen aussuchen will, die eine Chance haben, es zu schaffen? Ein solcher Fall war es, der den Bundesgerichtshof im Sommer zur Freigabe der PID veranlasste. Und wer mag Menschen verurteilen, die an einer Erbkrankheit leiden und diese nicht weitergeben wollen? Wer darf sagen, ihr müsst dieses Leid ertragen?

Die Position der FDP, die die PID bei Paaren mit "schweren" Erbkrankheiten freigeben will, scheint da zunächst realitätsnäher zu sein. Doch auch die Liberalen werden Mühe haben, die Grenze zwischen "schwer" und "weniger schwer" zu ziehen; zumal sie damit auch ein Werturteil über das Leben sprechen. Auch ist die Sorge berechtigt, dass sich diese Grenze allmählich verschieben wird. Am Anfang geht es um dramatische Einzelschicksale. Doch irgendwann reicht vielleicht das Argument, dass die Wahl der besten Embryonen die Erfolgschancen einer künstlichen Befruchtung erhöht.

Merkel will die schwierige ethische Entscheidung im Bundestag freigeben. Die Abgeordneten sollen ohne Fraktionsdisziplin entscheiden. Gebraucht wird eine Lösung, die weder Paare ideologisch bevormundet noch sich unreflektiert dem technisch Möglichen verschreibt. Ein Aspekt könnte sein, die Paare viel mehr als bislang zu beraten. Das findet ja nicht einmal bei der heutigen Früherkennung statt.

Wie selbstverständlich schicken Frauenärzte viele Schwangere zu Untersuchungen zum "Ausschluss von Fehlbildungen", ohne sie je gefragt zu haben, wie sie zu einem Leben mit einem behinderten Kind stünden. Eine solche Beratung wäre gerade angesichts der Werbekampagnen wichtig, mit denen die Reproduktionsmedizin auftritt. Die berichtet immer stolz von Frauen, die mit 40 Jahren ihr erstes Kind erwarten. Und nährt so nur den Glauben, der Kinderwunsch könne unbegrenzt verschoben, jederzeit realisiert werden.

Die Entscheidung für ein Kind wird immer ein Wagnis bleiben. Und das nicht nur, weil sich die allermeisten Behinderungen, mit denen Kinder auf die Welt kommen, in keinem Test je feststellen lassen. Auch bei der Geburt kann es zu Komplikationen kommen. Später kann ein Kind verunglücken oder sich anders entwickeln, als die Eltern dies wollten. Der Wunsch nach einem perfekten Kind hat, zu Ende gedacht, auch etwas Unmenschliches.

Es ist ein Anspruch, dem auch das Kind selbst nicht gerecht werden kann, der es überfordern muss. Wer ein Kind erwartet, muss darum auch heute noch "Ja" sagen, und nicht "Ja, aber". Es ist eine Entscheidung für das Leben. Mit all seinen Fehlern, aber auch mit seiner Vielfältigkeit. Mit Glück und Unglück und mit Überraschungspaketen.

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