Tilda Swinton im Gespräch:Nie, nie Mascara!

Was für ein Sonderwesen: Schauspielerin Tilda Swinton spricht über ihr auffälliges Aussehen, ihr Leben in einem schottischen Zeitloch und verrät, warum sie sich nur elf Jahre alt fühlt.

Rebecca Casati

Katherine Matilda "Tilda" Swinton wurde am 5. November 1960 in London geboren. Die Wurzeln ihrer Familie lassen sich bis ins 9. Jahrhundert zurückverfolgen. Sie besuchte dasselbe Mädcheninternat wie Lady Diana Spencer und studierte Soziologie und Englische Literatur in Cambridge. 1986 entdeckte der Regisseur Derek Jarman sie für seinen FIlm "Caravaggio". Mit Sally Potters "Orlando" (1992) gelang Swinton der internationale Durchbruch, es folgten Mainstream-Filme wie "The Beach" mit Leonardo DiCaprio, "Vanilla Sky" mit Tom Cruise oder "Der seltsame Fall des Benjamin Button" mit Brad Pitt. Aber auch immer wieder künstlerische Produktionen wie "Thumbsucker" oder "Julia" (2008), in dem Swinton eine Trinkerin spielte. 2008 erhielt sie auch den Oscar als beste Nebendarstellerin für ihre Rolle in "Michael Clayton". Ihren neuen Film "I am Love" hat sie mitproduziert. Er läuft am 28. Oktober in den deutschen Kinos an.

Tilda Swinton

Sie hat ein Gesicht, das man nicht vergisst. Regisseure werden bei ihr an Menschen auf Gemälden erinnert. Ihr Image ist ihr allerdings egal. Als Film-Nerd will sie einfach nur mit anderen Film-Nerds rumhängen.

(Foto: AP)

Lesen Sie hier Auszüge aus einem Interview mit der SZ am Wochenende.

SZ: Mrs. Swinton; Sie sind ja tatsächlich so schön, wie alle behaupten.

Tilda Swinton: Ich muss sagen, mir gefällt Ihr Einstieg.

SZ: Es geht etwas unhöflicher weiter: Sind Sie sehr eitel?

Swinton: Hm. Eitel genug, um nicht als eitel gelten zu wollen.

SZ: Sie haben jedenfalls ein Gesicht, das man nicht vergisst. Wir kennen es sowohl aus Hollywood- als auch aus Arthouse- Filmen. Inwiefern hat Ihr besonderes Aussehen Ihren Lebensweg bestimmt?

Swinton: Ich wollte immer zum Film, aber nie als Schauspielerin. Der Regisseur Derek Jarman sah mich und platzierte mich vor die Kamera, und so ging es weiter. Ich sehe nun wirklich nicht aus wie die Menschen, die üblicherweise beim Film sind. Aber viele Regisseure haben denselben Blick wie Maler. Und ich erinnere sie an Menschen auf Gemälden. Bei meiner Karriere spielt also nicht nur mein Aussehen eine große Rolle, sondern auch die Art, wie Menschen darauf ansprachen. Und natürlich mein Bewusstsein.

SZ: Wie das?

Swinton: Ich könnte doch zum Beispiel Mascara tragen, um ein bisschen mehr einem typischen Filmstar zu gleichen und so für ein noch breiteres Publikum vermittelbar zu sein. Aber meine Entscheidung, den Mascara sein zu lassen, hat mich in dieser Branche selbstbestimmt werden lassen.

SZ: Mascara - ist das wirklich so wichtig?

Swinton: Er ist immens wichtig! Die Erkenntnis kam mir 2004, als wir den ersten Narnia-Film drehten. Wie Sie vielleicht wissen, spiele ich in den Narnia-Chroniken die Weiße Hexe. Wir berieten damals also erstmals über meinen Look, und man zeigte mir frühe Entwürfe der Studios. Sie zeigten eine böse Hexe mit schwarzem Haar, roten Lippen, schwarzem Eyeliner und roten Nägeln. Ich sagte: Ha, interessant, wir sprechen über die Rolle der Weißen Hexe, Ihr habt mich gecasted, und ich bin sehr hellhäutig. Mein Vorschlag wäre also: Wir machen sie weiß, weiß, weiß und weiß! Die Antwort vom Studio-Komitee war: Nein, das geht nicht, die Hexe muss schön sein. In Ordnung, sagte ich, soll das heißen, dass es einer Frau unmöglich ist, ohne rote Lippen und schwarzem Eyeliner schön zu sein? Ja, hieß es, unmöglich. Ich habe mich durchgesetzt. Und damals hat sich mir die Wichtigkeit dieser Geste eingeprägt: Nie, nie Mascara tragen.

(...)

SZ:Sie haben ja auch verdienterweise Ikonenstatus. Aber verkörpern sie nicht vor allem das Frauenbild der Sechziger?

Swinton: Deswegen ja! Der Stil dieser Art Frauen, die wir zeigen, hat ebenfalls nichts mit dem Moment zu tun. Sie wollen sich klassisch fühlen, unberührbar, zeitlos und konservativ. Es geht nicht um Veränderung, sondern um Konservierung, darum, Kapital zu akkumulieren und ansonsten die Gegenwart auszublenden. Es geht darum, Erfahrungen im Vorfeld zu lektorieren, sich nicht zu gestatten, im Lichte der Gegenwart dazustehen, sich nie zu fragen: Wie kommt das Geld auf meine Kreditkarte, mit der ich gerade meinen Pelzmantel bezahle? Ist es Geld, das ich selber verdient habe, oder haben es jüdische Zwangsarbeiter für mich verdient? Man muss schon gewisse Synapsen kappen, damit man in diesem Bewusstsein, in diesem Spiel leben will.

Lesen Sie auf der nächsten Seite, warum Tilda Swinton für ihre unglückliche Kindheit dankbar ist.

Ein Hippie bin ich nicht

SZ: Sie selber entstammen dem schottischen Hochadel. Sind Ihnen solche Leute häufiger begegnet?

Swinton: Ich habe ein paar Frauen kennengelernt, die in sehr wohlhabende europäische Familien hineingeheiratet haben. Aber ansonsten kenne ich niemanden aus diesem Milieu näher. Meine Eltern waren auch nicht auf diese Art reich. Sowieso haben Engländer ein etwas komplizierteres Verhältnis zum Geld. Alles Neureiche schreckt sie erst einmal ab.

SZ: Sie haben Ihre Kindheit auf einem Schloss, dem jahrhundertealten Familiensitz "Kimmerghame", verbracht, Ihr Vater war Generalmajor bei der britischen Armee. Ihre Eltern haben wohl eher nicht damit gerechnet, dass Ihre Tochter Künstlerin wird?

Swinton: Ich glaube, sie wussten nicht mal, was das bedeutet. Ich fand letztes Jahr in der Bibliothek meiner Eltern einige sogenannte Besucherbücher. Viktorianische Ladies nahmen sie mit, wenn sie auf Parties gingen, und am Ende des Abends schrieb jeder Anwesende ein kleines Gedicht hinein oder fertigte eine Zeichnung an. So viele dieser Einträge in den Büchern zeugen von so viel brachliegendem Talent. Oder nehmen wir meine Urgroßmutter - sie muss so eine Art Maria Callas der Gesellschaftssalons gewesen sein. Aber sie war eben vor allem eine hochwohlgeborene Lady, eine Laufbahn als Opernsängerin war ausgeschlossen. Vorhandene kreative Potentiale, die nicht anerkannt werden - das war also immer sehr kennzeichnend für meine Familie. Meine Eltern kannten keine Künstler. Und ich traf auch nie welche, während ich noch zu Hause wohnte.

SZ: Optisch ist es sehr schwer, Sie einem Alter zuzuordnen. Wie alt fühlen Sie sich?

Swinton: Genau das habe ich mich heute morgen auch gefragt. Die Antwort lautet: Wie elf. Das hat etwas damit zu tun, dass ich mit zehn aufs Internat kam. Und ein ganzes Jahr lang brauchte, um diesen Schock zu verarbeiten. Mit elf hatte ich dann das erste Mal das Gefühl: Hey - das Leben könnte vielleicht doch funktionieren. Über diesen Punkt bin ich anscheinend nie hinausgekommen. Meine Kinder sind 13. Ich muss aufpassen, dass sie nicht erfahren, dass ich mich jünger fühle, als sie sind.

(...)

SZ: Hätten Ihre Kinder vielleicht manchmal lieber eine Mutter mit einem etwas konventionelleren Job?

Swinton: Meine Kinder wissen gar nicht, was ich mache. Sie wissen es, aber sie wissen nicht, was das bedeutet, was es für eine öffentliche Wirkung hat. Weder lesen sie Zeitungen noch Magazine, und sie sehen auch keine meiner Filme. Es gibt sowieso nur einen einzigen, der für sie in Frage käme. Sie sind sich sonderbarer- und segensreicherweise all dieser Dinge nicht bewusst.

SZ: Glauben Sie denn nicht, dass sie Sie hin und wieder googeln?

Swinton: Sie kennen das Wort "google" nicht.

SZ: Sind Sie sicher?

Swinton: Ich weiß es. Sie haben keinen Computer.

SZ: Und ihre Freunde?

Swinton: Haben auch keine Computer.

SZ: Das klingt, als wohnten Sie alle gemeinsam in einem Zeitloch.

Swinton: Aber nein. Meine Kinder besuchen eine Waldorfschule, und keines der Kinder dort hat solche Medien. Es gibt keine Logos. Keine Computer. Kein Fernsehen. Keine Magazine. Einfach: sein lassen! Probieren Sie es; es ist phantastisch.

SZ: Man müsste allerdings erst mal in die nordschottische Walachei ziehen.

Swinton: Zugegeben, es hilft. Aber: Kein Fernsehen, das ist überall machbar. Es läuft doch sowieso nichts. Jedenfalls heutzutage. Als Studentin war ich fernsehsüchtig. Dann kamen die Kinder, und ich habe den Fernseher abgeschafft. Ich weiß noch, was im Steiner-Manual über Kinder steht, die fernsehen: "Es macht sie innerlich apathisch." Darin habe ich mich wiedererkannt. Innerlich apathisch ist ja genau der Zustand, den man als Student so genießt.

SZ: Sind Sie eigentlich so eine Art hypermoderner Hippie?

Swinton: Inwiefern?

SZ: Sie propagieren in Interviews gesellschaftliche Forderungen wie "grenzenlose Freiheit für jeden".

Swinton: Es gibt Konventionen - Respekt vor anderen Menschen, Fairness - die ich sehr befürworte. Oder auch Rituale, die ich für wichtig im Leben halte. Aber ich finde, jeder Mann, jede Frau sollte das wählen, was ihm oder ihr entspricht. Der Gesellschaft Konventionen aufzuerlegen, finde ich falsch. Wir sind alle sterblich und gleichzeitig unsterblich. Wir müssen mit dem arbeiten, was wir haben. Um es kurz zu machen: Ein Hippie bin ich nicht.

SZ: Sie sind eine der ganz wenigen Schauspielerinnen unserer Zeit, die von allen geliebt und respektiert werden: Kritiker, Publikum, Männer und Frauen, Erwachsene und Kinder. . . Gestatten Sie es sich hin und wieder, darüber nachzudenken?

Swinton: Ich gestatte es mir nie, das wäre nicht angemessen. Ich bin mir sicher, dass viele Menschen in diesem Punkt nicht mit Ihnen übereinstimmen. Aber weil ich noch nicht komplett verblödet bin, muss ich anerkennen, dass mehr und mehr Leute meine Arbeit kennen. Ohne nun abschätzig klingen zu wollen: Es war nie der Punkt und nie meine Intention, dass mich viele Leute kennen und lieben. Es ist außerhalb meiner Kontrolle, ich bin nicht mal interessiert an dem Phänomen Kontrolle.

SZ: Dabei geht es in Ihrer Branche doch genau darum: um Kontrolle, das Image.

Swinton: Ich habe nichts zu tun mit einem Image, es ist eine Projektion, die Sache der anderen, ich mache nicht mit. Ich muss nichts über mich lesen. Ich muss keine Fotos von mir sehen, ich muss nicht einmal meine fertigen Filme sehen. Ich bin ein Film-Nerd. Das Filmemachen ist eine ideale Gelegenheit, mit anderen Film-Nerds rumzuhängen, und das ist, neben meiner Familie und meinen Freunden, die große Freude meines Lebens.

SZ: Ist Ihr Leben denn besser als das, was sie sich mit elf erwartet hatten?

Swinton: Mit elf war mein Leben wirklich hart. Meine Erwartungen waren also ziemlich niedrig. Ohne wie eine Masochistin klingen zu wollen, war das wiederum einer meiner großen Vorteile. Wenn der Anfang eines Lebens schrecklich ist, wird das danach immer nur besser.

Das komplette Interview lesen Sie in der SZ am Wochenende vom 23.10.2010.

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