Prozess: Nötigung durch "Bild"?:Eine nackte Kanone gegen Otti Fischer

Ein früherer Journalist von "Bild" vor Gericht: Er soll den Schauspieler Ottfried Fischer genötigt haben. Es geht um ein angebliches Sex-Video und ein Interview. Was ist im Boulevardgeschäft eine "Drohung"?

Nicolas Richter

Sie zeigen ihre Körper, die echten oder unechten Teile davon, sie zeigen ihr Baby, ihre Geliebte, ihr Haus: Etliche Prominente finden es längst normal, im weiteren Sinne auch öffentlich nackt zu sein. Unangenehm wird es aber, wenn sie sich zur Nabelschau gezwungen fühlen.

Prozess: Nötigung durch "Bild"?: Der Prozess um den Schauspieler Ottfried Fischer könnte aufklären, was im heutigen Boulevardgeschäft eine "Drohung" ist.

Der Prozess um den Schauspieler Ottfried Fischer könnte aufklären, was im heutigen Boulevardgeschäft eine "Drohung" ist.

(Foto: Claus Schunk)

Auch für gefeierte TV- und Medienprofis ist es eine furchterregende Vorstellung, nackt auf einer Bühne vorgeführt zu werden, vielleicht noch in einer Situation, die man kompromittierend" nennt, die also meist mit dem Bett zu tun hat. Wer eine solche Bloßstellung verhindern könnte, der ginge womöglich einen Pakt ein, zwar nicht mit dem Teufel, aber doch wenigstens mit der Bild-Zeitung.

Im Herbst 2009 muss sich der TV-Star und Kabarettist Ottfried Fischer sehr nackt gefühlt haben. Erst enthüllte Bild, dass er Streit mit Prostituierten hatte. Als das Private in der Welt war, meldete sich ein Bild-Redakteur auch noch bei Fischers Agentin und teilte offenbar mit, dass es sehr anzügliche, bewegte Bilder von Fischer gebe, gedreht in dessen Wohnung und von eben jenen Frauen.

Der heute 29-jährige Journalist, der inzwischen nicht mehr bei Bild ist, steht von diesem Montag an vor dem Amtsgericht München, angeklagt wegen Nötigung und "Verletzung des höchstpersönlichen Lebensbereichs durch Bildaufnahmen". Der Anklage zufolge sahen sich Fischer und seine Agentin gezwungen, mit ihm zu kooperieren, nur um die - aus ihrer Sicht - drohende Veröffentlichung des Schmuddelfilms abzuwenden. Bislang ist strittig, ob es die Aufnahmen gibt und ob der Journalist überhaupt irgendetwas angedroht hat.

Genau deswegen aber wird es in diesem Strafprozess darum gehen: Ob Journalisten auch dann nötigen können, wenn sie gar kein Übel ankündigen. Weiß der Boulevard so viel aus dem privatesten Leben berühmter Menschen und ist dieses Wissen so gefährlich, dass Blätter wie Bild gar nicht mehr drohen müssen, damit die Stars gehorchen?

Am 17. September 2009 berichtet Bild, Fischer streite sich mit vier Prostituierten um Geld. Die Staatsanwaltschaft ermittele. Woher der Tipp kommt, ist unklar, vielleicht aus der Polizei, vielleicht aus der Unterwelt. In dieser Zeit etwa meldet sich einer der beteiligten Zuhälter beim Autor des Bild-Artikels.

Er gibt sich als Mitarbeiter einer Kreditkartenfirma aus und behauptet, er habe Beweise dafür, dass Fischer Liebesdienste in Anspruch genommen habe (unter anderem ein Video), diese aber nicht bezahlen wolle. Die beiden Männer treffen sich demnach in der Cafeteria des Axel-Springer-Verlags in Berlin. Der Zuhälter hat ausgesagt, er habe das Video zu Geld machen wollen. Der Redakteur habe ihm gesagt, Bild unterhalte eine Art "Pool", aus dem der Film womöglich an Interessenten verkauft werden könne; falls dies gelänge, könne der Mann 50.000 bis 100.000 Euro bekommen.

Am 13. Oktober 2009 dann meldet sich der Bild-Redakteur offenbar bei Fischers Agentin. Ihrer Aussage zufolge beschreibt der Journalist den Filminhalt und sagt, die Sache sei für Bild zu heiß. Die Agentin bietet dem Reporter nach Rücksprache mit Fischer einen Deal an: Er bekomme ein Exklusiv-Interview mit dem Schauspieler, sofern der Film dann "stecken gelassen" werde. Auf die Frage, ob der Redakteur von sich aus etwas gefordert habe, sagt die Agentin bei ihrer Vernehmung, er habe keine Forderungen gestellt. Aber sie habe vermutet, dass er nicht grundlos anrief, sondern eine Verhandlungsbasis schaffen wollte.

Schwieriges Verhältnis

Das Verhältnis zwischen Bild und Fischer gilt damals im Herbst als schwierig. Der Schauspieler redet mit dem Blatt nicht sehr gern, erst recht, seit es ihn in dieser Affäre bloßgestellt hat. Ein Exklusiv-Interview wäre da ein weiterer Scoop für Bild, weniger einer für Fischer. Seine Agentin aber rät ihm, sich darauf einzulassen. Sie wolle den schlimmen Streifen unbedingt vom Markt bekommen. Falls davon nämlich etwas veröffentlicht würde, in einer Zeitung oder als bewegtes Bild, so wäre Fischers Karriere schwer beschädigt, vermutet sie. Er verlöre seinen Werbevertrag und seine Rolle als bibelfester Pfarrer Braun im Ersten. Mit Bild zu reden wäre da das kleinere Übel, so hat es Fischer offenbar verstanden.

Die Agentin - sie gilt durchaus als erfahren - hat später ausgesagt, es laufe bei diversen Blättern immer gleich. Man bekomme einen Anruf, werde vor irgendwelche Tatsachen gestellt und es bleibe zunächst mal offen, was dann passiere. Man kann das eben als Drohung begreifen oder als Chance. Fischers Agentin findet jedenfalls, man müsse auf die Presse zugehen und etwas anbieten, das für beide Seiten positiv sei. Den von ihr angeregten Deal habe der Bild-Redakteur schließlich so zusammengefasst: Er bekomme das Interview und der Film verschwinde dafür im Giftschrank.

Das Muster, das die Agentin beschreibt, ist tatsächlich sehr vertraut. Anfang des Jahres wurde bekannt, dass Mitarbeiter einer Agentur, die oft für bunte Blätter arbeitete, mit detektivischem Aufwand Prominente beobachtet hatten. Es kam gar nicht so sehr darauf an, im Gebüsch verwackelte Fotos zu schießen und diese zu drucken. Den Prominenten sollte nachgewiesen werden, dass sie mit irgendwem eine bisher nicht öffentlich bekannte Beziehung führten. Wenn die Prominenten dies schließlich bestätigten, ließen sich rührende Geschichten daraus machen, in denen die Liebe und ihre Segnungen besungen wurden.

Fischer ließ sich also zu dem Exklusiv-Interview mit Bild überreden. Es erschien knapp eine Woche später unter dem Titel: "Die Huren nutzten meine Krankheit aus!" Beobachter fanden es seltsam, dass der Schauspieler plötzlich so offenherzig mit dem Blatt plauderte, das ihn wenige Wochen zuvor erst mit der Nuttengeschichte vorgeführt hatte.

Im Fernsehen hat ihn ARD-Talkmaster Reinhold Beckmann sogar auf diesen Widerspruch aufmerksam gemacht. Fischer antwortete: "Ich muss aber doch da ansetzen, wo's auch gehört und gelesen wird, und ich habe beschlossen, mich mit der Bild-Zeitung zu vertragen." Dass er sich offenbar nicht ganz freiwillig "vertragen" hatte, sagte er natürlich nicht.

Strafrechtlich gesehen wäre dies eine Nötigung, wenn der Bild-Redakteur Fischer durch Drohung mit einem empfindlichen Übel zu etwas gezwungen hätte. Umstritten ist allerdings schon die Frage, ob es überhaupt ein Übel gab. Den ominösen Schmutzfilm jedenfalls hat die Staatsanwaltschaft bislang nicht finden können. Sie hat eine Wohnung des Journalisten durchsuchen lassen, aus der er aber soeben ausgezogen war.

Eine Durchsuchung von "Giftschränken" in der Bild-Redaktion ist unterblieben. Sie wäre juristisch und politisch sehr heikel gewesen, erst recht nach dem Cicero-Urteil des Bundesverfassungsgerichts, das Redaktionsräume unter besonderen Schutz gestellt hatte. Der angeklagte Redakteur selbst hat bisher zur Sache geschwiegen, der Axel-Springer-Verlag entgegnet auf Fragen nach dem Film, es handele sich um Redaktionsinterna, zu denen man grundsätzlich keine Auskunft gebe.

Kein Medium hätte die Bettszene veröffentlichen dürfen

Es gibt zumindest einen Hinweis darauf, dass der Axel-Springer-Verlag für den Film tatsächlich Geld bezahlt hat. Denn der Zuhälter, der in die Cafeteria kam, erhielt einige Zeit später 3500 Euro überwiesen, der Buchungstext lautete "Bild 170909 Infohon Otti Fischer". Bei strenger Lesart wäre dies ein Honorar für Informationen, die in den ersten Artikel über Fischer und die Prostituierten eingeflossen wären. Womöglich aber war dieser Buchungstext irreführend.

Der Zuhälter hat ausgesagt, das Geld sei ein Honorar inklusive Auslagenpauschale dafür gewesen, dass er einen Kontakt zwischen Bild und einer der Prostituierten hergestellt habe; für den Film habe er dagegen nichts erhalten. Die Staatsanwaltschaft erwähnt diese Unklarheit in der Anklage nicht und erweckt den Eindruck, Bild habe ohne jeden Zweifel für den Schmuddelfilm gezahlt.

Was aber hätte überhaupt mit den Bildern eines Films passieren können? Kein deutsches Medium hätte die Bettszenen je veröffentlichen dürfen. Jeder verantwortliche Redakteur, ob bei einer Zeitung oder einem Fernsehsender, hätte sich strafbar gemacht. Insoweit war das Material, rein journalistisch gesehen, wertlos.

Warum war Fischers Agentin gleichwohl so entgegenkommend? Fürchtete sie, dass der Film im Internet landet? Oder hat sie dem Bild-Redakteur zu schnell nachgegeben? Nach eigener Aussage kannte sie den Journalisten längere Zeit. Hätte sie nicht warten müssen, ob der tatsächlich damit droht, den Film zu veröffentlichen oder zu verkaufen? Oder eilt dem Boulevard inzwischen ein so übler Ruf voraus, dass er auch vorauseilenden Gehorsam erzwingt?

Der Münchner Strafprozess könnte jetzt richtungsweisende Antworten darauf geben, was im heutigen Boulevardgeschäft eine "Drohung" ist. Was passiert, wenn die Agentin im Zeugenstand bekräftigt, dass der Redakteur bloß mitgeteilt habe, einen Film zu besitzen? Das sei unwichtig, sagt Rechtsanwalt Steffen Ufer, der den Nebenkläger Ottfried Fischer vertritt: "Die Nötigung ist schon immanent, wenn ich einen solchen Schmuddelfilm erwerbe. Was kann ich sonst damit wollen, als jemanden unter Druck zu setzen?"

Der Verteidiger des Journalisten, Spyros Aroukatos, hat die Justiz hingegen darauf hingewiesen, dass sein Mandant womöglich nur seiner Sorgfaltspflicht nachgekommen sei. Jeder Journalist, der ehrenrührige Tatsachen über einen anderen verbreiten will, muss diesem Gelegenheit zur Stellungnahme geben. In dieser seriösen Variante fragt man sich aber, was das Ziel dieser Konfrontierung gewesen sein soll? Bild hatte Fischer Ärger mit den Prostituierten doch längst enthüllt. Journalistisch hätte allenfalls noch die Frage Sinn ergeben, ob Fischer mit dem Film erpresst werde. Diese Frage wurde aber laut Aussage der Agentin gar nicht gestellt.

Wie immer, wenn die Justiz gegen Journalisten vorgeht, beklagen die Journalisten eine Gefahr für Informantenschutz und Pressefreiheit. Der Axel-Springer-Verlag nennt es auf Anfrage "einen schweren Eingriff in das Redaktionsgeheimnis", dass die Staatsanwaltschaft München seine Kontobewegungen über acht Monate habe ausforschen wollen, obwohl der Verlag weder Beschuldigter noch Zeuge sei. Quellenschutz sei unter diesen Gegebenheiten faktisch nicht mehr möglich. Tatsächlich können sich die Ermittler bei so einer Gelegenheit einen guten Überblick darüber verschaffen, wer alles eine Zeitung informiert und dafür Honorare kassiert - womöglich sogar in den Reihen von Polizei und Justiz.

Der Verteidiger des früheren Bild-Mannes hat überdies Beschwerde eingelegt gegen die Durchsuchung der Wohnung. Sämtliche Handlungen seines Mandanten seien geschützt durch die im Grundgesetz verankerte Pressefreiheit. Ende September hat das Münchner Landgericht darauf knapp und ziemlich kühl geantwortet: Die Pressefreiheit sei hier keineswegs tangiert. Auch ein Reporter dürfe sich nicht an Straftaten beteiligen.

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