Schalke-Gegner Tel Aviv:Vincent Enyeama - wenn Gott die Bälle fängt

Bei der WM in Südafrika war Nigerias Torwart vorübergehend ein Held. Jetzt sucht er einen neuen Verein in Europa - und sogar die Bundesliga interessiert sich für den Torwart aus Afrika.

Thomas Hummel

Andreas Müller ist Spielerberater und hat gerade einen Torwart im Angebot, spätestens am Ende der Saison will er ihn in einer der großen Ligen Europas unterbringen. Das ist nicht leicht heutzutage, man denkt an Michael Rensing, Timo Hildebrand, Markus Pröll. Und der Angestellte der Agentur KickUnit hat das Handicap, dass sein Klient nicht gerade aus einem bekannten Torwartland kommt. Nicht einmal von einem Torwart-Kontinent. Sondern aus Afrika.

Schalke-Gegner Tel Aviv: Hatte in Südafrika viele spektakuläre Szenen, leistete sich aber gegen Griechenland einen folgenschweren Lapsus: Vincent Enyeama, noch Torwart von Hapoel Tel Aviv.

Hatte in Südafrika viele spektakuläre Szenen, leistete sich aber gegen Griechenland einen folgenschweren Lapsus: Vincent Enyeama, noch Torwart von Hapoel Tel Aviv.

(Foto: ap)

Dennoch regten sich nun tatsächlich zwei Vereine aus der deutschen Bundesliga. "Da war ich schon ein wenig überrascht", gibt Andreas Müller zu. Welche Klubs das sind, will er wie in diesem Geschäft üblich nicht sagen. Die deutsche Bundesliga, Kaderschmiede für die besten Torhüter der Welt, ist interessiert an einem afrikanischen Ballfänger? Das kommt der Meldung gleich: "Brasilianische Sambagruppen suchen Nachwuchs in Oldenburg." Doch weil sich in dieser globalisierten Welt irgendwann alle liebgewonnenen Klischees erledigen, wird wohl auch das bald eintreten. Jedenfalls muss sich das deutsche Torwartland nicht grämen, sollte Andreas Müller das Geschäft wirklich einfädeln. Denn sein Klient heißt Vincent Enyeama.

Enyeama, 28-jähriger Nationaltorwart von Nigeria, spielt derzeit für Hapoel Tel Aviv und wird am Dienstagabend (20.45 Uhr) zum zweiten Mal binnen 14 Tagen gegen den FC Schalke 04 in der Champions League antreten. Vor zwei Wochen beim 1:3 in Gelsenkirchen hielt Enyeama zwei, drei schwierige Bälle, doch weil am Ende alle über Raúl und die angeblich erlösten Schalker sprachen, gab es für ihn nichts zu danken und nichts zu preisen. Er verließ leise und fast unbeachtet das Stadion. Ganz anders als bei der Weltmeisterschaft in Südafrika.

Dort verlor er auch. Mit Nigeria 0:1 im ersten Gruppenspiel gegen Argentinien - doch Vincent Enyeama war danach ein Held. Enyeama hatte an diesem kühlen Juni-Nachmittag den damals anerkannt besten Fußballer der Welt verzweifeln lassen. Lionel Messi hatte geschossen, gezirkelt, es mit Gewalt versucht, doch Enyeama hielt alles. Nur der Verteidiger Gabriel Heinze überwand ihn mit einem Kopfball in den Winkel. "Der Keeper war phänomenal", lobte Messi hinterher. Vielleicht war Enyeama der Ursprung für die enttäuschenden Leistungen des Dribbel-Flohs in Südafrika.

Trotz der Niederlage wurde Enyeama im Ellis Park zu Johannesburg danach zum "Man of the match" - zum Mann des Spiels - gewählt. Und so folgte den aufsehenerregenden Paraden ein bemerkenswerter Auftritt vor den Mikrofonen. In denen wurde klar, dass nicht Enyeama der Held des Tages war, sondern sein Helfer von ganz oben.

Ein verhängnisvoller Fernschuss

"Das war heute einzig und allein Gott. Gott ist mein Geheimnis", sagte er und seine Augen leuchteten dabei in den Raum, als wollte er ganz Afrika damit erleuchten, "das kann mir niemand mehr nehmen, das war das beste Spiel in meiner Karriere, gegen den besten Spieler der Welt." Er dankte Gott, dass er ihm geholfen habe, Messis Schüsse zu halten. Es war vielleicht der Moment des reinsten Glücks bei dieser WM.

Für Enyeama und seine junge Familie (er hat drei Kinder im Alter von eins bis drei) kündigte sich an diesem Tag auch eine Zukunft des Glücks an. Zumindest eine Zukunft mit sehr viel mehr Geld. Sein Berater Müller erzählt, dass er in Tel Aviv bezahlt wird "wie ein besserer Regionalliga-Spieler in Deutschland", seine Mitspieler bekämen zehnmal mehr. Importe aus Afrika müssten in Israel zu Beginn mit kleinen Gehältern vorlieb nehmen, und der Vertrag aus dem Jahr 2007 sieht mit Prämien nicht mehr als 100.000 Euro im Jahr vor. "Das ist lächerlich für einen Spieler mit seinen Qualitäten", findet Müller.

Es könnte schon heute mehr sein, wenn ein paar Tage später nicht dieser griechische Fernschuss gewesen wäre. Zuvor hatte er wieder phantastisch gehalten, doch dann ließ er diesen krummen Jabulani-Weitschuss aus den Armen gleiten und Torosidis staubte zum 2:1 für die Griechen ab. Müller stand zu diesem Zeitpunkt in aussichtsreichen Gesprächen mit Galatasaray Istanbul, "doch eine Stunde nach dem Spiel bekam ich einen Anruf, dass der Klub von weiteren Verhandlungen Abstand nimmt", erzählt Müller. Deshalb spielt Enyeama immer noch für kleines Geld in Israel. Aber immerhin in der Champions League.

Der Torwart hat entscheidend mitgewirkt, dass er und seine Mitspieler im größten Fußball-Schaufenster der Welt stehen. In den Play-offs gegen Red Bull Salzburg verwandelte er selbst wie gewohnt sicher einen Elfmeter. Nachdem ihn sein Trainer beim nigerianischen Top-Klub FC Enyimba zu Beginn seiner Karriere immer vor dem Elfmeterschießen auswechselte, hat Enyeama fleißig am Strafstoßritual gefeilt. Heute gilt er als Spezialist für Elfmeter-Abwehren wie Elfmeter-Verwandeln.

Bislang hat sich das in der Gruppe B der Champions League aber noch nicht ausgewirkt. In drei Spielen gegen Lissabon, Lyon und Schalke gab es drei Niederlagen. Wenn es so weiter geht, hat Vincent Enyeama noch drei internationale Partien Zeit, sich in der europäischen Fußballwelt einen neuen Vertrag zu erspielen (in Tel Aviv endet sein Kontrakt).

Vielleicht darf die Bundesliga ja dann einen Torwart aus dem Torwart-Exotenkontinent Afrika begrüßen. Enyeama hätte sicher bessere Aussichten als der letzte vergleichbare Vertreter aus einem Torwart-Exotenland: 1974 verpflichtete der TSV 1860 München den Haitianer Henri Françillon. Er hatte bei der WM die Italiener fast verzweifeln lassen. Seine Zweitliga-Premiere feierte er im Schnee, nach fünf Spielen war Schluss mit der Karriere in Deutschland. Aber das war lange vor der Globalisierung.

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