Atompolitik:Der Castor: die rollende Ratlosigkeit

Der Widerstand von Gorleben ist zu einer Volksbewegung von Hausfrauen, Lehrern und Bauern geworden. Doch wenn die Gewalt den Protest überschattet, ist das ein Fiasko. So kann die Atompolitik von ihrer Ratlosigkeit ablenken.

Heribert Prantl

Der Castor ist ein Ungetüm, eine große Kiste zum Transport von radioaktivem Müll, an die sechs Meter lang und 120 Tonnen schwer. Vor allem aber ist der Castor ein Symbol für das ungelöste Kernproblem der deutschen Energiewirtschaft. Es ist nämlich nicht damit getan, das Zeug in einen Panzer aus Sphäroguss zu sperren, auf die Bahn zu verladen und nach Gorleben zu verfrachten. Der Atommüll muss sicher entsorgt werden - und dafür gibt es noch immer kein Konzept.

Proteste gegen Castor-Transport

Proteste gegen Castor: Die Gewalt auf und neben den Gleisen verwandelt eine so wichtige energiepolitische Debatte in eine Diskussion über innere Sicherheit.

(Foto: dapd)

Der Castor ist kein Konzept; er ist die rollende Ratlosigkeit. Daher waren und sind die ewigen Proteste gegen den Castor so wichtig: Sie haben dafür gesorgt, dass das Bewusstsein für das größte Problem der Atom- und Energiewirtschaft wach bleibt. Das ist das Verdienst des Widerstands von Gorleben, der zu einer Volksbewegung geworden ist, getragen von Hausfrauen, Pfarrern, Lehrern und Bauern. Und es ist ein Fiasko für diesen friedlichen Protest, wenn er von Gewalttätern diskreditiert wird. Solche Gewalt erlaubt es nämlich einer verbohrten Atompolitik, sich als Hüter von Recht und Ordnung zu stilisieren und von der empörten und neu erwachten Massenkritik an der rollenden Ratlosigkeit der Atompolitik abzulenken.

Gewalt sei nichts anderes als Vernunft, die verzweifelt: Dieser Satz stammt vom spanischen Philosophen Ortega y Gasset. Aber als Entschuldigung für die Atom-Gewalttäter ist dieser Satz unbrauchbar und als Erklärung für die Anschläge auf den Schienenverkehr untauglich. Wer ein Gleisbett zerstört, ist genauso ein Straftäter wie der, der den Bahnverkehr mit Wurfankern sabotiert oder Gleise zersägt, wie das in früheren Jahren geschah. Wer so etwas tut, ist nicht verzweifelt, sondern gefährlich und dumm.

Die Gefährlichkeit solcher Störer ist offenkundig. Ihre Dummheit ergibt sich daraus, dass sie ihrem angeblichen oder echten Anliegen nur schaden. Ihre Anschläge erschlagen die seriösen und berechtigten Argumente der Atomgegner, sie lenken ab von einem berechtigt harten und engagierten, aber friedlichen Protest gegen eine verkorkste Energiepolitik. Gewalt verwandelt eine so wichtige energiepolitische Debatte in eine Diskussion über innere Sicherheit.

Unmögliche Aufgabe für Polizei

Wer sich nur auf die Straße oder die Schiene setzt, macht sich nicht strafbar. Das steht seit dem 10. Januar 1995 unverrückbar fest, als das Bundesverfassungsgericht im Zusammenhang mit den Demonstrationen gegen die Nachrüstung beschloss: Sitzblockaden sind keine Gewalt, und können nicht als Nötigung bestraft werden. Karlsruhe hat es verboten, den friedlichen Widerstand mit Gewalttätern in einen Topf zu werfen.

Von der Polizei wird schier Unmögliches verlangt: Sie soll erstens einen gefährlichen Transport und zweitens das Demonstrationsgrundrecht sichern. Das gelingt ihr beinah. Völlig unmöglich aber ist ein Drittes: Selbst die fünffache Zahl von Polizisten könnte es nicht leisten, die Demonstranten von der Atompolitik der Bundesregierung zu überzeugen.

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