Homeschooling:Schule? Stört nur beim Lernen!

In den USA organisieren viele Familien den Unterricht selbst - dieser Bewegung folgen nicht nur religiöse Fanatiker. Zweifel an der Qualität der staatlichen Schulen machen Eltern zu Lehrern ihrer Kinder.

Josefine Köhn

Zwei Mal im Jahr ist das Wohnzimmer von Bärbel Haynes voller als selbst das überfüllteste Klassenzimmer in den USA. Dann erzählt der Archäologie-Professor Geoffrey Purcell von seinen Abenteuern in fernen Ländern. Danach gehen die Kinder nach draußen, um im Garten der überzeugten "Homeschoolerin" in einer nachgeahmten Ausgrabungsstelle nach archäologischen Schätzen zu buddeln. "Homeschooling" - das bedeutet, seine Kinder selbst daheim zu unterrichten, statt sie in eine öffentliche Schule zu schicken. In den USA ist das erlaubt, und viele Eltern, unter ihnen nicht nur Anhänger religiöser Sekten, nutzen dieses Recht.

Uwe Romeike, Hannelore Romeike, Daniel Romeike, Lydia Romeike, Josua Romeike, Christian Romeike, Damaris Romeike

Lernen ohne nervende Mitschüler: Homeschooling erfreut sich in den USA großer Beliebtheit. Familien entscheiden sich nicht nur aus religiösen Gründen - wie die deutsche Familie Romeike in den USA (im Bild) - dazu, ihre Kinder selbst zu unterrichen.

(Foto: AP)

Die archäologischen Ausgrabungen, die die vierfache Mutter Haynes seit fünf Jahren organisiert, sind einer der Höhepunkte im Schuljahr der Homeschooling-Gemeinschaft im Hudson Valley im Staate New York. In den Gruppen dieser privaten Bildungsbewegung, die sich zunehmend auch im Internet organisieren, sind allein im näheren Umkreis zur Familie Haynes etwa 2000 Familien gelistet. In einer Studie des US-Bildungsministeriums wird die Zahl der Schüler, die zu Hause unterrichtet werden, in den USA auf 1,5 Millionen geschätzt. Andere Quellen beziffern die Zahl der "Homeschooler" auf 900.000 bis zu zwei Millionen.

Die große Differenz zwischen den Werten hängt auch davon ab, von wem die Daten stammen - den Befürwortern oder den Gegnern des Homeschoolings. Dazu kommt, dass viele Familien, die sich dazu entschließen, ihre Kinder zu Hause zu unterrichten, dies gar nicht offiziell angeben oder angeben müssen.

Von Bundesstaat zu Bundesstaat sind die Regelungen dazu verschieden. Während in Washington ein kurzer Brief an die Schule genügt, in dem erklärt wird, dass das Kind in diesem Schuljahr nicht die Schule besuchen wird, fordert New York einen jährlichen Bericht, in dem die Fortschritte der Schüler und das verwendete Lehrmaterial dokumentiert werden müssen. Wie der Unterricht aussieht, bleibt allerdings den Eltern überlassen.

Einige geben für den Hausunterricht fast so viel aus wie für eine Privatschule. Bärbel Haynes hingegen, die vor der Geburt ihrer vier Kinder als Kindergärtnerin arbeitete, hat vor allem am Anfang vieles selbst gemacht. Später nutzte sie dann fertige Materialien, die von Unis angeboten werden, aber auch von christlichen Organisationen. "Die Entscheidung hängt von den Interessen des Kindes und der Familie ab", sagt die 49-Jährige.

Es gibt zahlreiche Textbücher, CDs und jede Menge Dokumente im Internet. "Wenn die Kinder älter sind, können sie mit dem Material selbst arbeiten." So machen es ihre älteren Söhne: Was ihnen an den Programmen gefällt, ist die Möglichkeit, sich die Zeit frei einzuteilen, sagt der 16-jährige Alexander, der gerade an einem mehrwöchigen "Multimedia-Workshop" teilgenommen hat. Mehrere Mütter organisieren auch gemeinsam Kurse, bei denen die Kinder etwa Experimente machen oder Shakespeare-Stücke einüben.

Angst vor gewalttätigen Mitschülern

Unterrichtet wird von möglichst qualifizierten Eltern oder Lehrern, die den "Homeschoolern" häufig eine Art Gruppen-Discount geben. Und man hilft sich, bietet Mathe-Nachhilfe gegen Kunststunden an oder auch mal gegen ein paar Stunden Babysitten. "Das Wichtigste ist ein gutes Netzwerk", sagt Haynes. Wenn man sich und die Kinder abschirme, wie es leider viele religiöse Familien tun würden, sei es nur natürlich, dass die Kinder irgendwann den Eltern Vorwürfe machen.

Ein Drittel der Eltern geben einer Umfrage zufolge die "religiöse und moralische Erziehung" als Hauptgrund für eine Entscheidung zum privaten Unterricht an. Dennoch sind es nicht nur religiöse Fanatiker, die es vorziehen, ihre Kinder lieber zu Hause zu unterrichten. Die Gewalt an vielen öffentlichen Schulen, der befürchtete negative Einfluss durch Drogen und Gruppenzwang macht auch gemäßigte Christen und säkulare Amerikaner zu Anhängern des Homeschooling.

Als die sechsjährige Tochter ihr einmal nach der Schule stolz und voller Unschuld anzügliche Tanzbewegungen zeigte, hatte beispielsweise Chris Cullen genug von der regulären Schule. In dem Schuldistrikt hatte außerdem ein 13-Jähriger einen anderen Jungen erstochen. Nach dem Vorfall wurden alle Schulen des Bezirks für ein paar Tage geschlossen. Wer sich in einem solchen Fall keine Privatschule leisten kann, unterrichtet lieber zu Hause - manche auf Dauer. Viele Eltern sind auch mit dem Leistungsniveau öffentlicher Schulen unzufrieden.

"Während einer 45-minütigen Schulstunde lernen die Kinder doch in Wirklichkeit nur etwa fünf Minuten lang", glaubt Haynes. Ihre beiden älteren Söhne Gabriel und Andreas stimmen ihr zu. Einer erzählt, in der öffentlichen Schule hätten die Mitschüler sich überhaupt nicht auf den Unterricht konzentriert: "Die Schule war fürs Lernen einfach störend." Die Brüder hatten ein Jahr lang die öffentliche Highschool besucht. Doch das ging nicht lange gut: "Beide wollten nach dem Jahr wieder zu Hause unterrichtet werden", sagt Haynes.

Auch Eltern von behinderten Kindern entschließen sich in den USA oft dazu, die Schulbildung selbst in die Hand zu nehmen. Das ist freilich keine einfache Aufgabe, zumal es meist bedeutet, dass mindestens ein Elternteil nicht oder kaum berufstätig sein kann. Kritiker des Homeschooling halten viele Eltern für heillos überfordert mit den vielen fachlichen Anforderungen, die eine gute Ausbildung stellt. Und sie haben auch die Sorge, dass Eltern den Horizont ihrer Kinder zu sehr einengen - die Indoktrination in religiösen Sekten ist für sie nur das extreme, abschreckendste Beispiel.

Doch viele amerikanische Eltern lassen sich davon nicht beirren. Auch die Eltern der 13-jährigen Bethany, die mit einem Down-Syndrom geboren wurde, bereuen ihre Entscheidung nicht, das Kind selbst zu unterrichten: "Im Gegensatz zur Tochter einer befreundeten Familie, die aus der Schule genommen werden musste, weil ihre Klassenkameraden sie zu sehr verspotteten, hat Bethany ein gesundes Selbstvertrauen." Neben dem Unterricht zu Hause nimmt Bethany aber auch an staatlichen Förderprogrammen teil, sie reitet und macht bei den Pfadfindern mit. "Im Idealfall werden beim Homeschooling Leben und Lernen eins", sagt Bärbel Haynes. Was daran schlecht sein soll, könne sie nicht verstehen.

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