Oracle sucht Leo Apotheker:Der verschwundene Zeuge

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Wo steckt Leo Apotheker? Der Softwarehersteller Oracle würde den früheren SAP-Chef und jetzigen HP-Boss gerne in den Gerichtssaal zerren - und lässt Detektive nach dem deutschen Top-Manager suchen.

Varinia Bernau

In Auckland könnte er sein, in Genf oder in Singapur. In allen drei Städten gibt es, wie in vielen weiteren, Niederlassungen von Hewlett-Packard (HP). Und Leo Apotheker, der den größten Computerhersteller seit kurzem führt, hat angekündigt, die ersten Wochen, wenn nicht sogar Monate damit zu verbringen, Angestellte und Kunden auf der ganzen Welt kennenzulernen. So sucht der Softwarekonzern Oracle nun also per Privatdetektiv nach dem 57-Jährigen.

Leo Apotheker steckt gerade irgendwo - aber jedenfalls nicht dort, wo es Oracle gerne hätte. (Foto: dpa)

Acht Jahre nämlich saß Apotheker, der in Aachen geboren wurde und in Antwerpen aufwuchs, auch im Vorstand von SAP - just zu jener Zeit, als der Konzern den amerikanischen Dienstleister TomorrowNow kaufte, um Oracle unzufriedene Kunden mit günstigen Wartungsdiensten abspenstig zu machen. Mit Rabatten pries SAP die eigene Software. Erfolgreich, wie Apotheker später sagte.

Als wenig erfolgreich erwies sich hingegen der Eifer einiger Mitarbeiter von TomorrowNow, die sich immer wieder unerlaubt Zugang zu einer Kundenbetreuungs-Website von Oracle verschafften und dort Daten herunterluden. Oracle wertete dies als Spionage im großen Stil und zerrte SAP 2007 vor Gericht. TomorrowNow, die amerikanische Tochter, die dem deutschen Mutterkonzern nie Geld einbrachte, ist inzwischen liquidiert. Nach anfänglichen Dementi hat SAP den Diebstahl zugegeben.

Doch in der Frage, wie viel Schadensersatz Oracle dafür zusteht, liegen die Kontrahenten weit auseinander. Ein Anwalt von SAP nannte kürzlich die Summe von 40 Millionen Dollar, das Vierfache hat der Softwarekonzern sicherheitshalber zur Seite gelegt - und das Hundertfache hat nun Oracle-Chef Larry Ellison gefordert, als er am Montag als Zeuge in dem sich seit drei Jahren hinziehenden Prozess aussagte. Vier Milliarden Dollar, betonte er, hätte SAP für die Lizenzen der Oracle-Software zahlen müssen.

Doch es geht um weit mehr als den Wert von gestohlener Software: In dem Gerichtssaal im kalifornischen Oakland werden derzeit die persönlichen Rivalitäten einiger schillernder IT-Manager ausgetragen. Und diese sind um so schärfer geworden, je stärker sich die von ihnen geführten Konzerne in ihrem Expansionsstreben ins Gehege kamen. Erst kürzlich hat Oracle, der Anbieter von Unternehmenssoftware, damit begonnen, sein Geschäftsfeld zu erweitern - und ist mit der Übernahme von Sun Microsystems, einem Hersteller von Großcomputern und Firmenrechnern, ins Revier von HP vorgedrungen.

Dem Wettbewerb um Kunden folgte ein solcher um Spitzenmanager. In seiner Dramaturgie stand dieser einer Seifenoper in nichts nach: In diesem Sommer kam ans Licht, dass HP-Chef Mark Hurd Aufträge an eine Dame vergeben hatte, die ihr Geld vor allem in Filmen verdiente, zu denen Minderjährigen der Zutritt verwehrt wird. Um dies zu verheimlichen, fälschte Hurd gleich noch die Spesenabrechnungen für die gemeinsamen Geschäftsessen.

Der Aufsichtsrat setzte den Konzernchef vor die Tür - und wurde für so viel Dämlichkeit von Oracle-Chef Larry Ellison öffentlich gescholten. Weil er sich natürlich für klüger hält, holte der 66-Jährige Hurd selbst an Bord und provozierte damit eine Klage wegen Geheimnisverrats. HP ließ diese letztlich fallen, präsentierte Anfang Oktober Apotheker als neuen Konzernchef und erntete erneut Ellisons Spott über die vermeintlich verfehlte Personalentscheidung.

Ersetze "erfinden" durch "stehlen"

So erscheint es zumindest nicht ganz unglaubwürdig, wie HP die jüngsten Entwicklungen in dem Spionageprozess deutet: Oracle habe sich in letzter Minute entschieden, Apotheker vorzuladen, um diesen zu schikanieren und im Streit mit SAP medienwirksam auch gegen HP zu keilen.

Der Konzern mit Sitz im kalifornischen Palo Alto weigerte sich, die an Apotheker gerichtete Vorladung entgegenzunehmen. Und Oracle-Chef Ellison mutmaßt, HP-Aufsichtsratschef Ray Lane werde Apotheker "weit, weit weg vom Gerichtssaal halten, bis dieser Prozess vorüber ist." Für Lane, der bereits Position für Apotheker bezogen hat, hielt der für seine bitterbösen Scherze gefürchtete Manager gleich noch einen Ratschlag bereit: HP könne in seinem Slogan das Wörtchen "erfinden" gleich durch "stehlen" ersetzen.

Selbst wenn Apotheker nicht im Gerichtssaal erscheint, ist Oracle gerüstet: Es gibt eine auf Video aufgezeichnete eidesstattliche Erklärung des einstigen SAP-Chefs von 2008. Darauf will Oracles Anwalt David Boies notfalls zurückgreifen. Vor mehr als zehn Jahren hat der profilierte Anwalt in einem kartellrechtlichen Verfahren gegen Microsoft bereits bewiesen, dass er damit umgehen kann: Damals gelang es ihm, die Glaubwürdigkeit von Microsoft-Chef Bill Gates infrage zu stellen.

© SZ vom 10.11.2010 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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