Prozess gegen Verena Becker:Taumeln durch die Erinnerung

War die Person, die 1977 auf seinen Vater schoss, eine Frau? Michael Buback ist sich dessen sicher - die vielen Zeugen im Prozess gegen die Ex-Terroristin Verena Becker können es indes nicht belegen.

Wolfgang Janisch

Natürlich ist es für eine Prognose zu früh, denn der verspätete RAF-Prozess gegen Verena Becker läuft erst seit gut einem Monat. Bisher kamen vornehmlich zufällige Beobachter zu Wort, die am Tatort in Karlsruhe gewesen waren, als am Gründonnerstag des Jahres 1977 Generalbundesanwalt Siegfried Buback und seine beiden Begleiter erschossen wurden.

Prozess gegen Verena Becker: Seit dem 30. September steht Verena Becker in Stuttgart-Stammheim vor Gericht. Michael Buback, Nebenkläger und Sohn des RAF-Opfers Siegfried Buback, ist sich sicher: Eine Frau hat auf seinen Vater geschossen, wahrscheinlich Verena Becker.

Seit dem 30. September steht Verena Becker in Stuttgart-Stammheim vor Gericht. Michael Buback, Nebenkläger und Sohn des RAF-Opfers Siegfried Buback, ist sich sicher: Eine Frau hat auf seinen Vater geschossen, wahrscheinlich Verena Becker. 

(Foto: AFP)

Also jene Zeugen, die etwas zur These von Michael Buback sagen könnten, vom Sozius der schweren Suzuki habe eine Frau in den Dienstwagen seines Vaters gefeuert, wahrscheinlich Verena Becker. Das hat bisher allerdings fast niemand bestätigen können. Der Göttinger Chemieprofessor, der in dem Prozess als Nebenkläger auftritt, kann in dieser Hinsicht wenig auf der Habenseite verbuchen. An diesem Donnerstag tritt nun, wenn man so will, seine "Kronzeugin" auf: Eine Frau, nach deren Angaben die Person auf dem Sozius deutlich kleiner als der Fahrer und höchstwahrscheinlich eine Frau gewesen sei.

Wie man in Bubacks Buch nachlesen kann, zeichnet sich die Frau - er nennt sie die "Augenzeugin des Attentats" - zumindest durch eine gewisse Entschiedenheit aus, die vielen Zeugen bisher fehlte. Denn so sehr sich der Strafsenat des Oberlandesgerichts (OLG) Stuttgart im Stammheimer Gerichtssaal abmüht, jede Beweismöglichkeit auszuloten: Der Prozess ist auch eine Lehrstunde über die Schwächen des menschlichen Gedächtnisses.

Eine heute 58-jährige Frau hatte den Anschlag seinerzeit aus 50 Metern Entfernung vom Bürofenster aus beobachtet und den Beamten eine äußerst detaillierte Aussage geliefert: Wie der Beifahrer des Motorrads einen rohrähnlichen Gegenstand aus einer Tasche nahm, ihn auf dem linken Unterarm anlegte und dann zuerst hinten, dann vorne in den Dienstmercedes des Generalbundesanwalts feuerte. Davon fiel ihr dieser Tage in einer quälend langen Befragung fast nichts mehr ein. Nur erinnerte sie sich am Ende plötzlich an ein Detail, über das bisher weder sie noch sonst wer berichtet hatte: dass das Motorrad vor dem Anschlag mehrmals vor ihrem Fenster auf und ab gefahren sei.

Kaum Belege für Bubacks These

So taumeln die Zeugen durch die Schatten ihrer Erinnerung: Ein 66-jähriger Kaufmann aus Rheinzabern weiß nichts mehr von dem Mündungsfeuer, das er damals gesehen hatte, meint sich aber noch genau zu erinnern, welcher Kollege damals neben ihm im Firmenauto gesessen habe. Doch auch hier trügt das Gedächtnis, es war nicht Palmer, es war Weber. Ein 56 Jahre alter Versicherungskaufmann hat noch das Bild des toten Generalbundesanwalts auf dem Seitenstreifen vor Augen, misstraut sich aber selbst: "Vielleicht habe ich das auch im Fernsehen gesehen."

Wenig verwunderlich also, dass bereits ein zentraler Baustein aus Bubacks Beweisgebäude herausgebrochen ist. Immer wieder hatte Buback auf den Arbeiter aus dem damaligen Jugoslawien hingewiesen, dessen Auto neben dem Dienst-Mercedes an der Ampel gewartet hatte. Er wird in einer Pressemitteilung des Innenministeriums vom Tag des Anschlags zitiert, unmittelbar vor dem Hinweis, der Beifahrer auf dem Motorrad sei "möglicherweise eine Frau" gewesen. Davon weiß der 62-Jährige heute nichts und hat es ausweislich seines damaligen Vernehmungsprotokolls auch nie gesagt: "Ich konnte nicht unterscheiden, ob es sich um Männer oder Frauen oder um Mann und Frau gehandelt hat", heißt es dort.

Auffallend ist zudem, dass mehrere Zeugen, die das Motorrad aus wenigen Metern Entfernung sahen, zu Geschlecht und Größe des Beifahrers gerade nichts sagen konnten, weder heute noch damals. Vernommen wurde inzwischen auch einer der wichtigsten Zeugen, ein heute 77-jähriger Mann, an dessen Tankstelle das Motorrad damals auf Siegfried Bubacks Wagen gewartet hatte. Er hatte die Attentäter sogar angesprochen. Zwar ist auch seine Erinnerung inzwischen verblasst; damals will er aber den später verurteilten Knut Folkerts als Sozius erkannt haben.

Ob nun Bubacks "Augenzeugin des Attentats" die Wende bringt, hängt davon ab, wie man den merkwürdigen Umstand bewertet, dass ihre Aussage nach nunmehr drei Jahrzehnten sehr viel detaillierter ausgefallen ist als damals. Einem Polizeivermerk vom 7. April 1977 zufolge soll sie damals jedenfalls nichts von einer Frau gesagt haben, und auch sonst schien die Aussage wenig gehaltvoll gewesen zu sein: 1980, im Prozess gegen Knut Folkerts wegen des Buback-Mordes, verzichtete das OLG Stuttgart darauf, die Frau vorzuladen, obwohl sie in der Anklage als Zeugin aufgeführt war.

Wurde ihre Aussage seinerzeit völlig völlig falsch aufgenommen, wie sie es Buback zufolge heute behauptet? Oder spielt ihr das Gedächtnis einen Streich, wie es nach drei Jahrzehnten in einem von zahllosen Medienberichten überlagerten Geschehen halt vorkommen kann? Aber es gab noch einen - inzwischen gestorbenen - Zeugen, der die Theorie von der schießenden Frau stützte. Seltsam zwar, dass der Mann erst fünf Jahre nach der Tat aussagte, nachdem ein Briefschreiber die Polizei auf ihn aufmerksam gemacht hatte. Dennoch, nach seiner im Prozess verlesenen Aussage will er "fast mit Sicherheit" ein Mädchen auf dem Sozius gesehen haben, typisches Frauengesicht, schmale Hände, lange Finger. Der Mann muss phänomenale Augen gehabt haben - er war 70 Meter vom Motorrad entfernt.

Doch die Frauen-These ist ohnehin nicht Teil der Anklage. Die Bundesanwaltschaft sieht Verena Becker vor allem deshalb als "Mittäterin" an dem Mordanschlag, weil sie bei mehreren RAF-Treffen Monate vor den Morden vom Gründonnerstag des Jahres 1977 die Kampfgenossen angetrieben haben soll, den Befehl der Stammheimer Häftlinge - "Der General muss weg" - in die Tat umzusetzen. Eine These, die indes wesentlich an der Aussage eines Zeugen von wankender Glaubwürdigkeit hängt, nämlich des Ex-Terroristen Peter-Jürgen Boock. Außerdem müsste Becker als Mittäterin "Tatherrschaft" gehabt haben, doch die maßgebliche Organisatorin der Mordserie im "Deutschen Herbst" betrat erst nach den RAF-Planungstreffen die Szene: Brigitte Mohnhaupt. Sie war Anfang Februar 1977 aus dem Stammheimer Gefängnis entlassen worden.

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