Nachtleben in München:A Ruah is!

Nachtschwärmer bereiten Anwohnern in den Münchner Ausgehvierteln schlaflose Nächte. Die Wirte bekommen regelmäßig Ärger. Manche ziehen ihre Konsequenzen.

Katrin Kuntz

Michael Kern ist Erfolg gewöhnt. Er ist Clubbetreiber in Münchens Partyszene. Und doch sagt er: "Ich bin am eigenen Erfolg gescheitert." Weil zu viele Leute kamen und weil es vielen dann zu laut war. Der Kampf um seinen Zerwirk-Club in der Ledererstraße 3 begann mit der Eröffnung am ersten Januar 2005 und endete am letzten Tag des WM-Spiels im Juli 2006.

Vegetarisches Restaurant "Zerwirk" in München, 2007

Opfer des Erfolgs: Der Gastronom Michael Kern betrieb in der Altstadt seinen Zerwirk-Club, kapitulierte aber 2006 vor den Anwohner-Beschwerden. (Archiv)

(Foto: Robert Haas)

Kerns Plan für das 1264 erbaute Gebäude in der Innenstadt schien zunächst ausgeklügelt. Oben gab es ein veganes Restaurant, in der Mitte einen Veranstaltungssaal und im Keller eben den Club. Kurz darauf gab es vor allem eines: Ärger. Erst fehlte die Genehmigung für einen Versammlungsraum, die ein Nachtclub braucht, es folgten Bürger-Beschwerden beim Bezirksausschuss Altstadt-Lehel. Dann kamen Bußgelder und Anti-Zerwirk-Unterschriftenlisten. Kern bezahlte dem Hauptbeschwerdeführer einen Umzug.

Doch die Stimmung war vergiftet. "Wir sind freiwillig gegangen", resümiert Kern, der an Stelle des Clubs dann einen veganen Supermarkt eröffnete. Mit dem Club fiel jedoch die wirtschaftliche Grundlage weg. "Ich bin da raus", sagt Kern heute - und fügt hinzu: "Man hätte einen Mediator gebraucht." Gefreut haben dürften sich die lärmempfindlichen Anwohner.

Ähnlich ging es im Mai dieses Jahres auch Ismail Yilmaz im Glockenbachviertel. Nach vehementen Anwohnerprotesten schloss der Wirt die Türen seiner legendären Absturzkneipe X-Cess in der Kolosseumstraße. Auch eine eilig gegründete Facebook-Gruppe "Gegen die Schließung des X-Cess München!!" mit mehreren tausend Mitgliedern konnte gegen ruhebedürftige Nachbarn nichts ausrichten.

Die Nachbarn wohnen oft in schönen Wohnungen, die im Glockenbachviertel eben gern auch neben Kneipen liegen. Wenn jemand ein schickes Heim will, aber keine Kneipe, gibt es Streit. Das erfährt gerade ein anderer Wirt im Viertel. Er will seinen Namen wegen gerichtlicher Verhandlungen nicht in der Zeitung lesen.

13541 "allgemeine Lärmbelästigungen" hat die Münchner Polizei 2010 bislang im Stadtgebiet registriert. Beim Kreisverwaltungsreferat (KVR) gingen 2010 erst 172 Beschwerden ein, die zu Abmahnungen führten oder zu Verfahren, die den Entzug der Konzession nach sich ziehen können.

Damit ein Wirt wegen Ruhestörung seine Genehmigung verliert, muss es "wiederholt massive Verstöße" gegen die Auflagen der Stadt geben. "Wir arbeiten nach dem Stufenprinzip", sagt KVR-Sprecherin Daniela Schlegel. "Nach einer Belehrung folgen zunächst persönliche Treffen, Bußgelder, Auflagen. Erst wenn dann keine Besserung eintritt, wird dem Inhaber seine Konzession entzogen." Allein wegen Lärmbelästigung sei dies in den vergangenen zehn Jahren jedoch keinem Münchner Wirt passiert, sagt Schlegel. "Meistens kommen Hygiene-Verstöße oder die Missachtung des Jugendschutzgesetzes hinzu."

Mit strengen Auflagen sieht sich auch Till Hofmann konfrontiert. Er ist Inhaber des Vereinsheims in der Occamstraße in Schwabing, da wo einst die "Schwabinger Gisela" sang. In der Vergangenheit hat er gekämpft. Es ging dabei vor allem um Live-Kabarett-Veranstaltungen. Weil die Lizenz seines Lokals nur für eine "Schank- und Speisewirtschaft" Gültigkeit hatte, durften auch Live-Performances nur begrenzt stattfinden.

Fernsehübertragungen waren hingegen gestattet. Im November 2008 erlaubte sich der Wirt einen Gag: Er schickte seine Künstler zum Auftreten in den Keller und übertrug ihren Auftritt per Großbildleinwand ins Lokal. "Das Vereinsheim ist ein kulturelles Kleinod. So schnell gebe ich das nicht auf", sagt Hofmann. "Schwabing ist eben kein reines Wohnviertel, auch wenn das einige Beschwerdeführer gerne so sähen", sagt der Kleinkunst-Fan und bringt die Problematik auf den Punkt. Viele Leute wollten in einem hippen Viertel wohnen, sagt er, weil da viel los sei, auch kulturell. Und beschwerten sich dann, wenn dies der Realität entspreche.

Kulturelles Heiligtum bleibt das Bier. 1995, als fünf Anwohner durchsetzen wollten, dass in der Waldwirtschaft in Großhesselohe um 21.30 Uhr Ruhe sein soll, brach die sogenannte Biergarten-Revolution aus. Zirka 20.000 Münchner protestierten auf dem Marienplatz. Die Folge des Aufstands war - nach langen Rechtsstreitigkeiten - die Bayerische Biergartenverordnung von 1999, nach der traditionelle Biergärten in Wohngebieten erst um 23 Uhr schließen müssen.

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