Wikileaks: Reaktionen:"Gut gelacht"

Die Reaktionen auf die Enthüllungen der Internetplattform Wikileaks könnten unterschiedlicher kaum sein: Während Italiens Ministerpräsident Berlusconi sich amüsiert und Moskau Verständnis für die Sprache der Diplomaten zeigt, ist man im Rest der Welt erbost und besorgt.

Die Reaktionen der Regierungen und Politiker weltweit auf die Enthüllungen von Wikileaks könnten unterschiedlicher kaum sein. Die Einschätzung der Bundesregierung, dies könnte "in anderen Teilen der Welt zum Teil sehr gravierende politische Auswirkungen haben", entspricht da dem Mainstream. "Wir können nur hoffen, dass es zu keiner Beschädigung des amerikanischen diplomatischen Dienstes kommt", sagte Außenamtssprecher Andreas Peschke. Es handele es sich um einen "Vorgang von erheblicher außenpolitischer Tragweite".

Die Bundesregierung bedauere die Veröffentlichung interner Regierungsdokumente sehr, sagte Regierungssprecher Steffen Seibert "Diplomatie braucht Vertraulichkeit."

Schärfere Worte fand da schon Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble. "Ich halte das alles für ganz schlimm und unappetitlich", sagte der CDU-Politiker in Berlin. Allerdings sei er nicht besonders interessiert an dem, was amerikanische Diplomaten über ihn berichtet hätten. Er habe die Berichte noch gar nicht gelesen: "Ich muss auch sagen: Ich habe geringes Interesse daran. Ich habe noch nicht einmal meine Stasi-Akte gelesen."

Eher ungewöhnlich dagegen war die Reaktion Russland. Immerhin wird Regierungschef Wladimir Putin in den vertraulichen US-Papieren als "Alpha-Rüde" bezeichnet. Kremlchef Dmitrij Medwedjew charakterisierten amerikanische Diplomaten als "blass" und "zögerlich".

Doch in Moskau zeigt man sich offenbar verständnisvoll. Auch russische Diplomaten würden in internen Depeschen eine andere Sprache benutzen als sonst, erklärte etwa ein Mitarbeiter Medwedjews der Tageszeitung Kommersant.

Richtiggehend amüsiert war angeblich Italiens Ministerpräsident Silvio Berlusconi von den enthüllten Berichten der US-Diplomaten, die den italienischen Regierungschef auch wegen seines ausschweifenden Lebensstils kritisierten. Berlusconi habe "gut gelacht", als er vom Inhalt der Depeschen erfahren habe, berichtete die italienische Nachrichtenagentur Ansa unter Berufung auf Vertraute Berlusconis.

Wie die britische Zeitung Guardian schreibt, hatten US-Diplomaten Berlusconi als "inkompetent, aufgeblasen und ineffektiv" beschrieben. In einem weiteren Dokument sei der italienische Regierungschef als "physisch und politisch schwach" dargestellt worden, berichtete die Zeitung. Seine "Vorliebe für Partys" halte Berlusconi davon ab, genügend Erholung zu bekommen.

Ungewöhnlich war auch die Erklärung des grünen Europaabgeordneten Daniel Cohn-Bendit: "Geheimnisse? Welche Geheimnisse? Es gibt kein einziges Geheimnis, das man nicht schon kannte", meinte Cohn-Bendit im französischen Rundfunksender "Europe 1". "Man weiß, dass in der diplomatischen Realität das, was die Diplomaten da austauschen, nicht immer so nett wie die gesprochene Realität ist. So ist das eben." Eine der wenigen Stimmen, die die Veröffentlichung zumindest ein Stück weit begrüßte, kam von Grünen-Chefin Claudia Roth: "Ich finde es auch richtig, dass man ein Stück weit die diplomatische Fassade herunterreißt. Man tut immer so freundlich nach vorne, und hinten sieht es aber ganz anders aus."

Wichtig sei, das nicht in Persönlichkeitsrechte eingegriffen werde und Personen nicht gefährdet würden, sagte Roth.

Relativ gelassen zeigt sich Israel. "Ich glaube nicht, dass Israel irgendeinen Schaden davongetragen hat", sagte Ministerpräsident Benjamin Netanjahu vor Journalisten in Tel Aviv. Die Enthüllungen von Wikileaks seien für undemokratische Länder bedeutsamer als für Israel, meinte Netanjahu. "In einer offenen Gesellschaft wie der unseren gibt es keinen großen Unterschied zwischen dem, was im Geheimen und in der Öffentlichkeit gesagt wird." In unfreieren Gesellschaften - vor allem in Nahost - sei dies jedoch genau umgekehrt.

Heftige Kritik kommt vom irakischen Außenminister Hoschjar Sebari. Er bezeichnete die Veröffentlichung als unpassend und nicht hilfreich. In den Unterlagen haben US-Vertreter sich unter anderem besorgt über den iranischen Einfluss im Irak geäußert. In einem der sogenannten Kabel beschreiben amerikanische Diplomaten, dass Iran pro Jahr mehrere Millionen Dollar für irakische Unterstützer ausgibt.

Teheran bewertete die jüngsten Wikileaks-Veröffentlichungen indes als wertlos. Irans Staatspräsident Mahmud Ahmadinedschad zeigte sich überzeugt, dass die Enthüllungen keine Folgen für die Beziehungen seines Landes mit der restlichen arabischen Welt haben würden. "Diese Dokumente verfolgen bestimmte politische Ziele. Sie sind eine gewisse Art von Geheimdienst-Spiel und haben deshalb keine einzige legale Grundlage", sagte Ahmadinedschad in der iranischen Hauptstadt.

Hinweise auf die Einschätzung des afghanischen Präsidenten Hamid Karsai als extrem schwachen Präsidenten, der anfällig sei für Einflüsterungen über Verschwörungen, versuchte Karsais Sprecher abzuwiegeln. Die Papiere enthielten nichts Überraschendes, erklärte Wahid Omer. Die Dokumente würden keinen nennenswerten Einfluss auf die strategisch und langfristig angelegten Beziehungen seines Landes zu den USA haben.

Die pakistanische Regierung hat die Veröffentlichungen der vertraulichen Berichte scharf verurteilt. "Derart sensible Dokumente hätten nicht auf diese Weise offengelegt werden dürfen", sagte der Sprecher des Außenministeriums, Abdul Basit, in Islamabad. Unter anderem soll Washington Pakistan im Jahr 2007 aus Angst vor einem Angriff radikaler Islamisten dazu gedrängt haben, hochangereichertes Uran aus einer Nuklearanlage zu entfernen. Dies sei jedoch von Islamabad abgelehnt worden, erklärte Basit. "Die Dokumente zeigen deutlich, dass die pakistanische Führung genau weiß, das Atomprogramm zu verteidigen", sagte Basit.

Im Nachbarland Indien reagierte das Außenministerium mit Zurückhaltung auf die Veröffentlichungen. "Das ist ein sensibles Thema, zu dem ich mich nicht äußern werde, solange wir nicht mehr darüber wissen", sagte Staatsministerin Praneet Kaur in Neu-Delhi.

Der türkische Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan kündigte an, seine Regierung werde die Unterlagen prüfen. Die Ernsthaftigkeit von Wikileaks sei jedoch fraglich, zitierten türkische Medien den Regierungschef. "Deswegen warten wir, was von Wikileaks kommt. Wir können es dann bewerten und uns dann äußern", sagte Erdogan.

Schwedens Außenminister Carl Bildt verurteilte die Veröffentlichung als "gefährlich für die Lösung von Konflikten". Zu den Motiven hinter den jüngsten Enthüllungen von Wikileaks sagte er: "Das politische Ziel ist es, den USA zu schaden." Es werde lange dauern, den Schaden durch die Veröffentlichungen zu reparieren.

Australiens Regierung hat unterdessen angekündigt, die US-Regierung bei einer Strafverfolgung des Enthüllungsportals und seines Mitbegründers Julian Assange zu unterstützen. Schließlich gefährde die Veröffentlichung die USA und ihre Verbündeten, darunter Australien, erklärte Justizminister Robert McClelland.

Sorgen um die deutsch-amerikanischen Beziehungen

Der CDU-Außenpolitiker Ruprecht Polenz rechnet mit verschärften Debatten im Nahen Osten. Bezogen auf Hinweise, dass zahlreiche arabische Staaten mit den USA gegen Iran paktierten, sagte Polenz im ZDF-Morgenmagazin, es habe zwar in der Vergangenheit bereits "hinter vorgehaltener Hand" solche Gespräche über einen möglichen Militärangriff gegen Iran gegeben. "Aber so ein Gerede ist etwas anderes, als wenn man dann noch offizielle Dokumente darüber liest", sagte der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses des Bundestages während eines Besuchs mit Bundespräsident Christian Wulff in Jerusalem. Die Dokumente könnten insofern "die Diskussion hier in der Region schon verändern".

Der CDU-Politiker warnte, die von dem Enthüllungsportal veröffentlichten Depeschen seien "möglicherweise von einer Brisanz, die sich im Augenblick nicht ganz übersehen lässt". Laut Wikileaks drängte unter anderem König Abdullah von Saudi-Arabien Washington dazu, Iran anzugreifen, um das Atomprogramm des Landes zu zerstören.

Der ehemalige US-Botschafter in Deutschland, John Kornblum, fürchtet, dass die Papiere zu einem Vertrauensbruch in den deutsch-amerikanischen Beziehungen führen könnten. "Diplomatie (...) muss auf der Basis von Vertrauen funktionieren und wenn das Vertrauen gebrochen ist, was jetzt der Fall ist, dann muss man fast bei null wieder anfangen", sagte Kornblum im ZDF-Morgenmagazin. "Ein Grund, warum ein Diplomat sehr gerne in Deutschland arbeitet, ist, dass die Deutschen sehr gesprächig sind. Man kann wirklich alles erfahren, was man will. Man braucht nur ein bisschen freundlich sein." Nun müsse man damit rechnen, dass Verbündete in Zukunft zweimal überlegen würden, welche Informationen sie mit den Amerikanern teilten. "Die Ära, wo man vertraulich miteinander spricht und sagt: 'Keine Sorge, das wird nicht in die Zeitung kommen', die ist vorbei."

Der frühere deutsche Botschafter in Washington, Wolfgang Ischinger, befürchtet einen "schweren außenpolitischen Schaden". Durch die Papiere werde das gegenseitige diplomatische Vertrauen und die Zusammenarbeit "in ganz prinzipieller Weise" beschädigt, sagte Ischinger Bild. Die Veröffentlichung sei vor allem "problematisch im Hinblick auf weniger stabile zwischenstaatliche Beziehungen". Größeren Schaden speziell für das deutsch-amerikanische Verhältnis befürchtet Ischinger hingegen nicht - auch wenn deutsche Politiker in den Dokumenten nicht nur vorteilhaft beschrieben werden. "Das deutsch-amerikanische Verhältnis hält viel aus. Es wird auch, vom angekratzten Ego des einen oder anderen Politikers abgesehen, diesen Vorgang aushalten." Die Veröffentlichung der Depeschen sei zwar nicht erfreulich, aber "ein Malheur, das die deutsch-amerikanischen Beziehungen überleben werden".

Ähnlich äußerte sich Unions-Fraktionschef Volker Kauder. Der Vorgang belaste "das Verhältnis zu Amerika überhaupt nicht".

Als Anlass zur Kritik an der US-Regierung nahm die belgische Regierung die Dokumente. Außenminister Steven Vanackere sprach im Radio VRT von einer Verwechslung zwischen diplomatischer Arbeit und Spionage" bei den Amerikanern. "Das geht zu weit", sagte Vanackere. "Wir müssen genau prüfen, welches das Gleichgewicht zwischen den Interessen und den eingesetzten Mitteln ist", fügte er hinzu.

Ex-Botschafter Kornblum wies die Behauptung zurück. "Wenn man einen Informanten hat, bedeutet das nicht, dass das geheimdienstlich ist." Wie Journalisten zehrten auch Diplomaten von den Informationen der Politiker. Anders als bei Geheimdiensten werde in der Diplomatie unter klaren Bedingungen gesprochen. Der Gefragte wisse immer, dass Diplomaten Daten an ihr Heimatland weitergeben. "Ein Spiondienst macht das etwas verdeckter."

Die Hinweise, die Amerikaner hätten einen Informanten aus der FDP gehabt, der sie über die schwarz-gelben Koalitionsverhandlungen informiert habe, hat Bundesentwicklungsminister Dirk Niebel (FDP) zurückgewiesen. "Ich halte den Vorwurf für geradezu lächerlich. Ich bestreite, dass es einen Informanten gibt", sagte Niebel am Sonntagabend in der ARD-Talkshow Anne Will.

Auch Niebel sieht das gute deutsch-amerikanische Verhältnis durch die Veröffentlichungen nicht in Gefahr: "Es wird mit Sicherheit dazu führen, dass man sehr viel genauer überlegt, bei wem man wie offen spricht. Bedeutend ist, dass es das deutsch-amerikanische Verhältnis nicht belasten wird."

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