Tirschenreuth:Der enteignete Wald

Die tschechische Stadt Cheb kämpft seit mehr als sechzig Jahren um ihren Stadtwald. Das Problem: Das Gebiet liegt zehn Kilometer weit entfernt - in der Oberpfalz.

Max Hägler

Die beiden Bürgermeister im tschechischen Cheb (Eger) sind schlecht gelaunt. Mit Notizen sitzen sie am Tisch. Für den romantisch verschneiten Marktplatz vor dem Fenster mit seinen gotischen und barocken Bauten haben sie keinen Blick übrig. "Wir können nicht auf unser Eigentum zugreifen, die Bundesrepublik Deutschland hindert uns daran", schimpfen Bürgermeister Paul Vanousek und sein Stellvertreter Michal Pospisil. Es geht um ihren Stadtwald, den Stadtwald von Eger.

Schnee im Pfälzer Wald

Seit Kriegsende kämpf die tschechische Stadt Cheb um ihren Stadtwald - der in Bayern liegt.

(Foto: dpa)

Das rund 650 Hektar große Gebiet liegt zehn Kilometer entfernt - in der Oberpfalz. Seit 1920 ist die Stadt Eger als Eigentümerin eingetragen im Grundbuch. Dann kam der Krieg, dann die Vertreibung der Deutschen aus der Tschechoslowakei und schließlich der Eiserne Vorhang. Mitte der 1960er Jahre übernahm die Bundesrepublik den Wald schließlich in treuhänderische Verwaltung. Und so ist das bis heute. Deutschland gibt den Wald nicht mehr her.

"Wir verstehen das nicht, nach all den Handreichungen", sagen der Konservative Vanousek und der Sozialdemokrat Pospisil. In der Tat pflegt die Stadt seit 1989 eigentlich eine gute Nachbarschaft: Gegenüber dem Rathaus, im Touristenbüro, stehen Broschüren von Hof und Waldsassen prominent in den Auslagen. Mit Marktredwitz hat man 2005 eine gemeinsame Gartenschau ausgerichtet. Und Tschechien ist ja auch EU-Mitglied.

Um den Forst aber kümmert sich wie zu Zeiten des Kalten Krieges die bayerische Forstverwaltung. Das Vermögensamt überweist einige zehntausend Euro jährlich nach Cheb, einen Teil des Ertrags, der bei der Bewirtschaftung anfällt. Aber in Cheb wollen sie sich selbst um den Wald kümmern - an diesem Donnerstag entscheidet das Regensburger Verwaltungsgericht über eine entsprechende Klage. Cheb klagt gegen die Bundesrepublik Deutschland.

Aber es könnte auch heißen: Tschechien gegen die Vertriebenenverbände. Denn darum geht es letztlich. Der Egerer Stadtwald ist der letzte Rest an Heimat, auf den die vertriebenen Egerländer Zugriff haben. Sie klammern sich seit Jahrzehnten daran, mit einer Vehemenz, vor der die deutsche Politik Respekt hat. Der damalige bayerische Forstminister Alois Hundhammer (CSU) wollte 1961 das Problem lösen, indem Bayern den Wald kauft. Er scheiterte am "Sturm der Entrüstung". Wieso sollte man für etwas Eigenes Geld zahlen, argumentierten Vertriebene, aber auch Kabinettskollegen.

"Der Wald ist eine Geisel"

Die Offiziellen der Verbände sind mittlerweile moderater geworden. Aber ihre Interessen zählen noch. Aus dem Bundesinnenministerium heißt es einerseits, dass Tschechien nach dem EU-Beitritt erwarten dürfe, als gleichberechtigter Partner behandelt zu werden, dass also die Treuhandverwaltung für den Stadtwald aufgehoben wird. Aber aus dem Innenministerium heißt es auch: "Die Bundesregierung will bei der Aufhebung der treuhänderischen Verwaltung auch die besondere Perspektive der Heimatvertriebenen zu den Eigentumsrechten berücksichtigen."

Schon vor Jahrzehnten haben die Vertriebenen vor Gericht ausgeführt, dass die Stadt Cheb nicht Rechtsnachfolger der Stadt Eger sei, da nach der Vertreibung die Bevölkerung gewechselt habe. Das Bayerische Oberste Landesgericht hat 1965 sowie 1972 festgestellt, dass die Argumentation der Vertriebenen nicht trägt: Die Körperschaft Eger, beziehungsweise Cheb, sei durch die Vertreibung nicht untergegangen. Und trotzdem schwingt diese Haltung immer noch mit. "Wir kennen die Urteile", sagt Franz Pany von der Sudetendeutschen Landsmannschaft. Aber sie seien nicht unumstritten und die Frage wie eine neue Bevölkerung mit dem Eigentum der alten, vertriebenen Bevölkerung umgehe sei nicht nur juristisch, sondern auch moralisch zu bewerten.

Die Politik schreckt vor den Emotionen der Vertriebenen zurück, sagt Rechtsanwalt Manfred Gratzl dazu: "Der Wald ist eine Geisel." Gratzl ist ein Mann, der beide Perspektiven kennt. Sein Vater wurde vertrieben, in seiner Kanzlei liegen Bücher des Prager Vertreibungskritikers Emanuel Mandler. Aber Gratzl vertritt trotzdem die Stadt Eger. Es sei absurd, der Stadt die "Kollektivschuld" aufzubürden, so wie es jetzt passiere. "Wenn man Enteignungen nicht gut heißt, dann kann man auch diese Enteignung nicht gut heißen", sagt er. Den Fall will er gegebenenfalls bis ganz nach oben durchfechten. Aber eigentlich hofft er auf eine politische Lösung.

Im Rathaus von Cheb trafen sich in diesem Jahr die Bürgermeister mit Vertretern der bayerischen Staatsregierung und dem Bund. Schon war man guter Dinge in der Staatskanzlei, hoffte auf den Durchbruch. Es wäre auch ein wichtiger Türöffner gewesen für die von Ministerpräsident Horst Seehofer (CSU) gewünschte Reise nach Tschechien. Im Gespräch war wieder einmal eine Stiftungslösung: Bayern kauft Cheb den Stadtwald ab, wie einst schon von Hundhammer geplant, wohl sechs oder sieben Millionen Euro ist der Wald wert. Ein Teil des Geldes sollte in eine Stiftung für grenzüberschreitende Projekte gehen. Damit hätte auch die Sudetendeutsche Landsmannschaft leben können, auch wenn deren Hardliner so etwas ablehnen. Man wolle eine gut nachbarschaftliche Lösung, von der beide Seiten etwas haben, sagt Pany.

Doch der Plan scheiterte. Nachdem die Verwaltung der Stadt Chef zwischendurch grundsätzlich zu so einer Stiftungslösung bereit war, heißt es jetzt: "Wir verkaufen nicht." Der Vorschlag sei nicht akzeptabel, er habe nur einen alten Verhandlungsstand aufgegriffen. "Deswegen", sagt Bürgermeister Vanousek, "suchen wir andere Mittel, um das zu lösen." Ein Termin für Seehofers Tschechien-Reise steht immer noch nicht.

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