Gemeinschaftswährung in Not:Die Vereinigten Staaten von Europa

Die Bürger ahnen längst, dass sie einen Preis dafür zahlen müssen, den Euro zu bewahren - und wünschen sich die starke D-Mark zurück. Doch gegen diese gefährlichen Sehnsüchte muss die Regierung ankämpfen.

Martin Hesse

Die Angst der Regierenden ist greifbar. Sie ist da, wenn Wolfgang Schäuble lamentiert, die Finanzmärkte verstünden den Euro nicht. Die Furcht schwingt mit, wenn Angela Merkel den Vorschlag für eine gemeinsame Anleihe der Währungsunion verdammt. Es ist die Angst vor einem Auseinanderbrechen des Euro, die Merkel und Schäuble umtreibt, aber auch die Angst vor dem Zorn des eigenen Volkes. Deshalb machen die Kanzlerin und ihr Finanzminister den Wählern etwas vor. Sie sagen, der Erhalt des Euro sei alternativlos. Zugleich versuchen sie aber, die Illusion aufrechtzuerhalten, dass dies die Deutschen nichts kosten werde.

Euro wieder unter Druck

Reicht der 750-Milliarde-Euro-Rettungsschirm aus, um die Gemeinschaftswährung durch diese Krise zu bringen?

(Foto: dpa)

Die Bürger nehmen ihnen das nicht ab. Sie ahnen längst, dass sie einen Preis dafür zahlen müssen, den Euro zu bewahren. Bei vielen Menschen in Deutschland löst das Ressentiments aus gegen jene, die den Euro vermeintlich gefährden, zum Beispiel die Schuldnerstaaten oder die Spekulanten an den Finanzmärkten. Mit den Ressentiments wächst der Wunsch, die Europa-Währung über Bord zu werfen und die D-Mark wieder einzuführen. Gegen diese gefährlichen Sehnsüchte muss die Regierung ankämpfen. Aber nicht, indem sie den Bürgern Sand in die Augen streut, sondern indem sie ein paar harte Wahrheiten und sehr lohnenswerte Ziele vermittelt.

Eine erste, einfache Wahrheit lautet, dass es keinen Königsweg aus der europäischen Schuldenkrise gibt. Ein Austritt Deutschlands aus der Währungsunion würde die deutsche Währung extrem verteuern und träfe den Export-Vizeweltmeister brutal - dahin wäre die hart erarbeitete Wettbewerbsfähigkeit. Die politischen Folgen für Europa wären verheerend. Einzelne Staaten mit unsoliden Finanzen aus dem Verbund auszuschließen, ist rechtlich nicht möglich. Selbst wenn man Griechenland aus dem Euro drängen könnte, danach begänne unmittelbar die Spekulation gegen den nächsten Abstiegskandidaten. Der Zerfall des Euro wäre also programmiert.

Aus ähnlichen Gründen würde auch eine Aufstockung des Rettungsschirms für klamme Eurostaaten nur ein wenig Luft zum Durchatmen verschaffen. Die Erfahrung der vergangenen Monate lehrt, dass sich Investoren schnell ausrechnen, wie weit ein Notfonds reicht. Sie nehmen dann den nächstschwächeren Kandidaten ins Visier, sei es Spanien oder Italien, und testen, ob die EU auch für den geradesteht.

Die EU muss also dauerhaft sicherstellen, dass alle Mitgliedstaaten ihren Haushalt finanzieren können. Eine Euro-Anleihe kann ein solches Instrument zur Haushaltsfinanzierung sein. Dahinter steht die Idee, dass die Euro-Mitglieder gemeinsam Schuldverschreibungen ausgeben, hinter denen die Kreditwürdigkeit der gesamten Währungsunion steht. So kämen auch schwächere Mitgliedstaaten selbst in Krisenzeiten zu erträglichen Zinsen an Geld. Auch müsste die Europäische Zentralbank nicht mehr wie die Feuerwehr als Käufer von Staatsanleihen auftreten, um Staatspleiten zu verhindern. Sie könnte sich ihrer Aufgabe widmen, die Preisstabilität zu sichern.

Aber die Euro-Anleihe hat auch schwere Nachteile. Für Deutschland, als das zahlungskräftigste Land der Währungsunion, würde die Geldbeschaffung teurer als bisher. Die Deutschen liehen den Partnern ihre Bonität und leisteten so einen Transfer an alle schwächeren Euro-Staaten. Doch ohne solche Transfers wird die Euro-Krise nicht zu lösen sein. Das ist die vielleicht härteste Wahrheit, die Merkel und Schäuble den Bürgern vermitteln müssen.

Umso wichtiger ist es daher, dass mit der Euro-Anleihe die gemeinsame Finanz- und Wirtschaftspolitik kommt. Man sollte nicht im großen Stil eine gemeinsame Einnahmequelle schaffen, ohne zugleich die Ausgabepolitik zusammen zu formulieren.

Wer also die Einführung von Euro-Anleihen will, entscheidet sich für eine weitgehende politische Union der Euro-Staaten. Das ist nichts, was man mal eben in einer Ministerrunde entscheidet. Schon heute ist das Demokratiedefizit in der EU eine Gefahr für die Staatengemeinschaft. Weniger denn je identifizieren sich viele Bürger in diesen Krisenjahren mit der Politik, die in Brüssel gemacht wird. Wenn es nicht gelingt, die Bürger mitzunehmen zu noch mehr Europa, dann ist auch die Euro-Krise nicht zu überwinden.

Als die Euro-Partner 1999 die gemeinsame Währung einführten, vertrauten sie darauf, dass die Kraft des Euro zu einer stärkeren politischen Integration führen würde. Man nannte das die Basistheorie. Heute sollten sich die Partner für die damals verworfene Krönungstheorie entscheiden: Euroanleihe und gemeinsame Haushaltspolitik sind das Ziel für die Währungsunion. Dieses Ziel sollten die EU-Partner heute klar formulieren.

So viel Zeit wie bei der Einführung des Euro bleibt diesmal nicht. Unter dem Druck der ungelösten Schuldenprobleme und der Märkte muss die Politik schnell handeln.

Das Ziel ist es, den Euro mit allen Mitgliedern zu erhalten, gemeinsame Einnahmen zu schaffen, aber auch einen Anteil nationalstaatlicher Einnahmen zu bewahren, und einen föderalen Rahmen für die Finanz- und Wirtschaftspolitik zu schaffen. Das Ziel sind die Vereinigten Staaten von Europa.

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