W&V: RTL2-Chef Jochen Starke im Gespräch:"Vieles war mit heißer Nadel gestrickt"

Nicht überall ist Fun drin, meint Jochen Starke. Der RTL2-Chef über Quoten, Kritik und "Tatort Internet".

Sigrid Eck

Jochen Starke ist seit Start des Senders 1993 dabei. Seit Februar 2005 verantwortet der 45-Jährige die Geschäfte von RTL2. Zuvor war er kaufmännischer Leiter. 2009 führte der Geschäftsführer den Claim "It's fun" ein. Starke muss vier Gesellschaftern Rechenschaft ablegen: Der RTL-Gruppe (35,9 Prozent), Tele München (31,5 Prozent), Heinrich-Bauer-Verlag (31,5 Prozent), Burda (1,1 Prozent). Kaum ein anderer Fernsehsender stand jüngst so sehr im Kreuzfeuer wie RTL2. Geschäftsführer Jochen Starke wehrt sich gegen die Kritik an Programm und Auftritt.

Jochen Starke rtl 2

Der RTL2-Geschäftsführer Jochen Starke.

(Foto: RTL2/Sonja Calvert)

W&V: Wohl keine Sendung verursachte so viel Wirbel wie Tatort Internet. Würden Sie alles noch mal so machen?

Jochen Starke: Wir ziehen mit Tatort Internet eine positive Bilanz, denn wir haben unser Ziel erreicht: Wir haben auf das Thema Kindesmissbrauch im Internet aufmerksam gemacht. Dass wir auf dem richtigen Weg sind, zeigen auch die durchweg positiven Reaktionen von Zuschauern. Wir haben etliche Tausend Zuschriften von Zuschauern erhalten, darunter Lehrer, Pädagogen und Polizisten. Derzeit bereiten wir eine Präventionsmappe vor. Diese umfasst eine Arbeitsmappe, eine DVD und es wird einen Internet-Auftritt geben. Der Verein Innocence in Danger steuert die Inhalte bei und unterstützt uns bei der Konzeption. Uns ist wichtig: Wir hören mit dem Thema nicht mit der Ausstrahlung der Sendung auf. Wir wollten die Bevölkerung sensibilisieren.

W&V: Aber in der Presse hat RTL2 sehr viel Kritik kassiert.

Starke: Bei vielen Reaktionen ging es erst einmal um den Täterschutz. Wir haben zwar mit Kritik gerechnet, aber dass sie so massiv war, hat uns überrascht. Viele haben sich mit dem Anliegen gar nicht auseinandergesetzt. Stattdessen hat man sich von Anfang an nur auf den Absender gestürzt, und der war RTL2, Stephanie zu Guttenberg und in dritter Instanz die Produktionsfirma Diwa. Erst nachdem man die Drei kritisiert hatte, hat sich die Diskussion versachlicht. Aber viele Kritiker haben sich die Sendung gar nicht angesehen. Bei dem einen oder anderen Journalisten habe ich auch eine gewisse Arroganz gespürt. Dabei hatte Spiegel TV vor ein paar Jahren eine ähnliche Sendung mit der gleichen Moderatorin, und sogar weniger gepixelten Tätern. Und diese Dokumentation hat den Axel-Springer-Preis für junge Journalisten bekommen.

W&V: Möglicherweise war das Problem der Absender: RTL2. Man sucht dort nichts Gesellschaftskritisches. Der Sender hat sich die Positionierung "It's fun" auf die Fahne geschrieben. Daraus ergibt sich eine gewisse Diskrepanz.

Starke: It's fun ist ein Claim. Schon als wir die Positionierung bekannt gaben, habe ich gesagt: Nicht überall wird Fun drin sein. Wir sind ein Fernsehsender, der eine gewisse Bandbreite zeigt. Wir haben Das Experiment - 30 Tage Moslem gemacht, wir haben die Welt der Wunder Specials und wir haben 100 Tage Loveparade gezeigt, um nur ein paar Beispiele zu nennen. Unser Programm beinhaltet jede Menge gesellschaftsrelevate Themen. Was mich sehr stört: RTL2 wird grundsätzlich immer erst in eine Schublade mit Vorurteilen gesteckt. Und mit diesen wird dann eine Sendung beurteilt. Der deutsche Zuschauer tut sich schwer, sich einfach nur die Sendung anzusehen und zu sagen, "Das ist gut".

W&V: Aber dann fragt man sich natürlich: Warum gibt es diese Vorurteile? Sie arbeiten hart am Image, aber es scheint in der Außenwelt noch nicht angekommen zu sein.

Starke: Das ist auch ein langfristiger Prozess. Nehmen Sie Audi: Die hatten auch jahrelang ein Rentner-Image. Das hat sich erst langsam gewandelt. Mit dem Erfolg wandelt sich das Image. Bei Tatort Internet bin ich nicht rausgegangen, um gigantische Quote zu machen. Sondern es lag mir persönlich sehr am Herzen. Bei den Dreharbeiten haben wir gemerkt, wie einfach es ist, in die Kreise der Täter zu kommen. Wir haben uns intensiv mit den rechtlichen Fragen beschäftigt. So eine starke Pixelung gab es im deutschen TV noch nicht. Über die Machart kann man diskutieren, da stelle ich mich der Kritik.

W&V: Ein weiteres Aufregerthema bei RTL2 im zweiten Halbjahr war die Entlassung von Unterhaltungschefin Julia Nicolas. Die Art, wie ihr Rauswurf formuliert war, hat in der Branche für Irritation gesorgt. Es klang so, als ob sie alleine für das Programm verantwortlich gewesen sei, das wegen mangelnder Quote und Kritik in der Öffentlichkeit abgesetzt worden ist.

Starke: Grundsätzlich: Unsere Kommunikation über die abgesetzten Sendungen war sehr selbstkritisch. Es ging überhaupt nicht darum, eine Qualitätsdebatte loszutreten. Wir wollten stattdessen unseren Herstellungsprozess optimieren und das auch kommunizieren. Vieles war mit heißer Nadel gestrickt, es ist einiges nicht so gelaufen, wie ich mir das vorgestellt habe. Aber mein Learning daraus ist: Welche Botschaft sende ich und wie wird sie empfangen? Und hier hat es nicht funktioniert. Punkt zwei war: Wenn man RTL2 und das Wort Qualität in einem Atemzug nennt, verursacht es in der Wahrnehmung von so manchem eine chemische Reaktion. Es ist sehr bequem, wenn man den Sender nur über die Vorurteile sieht. Wie vorher erwähnt, wir haben auch jede Menge anspruchsvolle und gute Programme.

W&V: Wie sieht die Entscheidungsstruktur jetzt aus?

Starke: Die Entscheidung über die Programme fällen Programmchef Holger Andersen und ich. Davor besprechen wir die Programme gemeinsam mit Vertrieb und Marketing. Das Motormagazin Grip beispielsweise war eine Anregung aus dem Vertrieb. Die Gesamtverantwortung trage ich und niemand anders. Für uns gilt: Wir müssen uns beim Programm mehr Zeit nehmen.

W&V: Reden wir über das Programm. Wohin geht der Sender?

Starke: Das Ziel ist es, den Tagesmarktanteil abzusichern. Deshalb wollen wir in der Daytime auch wieder stärker werden. Und wir entwickeln eine zweite gescriptete Serie für den Vorabend. Auch die eine oder andere Doku-Soap wird weiterentwickelt.

W&V: Welchen Stellenwert nimmt die Fiction ein?

Starke: Die Quoten bei den Spielfilmen sind sehr gut. Bei den Serien haben wir neben True Blood auch Warehouse 13 im Programm. Wenn fiktionale Serien auf dem Markt sind, sind wir natürlich daran interessiert. Aber die US-Majors sind mit den großen deutschen Konzernen verbunden. Und deren Hunger auf Lizenzprogramm, besonders an fiktionalen Primetime-Serien, ist sehr groß. So bleibt nicht viel übrig. Vor allem weil der Trend wieder dazu geht, US-Programm zu zeigen. Deshalb probieren wir mehr in der Eigen- und Auftragsproduktion aus.

W&V: Betrifft das auch die Shows?

Starke: Ja, wir produzieren 20 Shows für den Sonntagabend im nächsten Jahr. Darunter zwei Welt der Wunder Specials, zwei Die klügsten ...-Shows mit Bärbel Schäfer und die IQ-Tests behalten wir bei. Außerdem geht der Fun-Club weiter, er wird inhaltlich breiter konzipiert. An der eigenproduzierten Serie MEK 8 arbeiten wir gerade, sie kommt im Laufe des ersten Halbjahres. Darüber hinaus haben wir weitere Musikprogramme geplant. The Dome und Die neue Hitparade werden weiter laufen. Zu anderen Formaten können wir aber erst Anfang 2011 mehr sagen. Allerdings wird es die Musiktests nicht mehr geben.

W&V: Meint Musik Pop oder Schlager?

Starke: Wir haben eine hohe Affinität zu beiden Genres, das beweisen auch unsere Testimonials Lady Gaga und Shakira. Unheilig haben wir mit angestoßen, das darf man nicht vergessen. Und die Klassiker laufen weiter.

W&V Apropos Klassiker. Wie geht es mit Big Brother weiter?

Starke: Wir sind in Gesprächen.

W&V: Der November lief für RTL2 wieder gut, doch mit den Marktanteilen im Herbst dürften Sie mit Werten unter sechs Prozent nicht zufrieden gewesen sein.

Starke: Man darf nicht vergessen: Der Mittwoch lief schwächer als zuvor. Der Dienstag hatte eine starke Gegenprogrammierung mit X-Factor. Verona Pooth hatte da keine Chance. Und wenn man drei schwächere Abende in der Woche hat, geht der Marktanteil erst einmal nach unten. In der Daytime sind wir schon länger unter Druck und dann kam auch noch der Druck in der Primetime dazu ... Aber was den Vorabend angeht, sind wir auf dem Weg nach oben, und die Primetime zeigt positive Signale. Das Umfeld, in dem wir uns bewegen, ist nicht so einfach. Dennoch: Wir sind erfolgreich, wir haben eine gesunde, zweistellige Rendite. Und wir können uns über die Umsatzsituation nicht beschweren.

W&V: Heißt das: Auch die Gesellschafter sind zufrieden? Man hört so das eine oder andere Gerücht im Markt.

Starke: Die Frage müssen Sie den Gesellschaftern schon selbst stellen. Der Markt munkelt ja immer über die Gesellschafterstruktur von RTL2. Denn das ist das spannendste Feld in der deutschen Senderlandschaft. Da die anderen Sender 100-Prozent-Beteiligungen sind, stürzt man sich auf RTL2. Wir haben mit allen vier Gesellschaftern ein sehr gutes Einvernehmen und die stabilste Gesellschafterstruktur seit vielen Jahren. Dementsprechend ist alles im Lot.

W&V: Wie sieht es in der Vermarktung aus?

Starke: Hier muss man El-Cartel-Media-Chef Jan Kühl ein Kompliment machen: Er schlägt sich mit seinem Team sehr gut gegen die beiden großen Vermarkter. Das ist kein einfaches Umfeld. Aber wir gehen mit unseren Angeboten in die Breite und können so auch Umsätze generieren. Ich kann mit diesem Jahr nicht unzufrieden sein.

W&V: Bei Internet und Mobile hat RTL2 Nachholbedarf.

Starke: Wir werden unsere Internet- und Mobile-Strategie in den nächsten zwei Wochen verabschieden. Bei den X-Diaries haben wir mittlerweile über 11.000 Freunde auf Facebook. Das spricht eine eigene Sprache. Was ist im Internet gefragt? Bewegtbild. Und das haben wir.

W&V: Sie gehen also optimistisch ins neue Jahr?

Starke: Ja, optimistisch, aber gepaart mit meiner kaufmännischen Vorsicht.

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